„Der hat bestimmt ein kleines Klemmbrett“ sagt meine Freundin „auf dem er sich immer Notizen macht“.
Und tatsächlich stelle ich mir vor, wie Sir Duncan einzelne Punkte auf seinem Klemmbrett abhakt, neue Notizen hinzufügt und einige durchstreicht oder verändert.
Anders ist sein Lernverhalten fast nicht zu erklären.
Ich erzähle meinen Schülern – besonders denen mit jungen Pferden – schon seit Jahren, dass ein gutes Lernverhalten das allerwichtigste ist, wenn wir mit unserem Pferd weiterkommen wollen. Und ich setze da andere Prioritäten als viele andere. Vor vielen Jahren fragte mich jemand nach einem Kurs, wieso Merlin und ich Änderungsvorschläge des Lehrers eigentlich immer so viel schneller umsetzen können als andere. Die Antwort liegt in dem was wir im Alltag zusammen tun. Ich übe niemals eine Lektion auf die immer gleiche Art und Weise und perfektioniere sie so. Stattdessen übe ich verschiedene Aspekte der Lektion und nähere mich ihr von verschiedenen Seiten. Außerdem belohne ich nicht unbedingt die beste Ausführung (es sei denn es ist ein Riesensprung nach vorn passiert) sondern in der Regel belohne ich konzentrierte Versuche und große Aufmerksamkeit. Ich belohne es, wenn Merlin bemerkt, dass Kriterien sich geändert haben und etwas Neues probiert. Auf diese Art haben wir eine sehr flexible Kommunikation. Wenn nun ein Lehrer kommt und sagt „mach das mal mehr so“, ist Merlin nicht überrascht, sondern kann sich schnell auf die Änderungen einstellen.
So richtig habe ich erst gemerkt, wie gut er das kann, als ich festgestellt habe, dass Finlay damit Probleme hat. Mit Finlay habe ich Sachen sehr stark auf eine Art und Weise erarbeitet. Ich dachte ja, ich hätte den perfekten Plan! Später fiel mir dieses Vorgehen auf die Füße, denn Finlay bestand darauf, dass wir Dinge immer gleich tun. Bestimmt ist das auch eine Typfrage: das eine Pferd wird von Natur aus Dinge lieber immer gleich tun, das andere nicht.
Es birgt beides seine Tücken. Ein Pferd, das Dinge immer gleich tut, ist auf eine gewisse Art sicherer für uns Menschen und vielleicht im Alltag einfacher zu „bedienen“. Es wird sich nicht so schnell neue Taktiken überlegen, wie es zu dem kommt was es möchte. Wenn wir aber Lektionen verbessern und verfeinern wollen, wird dieses Pferd es schwerer haben. Und wehe wenn wir ihm aus Versehen ein blödes Verhalten beigebracht haben, das wir schwer wieder loszukriegen sein.
Mein Merlin hingegen (und all die anderen flexiblen Pferde) kommt schnell auf neue Ideen, da muss ich als Mensch schon etwas wacher sein und mehr aufpassen was passiert. Dafür ist er eben auch schneller in der Ausbildung, weil wir neue Tipps und Ideen schneller umsetzen können.
Nachdem ich lange dachte, es wäre NUR eine Typfrage, bin ich inzwischen der Meinung es ist eine Mischung. Ein Teil ist angeboren, aber die Pferde werden sich auch in die eine oder andere Richtung entwickeln, je nachdem welche Prioritäten ich in der Ausbildung setze.
Ganz am Anfang – da wo Duncan und ich jetzt stehen – ist es natürlich so, dass Dinge erst mal immer gleich laufen, damit überhaupt eine Kommunikation entstehen kann. Duncan soll rückwärts gehen um seine Futterschüssel zu bekommen war einer dieser Schritte und erst mal galt das IMMER. Als er das verstanden hatte, konnten wir an den Details arbeiten: diese Regel gilt NICHT, wenn das Halfter drauf ist. Und wenn ich ihn mit der Schüssel an einen anderen Ort im Stall locken will, dann ist weder rückwärts gehen noch wegschauen die richtige Lösung.
Und hier kommt das Klemmbrett ins Spiel. Mir scheint, mein kleiner Ritter hat ein unglaublich systematisches Vorgehen (und zwar angeboren, niemand hat ihm das beigebracht). Das führt zu lustigen Situationen: Er steht an seiner Schüssel und frisst. Ich möchte ihn in einen anderen Stallteil bugsieren und nehme die Schüssel und gehe dort hin. Er steht an seinem Platz und schaut betont weg. Ich rufe ihn. Er schaut weg. Dann merkt er: klappt nicht. Er geht etwas rückwärts, schaut mich kurz ratlos an. Dann kommt er zögerlich auf mich zu, bleibt zwischendurch wieder stehen und schaut weg. Schließlich kommt er, kommt mir aber zu nah. Ich bleibe stumm stehen, lasse ihn nicht an die Schüssel und warte was passiert. Er geht einen Schritt zurück, schaut mich an, bekommt seine Schüssel. Und in seinem Gesicht kann ich sehen, wie er ein kleines Häkchen auf seinem Klemmbrett macht. Beim nächsten Mal hat er seine Taktik schon deutlich verfeinert und fängt an nach Details zu suchen. So muss ich immer wachsam sein und immer schon entschieden haben welches nächste Detail ich belohnen möchte. Zum Beispiel die Art WIE er wegschaut. Wenn ich nun schon (aus Versehen!) das Wegschauen etabliert habe, möchte ich es wenigstens in schöner, ruhiger Version bekommen (im Moment ist es noch eher hektisch).
Beim Führen haben wir derzeit manchmal Schwierigkeiten. Duncan hat es phasenweise recht eilig wenn wir spazieren gehen und klein wie er ist, ist sein Schritt doch schneller als meiner. Er läuft dann vor und zieht beständig leicht am Strick – sehr nervig. Ich habe diverse Taktiken ausprobiert: ihn einfach ganz direkt ausbremsen durch Zupfen am Strick. Hilft 1 Sekunde lang. Ihn mit dem Seilende von vorn begrenzen: hilft 2 Sekunden lang und macht ihn wütend, Kopfschlagen ist die Folge. Stehenbleiben und warten dass er sich wieder neben mir einsortiert, dann weitergehen. Hilft mit Glück 1 Minute. Natürlich habe ich es auch mit Graspausen bei anständigem Laufen versucht, aber das birgt große Tücken, weil wir ja dann auch in Würde und Anstand zum Gras kommen müssen. Meist weiß er aber schon, dass ich eine Graspause plane, wenn ich das entsprechende Grün entdeckt habe und fängt dann sofort an, deutlich am Strick in diese Richtung zu ziehen. Ich habe versucht (und werde das sicher noch öfter so machen) neben der Grasstelle so lang auf und ab zu gehen bis er nicht mehr dorthin zieht, erst dann darf er grasen. Aber um das allgemeine Tempo raus zu nehmen ist das keine Lösung. Außerdem gibt es im Wald einfach zu wenig gute Grasstellen dafür.
Ihm im Gehen einen Keks zu geben wenn er es gut macht führte zu katastrophalem Keksverhalten (obwohl ich mit meinem Markersignal gearbeitet habe, er also den Keks nur bekam, wenn ich vorher „Keks“ gesagt hatte).
Es ist ja immer die Frage, warum so ein Verhalten auftritt. Einen Großteil der Zeit, die wir gemeinsam gehen, passt Duncan sich prima an mein Tempo an. Und dann bekommt er plötzlich so einen „Rennflash“, zischt los und hat einen Siebenmeilenschritt am Leibe, den ich einfach so nicht mithalten kann. Wenn ich dann doch versuche, mitzuhalten, wird er noch schneller und trabt ihm Zweifelsfalle an. Wahrscheinlich – wenn ich beliebig sein Tempo mithalten könnte – würde er einfach ein Stück schneller laufen wollen und dann wieder in Schritt fallen. Leider kann ich ihm das nicht bieten. Denn auch wenn ich dann mit ihm ein Stück trabe, bin ich ihm viel zu langsam. Tja mein Ritter, so lange ich neben dir herlaufen muss wirst du mit meiner Langsamkeit leben müssen (wenn ich später im Sulky hinter dir sitze wirst du damit auch leben müssen, weil ich das Tempo schon gern bestimmen würde…. Aber dann können wir wenigstens längere Strecken flott traben).
Ich vermute, es handelt sich um das selbe Verhalten wie im Paddock: er wandert ruhig mit den anderen herum und plötzlich überkommt es ihn und er muss jemanden ärgern. Dann folgt eine kleine Spiel- und Raufeinheit und genauso plötzlich wie die gekommen ist, ist sie auch wieder vorbei und er ist wieder ganz entspannt. Sein Energielevel geht sehr schnell rauf und runter. Vermutlich eine Altersfrage, von kleinen Kindern kennen wir das ja auch. Aber wenn wir spazieren gehen wollen, müssen wir eine vernünftige Lösung finden. Und ich möchte auf dem Spaziergang auch gerne etablieren, dass das Tempo eher gleichbleibend ist, daran kann er sich ruhig jetzt schon gewöhnen und das einüben. In seiner Freizeit kann er ja tun was er möchte.
Also habe ich weiter nach einer Lösung gesucht und ich glaube, ich habe eine gefunden: sobald er ein Stück artig neben mir her geht OHNE am Strick zu ziehen, halte ich ihn an und dann gibt es den Keks. Führt nach Duncan-Art zu folgendem Verhalten: er geht artig neben mir her, schaut mich im Gehen immer wieder auffordernd an (er hat dann diesen ganz bestimmten Blick der sagt: „ich hab das toll gemacht! Zeit für eine Belohnung!“) und wenn ich ihn mit der Stimme zwischendurch lobe bleibt er stehen und fragt nach dem Keks.
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Jetzt, Sir Duncan, ist wieder Zeit für Dein Klemmbrett: finde heraus, wie lange Du so neben mir hergehen sollst, welche Position wann gefragt ist und finde heraus, dass von selbst stehenbleiben nicht die Lösung ist. Finde heraus, dass ein Stimmlob bedeutet: „sehr gut, mach weiter so!“ Und finde heraus, dass es länger dauert bis der Keks in Deinem hungrigen Mäulchen landet wenn Du mich dabei störst, ihn aus der Tasche zu fummeln als wenn Du einfach abwartest.
Vielleicht erschaffe ich jetzt ein neues Problem. Vielleicht wird er nun dauernd stehenbleiben. Aber ich vertraue auf sein Klemmbrett und seinen Notizen, dass er das nicht allzu oft versuchen wird. Und vielleicht sollte ich mir auch mal so ein Klemmbrett anschaffen. Denn mein kleines Systematiker überlässt nichts dem Zufall, da darf ich wach und aufmerksam sein und immer mitbekommen was er sich neues überlegt hat. Ich fürchte, wenn ich Fragen unbeantwortet lasse, wir er eigene Antworten finden – und ob die immer in meinem Sinne sind…
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