Kennen-Lernen

Immer wenn ich ein neues Pferd im Unterricht treffe, ist für mich eine der spannendsten Fragen: wie lernt dieses Pferd? Ich denke dann gern zurück an eine Projektwoche in der Schule, in der ich bei der Stepptanzgruppe mitgemacht habe. Damit wir am Ende der Woche etwas aufführen konnten ging es natürlich darum, eine Choreographie einzustudieren. Oje, da habe ich mich schwer getan! Ich war die letzte, die sich all die Schritte merken konnte. Aber als ich sie konnte, war ich bombensicher darin und ich konnte sie noch Jahre später abrufen obwohl ich sie nie wieder brauchte. Langsam gelernt – langsam vergessen. Andere lernen schnell und vergessen schnell.
Und noch andere Unterschiede beobachte ich bei Pferden: manche lernen am besten, wenn man ihnen nur den allerersten Schritt einer Übung zeigt und sie dann damit in Ruhe lässt. Später können sie plötzlich die komplette Übung fehlerfrei abliefern. Andere lernen dann aber nur diesen ersten Schritt und kommen gar nicht auf die Idee, dass da noch mehr zu entdecken sein könnte. Sie bleiben dann dort hängen und man muss ihnen das komplette Programm zeigen, damit sie wissen, was alles dazu gehört. So wird manches Pferd, wenn es rückwärts gehen soll und man die erste Gewichtsverlagerung nach hinten belohnt, danach anstandslos rückwärts gehen während ein anderes die Gewichtsverlagerung perfektioniert aber nicht auf die Idee kommt, die Füße zu bewegen. Wenn es dann doch passiert, sind diese Pferde oft überrascht, weil sie es so gar nicht geplant hatten.
Manche Pferde mögen Wiederholungen und brauchen die selbe Übung ein paar Mal in der selben Art und Weise bis es ihnen leicht fällt. Andere empfinden Wiederholungen als „Nachsitzen“ und werden dann ungehalten. Bei solchen Pferden nutze ich Wiederholungen wenn ich zum Beispiel erreichen möchte, dass sie etwas SOFORT tun, anstatt sich bitten zu lassen. Ich wiederhole, bis sie es sofort tun, dann sind sie fertig mit der Übung und empfinden das als so große Belohnung dass sie es in Zukunft einfach immer sofort machen, um fertig zu werden. Andere sind so stolz, wenn sie etwas verstanden haben, dass sie es gleich noch ein paar mal anbieten und manche übertreiben es dann so, dass man sie stoppen muss in ihrem Übereifer.

Manche raten gern. Wenn man ihnen möglichst wenig Information gibt, machen sie sich auf die Suche nach Lösungen und lieben es, dabei kreativ zu sein. Andere wiederum verzweifeln daran und möchten lieber eine ausführliche und detaillierte Erklärung bekommen, was sie wann genau wie tun sollen. (Ich glaube, Duncan fällt in diese zweite Kategorie)
Es ist eben genau wie bei uns Menschen, jeder von uns möchte Information auf eine andere Art und Weise serviert bekommen. Ich war zum Beispiel immer ein Ass in Mathe und habe logischerweise in der Oberstufe Mathe-Leistungskurs gewählt. Aber dann hatte ich dort eine Lehrerin, deren Erklärungen ich einfach nicht verstehen konnte und es war vorbei mit meinen Künsten. Andere, die Probleme hatten, Mathe zu verstehen, blühten bei dieser Lehrerin erst so richtig auf und waren glücklich sie zu haben, während ich nur noch frustriert war. Bei den Pferden ist es meine Aufgabe, möglichst gut herauszufinden, welches Pferd wie lernt und dann meine Ausbildungsmethode anzupassen.

Mit Duncan sind wir nun ein paar mal auf dem Reitplatz gewesen und ich stelle mir genau diese Fragen: Wiederholen oder nicht? Viel Information geben oder wenig? Was ist die beste Belohnung? Wie sieht er aus wenn er nicht versteht, müde ist, nicht mehr mag oder noch Zeit zum knobeln braucht? Wie klein sollen die Lernschritte sein, welche Tageszeit passt am besten und so weiter und so fort.
Große Frage im Moment: wenn er eine Übung gut gemacht hat und wir dann Feierabend machen, was wird dann daraus? Das werde ich dieser Tage wohl zu sehen bekommen.

Mein wunderschöner Ritter

Als wir am Dienstag auf dem Abenteuerspielplatz waren (Duncan hat Euch gestern hier https://schotten-pony.com/2020/07/22/aus-dem-tagebuch-des-sir-duncan-dhu-55/ darüber berichtet) war ich gespannt, welchen Schwierigkeitsgrad die einzelnen Hindernisse für ihn darstellen. Ich war mir sicher, dass er die Schwimmnudeln unproblematisch findet, weil er ja auch direkt unsere Dualgassen auf dem Rücken akzeptiert hat und kein Problem mit irgendwelchen Berührungen hat. Und ich hatte Recht.
Recht hatte ich auch damit, dass er das Wasser schwierig finden würde. Da er draußen beim Spazierengehen glänzende Wasserflächen öfter mal skeptisch beäugt war ich sicher, dass er zögern würde. Allerdings geht er problemlos durch Pfützen wenn er sie anschauen darf. Dass er also SO viel Stress auf das Wasser hat, hätte ich nicht erwartet. Der Aufbau mit der Teichfolie und der Kante über die man hinein steigt hatte doch einen ungeahnt hohen Gruselfaktor.
Ich habe mich nicht viel in seine Versuche eingemischt , das einzige was ich nicht wollte, war, dass er am Wasser vorbei über mich drüber läuft. Da wurde ich dann doch unbequem wenn er das versuchen wollte. Ansonsten haben wir halt lange da herumgestanden. Er hat immer wieder geschaut und wenn er anfing mit dem Huf darin herumzuprobieren gab es einen Keks. So kamen wir schließlich da hin dass er beide Vorderhufe im Wasser stehen hatte und auch stehenblieb. Das war genug für den Tag und ich habe Feierabend gemacht. Nächste spannende Frage: was passiert, wenn wir wiederkommen und er erneut mit dem „schwarzen Loch“ konfrontiert wird?

Auch überrascht war ich, wie schwer er den schmalen Steg fand. Angst hatte er keine (behaupte ich mal…. ) aber er musste sich doch recht konzentrieren um seine 4 Füße auf dem Steg zu halten, obwohl der für so ein schmales Pony eigentlich komfortabel breit ist. Nun ist er ja aber auch mitten im Wachstum und hat vielleicht gerade kein gutes Gleichgewicht. Oder aber er hatte eben doch etwas Angst vor dem lauten Geräusch dass seine Hufe auf dem Steg gemacht haben. Oder es hat ihn beunruhigt wenn er daneben ins Leere getreten ist. Wer weiß? Ich (noch) nicht.

Manchmal sagen Menschen (ja ich bin da auch nicht ganz unschuldig) es sei doch „langweilig“ wenn das alles so klappt, wofür fährt man dann in den Trailpark? Ich glaube da unterliegen wir einem gewaltigen Irrtum. Zum einen ist es für Kinder ja auch nicht langweilig auf den Spielplatz zu gehen – auch wenn sie sich alles trauen und alles können. Rutschen, wippen, Seilbahn fahren und dergleichen mehr dienen der Stimulation von Gehirn und Körper. Bei Kindern wissen wir das – bei Pferden vergessen wir es.
Zum anderen ist es unendlich spannend das Pferd dabei zu beobachten WIE es mit den Dingen umgeht. Duncans Spaziergehkumpel, der auch die meisten Hindernisse (außer dem schwarzen Loch) mit Bravour gemeistert hat, musste zwischendurch Dampf ablassen und hüpfte lustig durch die Gegend. Duncan hingegen war nur anfangs etwas bissig, bevor er sich dann in Ruhe auf mich und die Aufgaben konzentrieren konnte. Hüpfen als Stressabbau hat er nicht im Programm (wie schön für mich) und was das beißen bedeutet weiß ich ja nun. Außerdem konnte ich klar sehen, wann er müde war. Er hat ca 35 Minuten konzentriert und ruhig gearbeitet und dann war das Gehirn plötzlich für einen Moment aus. Kurze Ruhephase, dann konnte er nochmal ein paar Minuten aber ich habe es dann beendet, damit wir einen guten Abschluss haben. Nun finde ich 35 Minuten für so ein junges Pferd in fremder Umgebung mit so vielen Eindrücken schon sehr amtlich und ich habe ein ungefähres Maß womit ich rechnen kann wenn ich aufregende Ausflüge plane, die über unser normales Spazierengehen hinausgehen.

Ich hoffe natürlich, dass auch er etwas gelernt hat. Was das ist, wird er mir vielleicht im Laufe der Zeit verraten, wir werden sehen.
Was er schon gelernt oder geübt hat: er kann jetzt auch wenn er bissig ist noch einmal wieder ruhig und konzentriert werden. Früher war bissig das Ende der Fahnenstange, dann war er müde und zu kaputt um sich noch anständig zu benehmen. Diesmal kam das bissige gleich am Anfang und ging dann über in eine sehr guten Konzentrationsphase. (Im Übrigen ist es gut möglich, dass diesmal meine eigene Aufgeregtheit die Bissigkeit ausgelöst hat – er wurde ruhiger als ich mich selbst bewusst mehr zur Ruhe gebracht habe).

Und so lernen wir uns weiter kennen und ich versuche ihn weiter mit offenen Augen zu beobachten, nicht zu schnell Schlussfolgerungen zu ziehen sondern lieber noch einmal mehr hinzuschauen und vor allem zu akzeptieren dass sich bei einem jungen Pferd auch alles fix wieder ändern kann. Ich suche nach Konstanten auf denen ich meine Ausbildung aufbauen kann aber im Moment ist die Liste noch kurz. Klemmbrett raus und Notizen gemacht! (Ihr erinnert Euch? https://schotten-pony.com/2020/03/19/klemmbrett/ )

Beteilige dich an der Unterhaltung

2 Kommentare

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