Als Caruso bei uns einzog, hatte er vor allem eins: Angst. Vor Menschen, besonders vor Männern, vor Gerten, vor unbekannten Situationen. Und immer wenn er Angst hatte, suchte er sein Heil in der Flucht. Caruso kann sehr schnell rennen, wie ein kleiner Kugelblitz sieht er dann aus. Und wenn er erst mal rannte, dauerte es ein bisschen, bis er wieder zu Sinnen kam und stoppte. Wir brauchten also einen Plan, um ihm zu helfen. Wir gingen mit ihm in die Halle und übten: wenn die Gerte und der Mensch sich bewegen: schau hin. Dann hört das auf. Und so lernte er, mit uns „Ochs am Berg“ zu spielen: Wann immer etwas gruselig war und er los rannte, dauerte es einen Moment und dann warf er sich heroisch herum und starrte uns mit wildem Blick an, woraufhin wir sofort erstarrten und uns nicht mehr vom Fleck rührten. Leider war ich nicht dabei, aber Arnulf lacht bis heute über das Gesicht des Dachdeckers der zur Besichtigung der Baustelle da war, denn als Caruso Angst bekam vor dem Dackdecker, der durch den Paddock lief, musste auch der das Spiel mit spielen und stehen bleiben sobald Caruso in anschaute. Wahrscheinlich hat der arme Mann uns für komplett verrückt gehalten, zum Glück hat er unser Dach trotzdem gedeckt.
Die Möglichkeit, uns zu stoppen, machte aus Caruso in kurzer Zeit ein mutiges kleines Pony. Wir mussten nicht alles kleinschrittig üben. Er wurde mutig genug um hier gut zurecht zu kommen und ohne dass wir groß etwas mit ihm machen oder üben hat er eine klare Kommunikation entwickelt, die wir gut verstehen können. Wenn er uns anstarrt, wissen wir: was immer wir gerade tun ist ihm zu viel. So können wir ihm helfen, in solchen Situationen den Druck raus nehmen, uns mehr Zeit lassen oder einen Keks zum Einsatz bringen.
Von Caruso habe ich gelernt, wie viel einfacher das Leben ist, wenn unsere Pferde ein klares Stopp-Signal haben. Er ist das Pony, bei dem ich das bisher am deutlichsten gesehen habe. Aber seitdem halte ich vermehrt Ausschau danach. Jedes Pferd wird sich auf andere Art und Weise äußern. Wenn wir aufmerksam sind und die frühen Zeichen erkennen, können wir so nicht nur dem Pferd helfen, sondern auch unter Umständen Unfälle verhindern oder Verletzungen, die ein Pferd uns vielleicht zufügen würde in Notwehr.
Finlay hatte ein solches Stopp-Signal in Bezug auf Pausen. Er hatte sehr unterschiedlichen Pausenbedarf wenn wir Bodenarbeit gemacht haben, so dass ich oft nicht wusste, wie lang die Pause sein soll. Wenn er genug Pause gehabt hatte, kam er zu mir und es ging weiter. Wollte er noch pausieren, blieb er genau auf einem Fleck stehen. So habe ich es seither bei einigen Pferden etabliert und fahre gut damit.
Wenn ich Duncan nun reite, dann bin ich natürlich sehr auf der Hut: wann ist es zu viel für ihn? Wann ist er überfordert? Und ich habe ihm immer gesagt: finde bitte ein eindeutiges, aber freundliches Signal. Nun glaube ich ja nicht, dass er meine Worte in dem Sinne verstanden hat. Aber ich glaube fest daran, dass er die dahinter liegende Stimmung meinerseits wahrnimmt, nämlich dass ich aufmerksam darauf achte, wie es ihm geht. Und ich glaube, er hat ein Signal gefunden. Sagen wir: mehrere Stufen von Signal und eins davon deutlich genug, dass ich es auch verstehe wenn ich nicht ganz aufmerksam bin. Und das kam so:
Am Sonntag, als wir unseren ausgiebigen Ausflug gemacht haben, sind wir ja auch wieder ein kleines Stück getrabt. Beim ersten Trab ging das wunderbar. Danach merkte ich, dass die erste Energie raus war und ging zu Fuß bis ich dachte, Duncan hätte sich erholt. Ich stieg wieder auf und wollte noch einmal traben. Duncan trabte, aber ziemlich langsam. Ich dachte, es fehlt ihm vielleicht an Mut und feuerte ihn etwas mit der Stimme an. Duncan mühte sich, fing dann aber an mit dem Kopf zu schütteln als wäre da ein Insekt was ihn stört. Ich habe den Zusammenhang in dem Moment noch nicht gesehen – auch wenn er beim Aufschreiben so offensichtlich rüber kommt. Ich parierte durch, weil ich dachte, Duncan wollte ein Insekt los werden. Da fing er an, den Kopf so herum zu schwingen als würde er ein Insekt auf seinem Rücken vertreiben. Er hat mich nicht berührt und auch nicht böse geguckt, es war nur wie diese typische „Fliege auf dem Rücken“ Bewegung. Und da war es: mein Stopp-Signal. Ich stieg ab und ging zu Fuß weiter. Später bin ich nochmal aufgestiegen und habe es auch nochmal mit Trab versucht, weil ich wissen wollte was passiert. Diesmal war ich gewappnet und habe das Vorsignal gesehen: im Trab nahm Duncan immer wieder den Kopf so runter wie ich es von Pferden kenne wenn sie müde sind. Es ist eine sehr typische Bewegung. Ich parierte ihn wieder durch und er machte im Schritt noch einmal seine „Fliegen-Verscheuch-Bewegung“. Ich ritt einige Meter weiter und stieg dann ab. Jetzt weiß ich: er hat es so gemeint wie ich es verstanden habe. Nach einer längeren Laufpause hat er mich übrigens im Schritt dann noch ein Stück getragen ohne Probleme. Und natürlich könnte ich sagen „oje ich hab mein armes Pferd überfordert“. Ich möchte Duncan fordern, daran hat er offensichtlich Spaß – ich möchte ihn aber natürlich nicht überfordern. Der Grat ist schmal und schwer zu finden. Nun haben wir eine Grenze gefunden und er hat ein Signal etabliert das so eindeutig ist dass ich es nicht übersehen kann und dabei ist es trotzdem total ungefährlich. Wunderbar! So hat er einen „Notaus-Knopf“ und ich fühle mich dadurch sehr viel sicherer – er wahrscheinlich auch.
Ein schlechtes Gewissen hatte ich dann natürlich schon: war es ihm viel zu viel? Aber schon am Dienstag, als dann der Ausflug mit dem Spaziergehkumpel anstand, wurde dieses schlechte Gewissen ausgeräumt. Duncan marschierte munter voran und war kaum zu bremsen. Getrabt bin ich nur einmal kurz und das nur in seinem eigenen Tempo ohne anfeuern. Anfeuern, das habe ich jetzt endgültig verstanden, darf ich Duncan nicht. Denn wenn ich das Gefühl habe, ihn anfeuern zu müssen, heißt das, dass er schon alles gibt und einfach nicht mehr geben kann. Fertig. So einfach, so klar und für mich so ungewohnt. Und so hoffe ich eigentlich, dass Duncan sein Stopp-Signal nie mehr braucht. Aber wer weiß, im Eifer des Distanzreitens kommt vielleicht doch irgendwann ein Punkt an dem er nicht mehr kann und nun wissen wir beide wie er es kommunizieren kann.
Ich hatte noch nie ein Pferd wie Duncan. Meine bisherigen, gemütlichen Modelle waren immer versucht, Energie zu sparen. Duncan hingegen hat Spaß daran, sich auszupowern. Und während ich das Buch lese, das eine Schülerin mir geliehen hat „So macht man Pferde fit“ bemerke ich das selbe Verhalten bei Menschen wie der Autorin Ursula Bruhns. Ihr Genuss daran, ihre eigenen körperlichen Grenzen zu sprengen beim Distanzreiten (160km innerhalb 24 Stunden, zwischendurch kaum mal auf Klo, nicht wirklich was essen, in den Pausen nicht etwa ausruhen sondern ums Pferd kümmern…..). Im Leben würde es mir nicht einfallen, mich freiwillig solchen Strapazen auszusetzen und bisher hatte ich immer Pferde die ähnlich gemütlich gestrickt waren wie ich. Duncan hingegen ist genau der Typ, der diese Grenzsuche liebt, das kann ich im Paddock deutlich beobachten wenn er spielt. Er scheut keine Anstrengung und kein Risiko. Wie oft fällt er auf die Nase weil der Boden eben doch zu rutschig ist. Dann steht er eben auf und macht weiter – wen kümmert’s? Und langsam fange ich an, mich daran zu gewöhnen, dass er so ist. Er will raus, die Welt sehen und das bitte ausgiebig. Und jetzt, wo er mich immer mal ein Stückchen trägt und endlich, endlich sein eigenes Schritttempo gehen kann, machen ihm die Ausflüge doppelt Spaß, scheint mir. Auch wenn er müde ist, hat er noch Spaß. Meine Aufgabe ist, ihm etwas zu bieten ohne ihn zu überfordern. Ganz schön kompliziert, denn die Grenze zur Überforderung wird sich ja auch dauernd verschieben. Und so bin ich heilfroh, dass er diese klare Möglichkeit gefunden hat, Stopp zu sagen, damit der Spaß erhalten bleibt, auch wenn ich mich vielleicht mal verschätzt habe. Kluges Pony!
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