Intelligenz

Manchmal nenne ich Duncan „Mr. Brain“. Weil ich das Gefühl habe, das gut geölte Maschinchen zwischen seinen Ohren hat schier unendliche Kapazitäten. Aus seinem Klemmbrett ist mittlerweile ein ganzes Buch geworden. Und ein großes Kapitel darin beschäftigt sich mit meiner Körpersprache. Er nimmt jedes noch so kleine Detail wahr und weiß vor allem – zu meinem Leidwesen – immer sofort wenn ich mal nicht aufmerksam bin. Mein Lieblingsbeispiel: ich fahre ihn vom Boden, er trägt Scheuklappen. Er kann mich also nicht sehen! Wir gehen schön den Weg entlang da weist meine Freundin mich auf einen besonderen Vogel hin, der in einem Baum sitzt. Ich schaue nach dem Vogel und im selben Moment hat Duncan die Nase auch schon im Gras. Wie gesagt: sehen konnte er mich nicht. Aber trotzdem war seine Wahrnehmung so akkurat, dass er seine Chance erkannt hat. Davor hat er es noch nicht mal versucht! Es ist eine Krux mit diesen Ponys. Sie wissen einfach viel zu viel über uns. Jetzt wo Duncan etwas erwachsener ist, wird er lernen dürfen, dass er sich auch dann noch benehmen muss, wenn ich mal nicht ganz konzentriert bei ihm bin. Klar, in einer perfekten Welt wäre meine Konzentration immer zu 100% bei ihm. Aber das wird sie nicht sein. Ich möchte mir beim Spazierengehen auch mal die Landschaft anschauen und ich muss zwischendurch auf die Karte schauen (das wird auf Distanzritt nicht weniger werden!). Und das ist keine Einladung an den hungrigen Ritter, sich sofort das nächste fressbare Grün einzuverleiben! Es gibt nun also deutlich Abmahnungen bei solchen Aktionen und das zeigt auch schon Wirkung. Wer stundenlang mit mir unterwegs sein möchte, muss damit leben, dass auch meine Aufmerksamkeit mal wandert.

Duncan heißt bei mir „Mr. Brain“, weil er nicht nur unglaublich schnell lernt (wobei ich bei vielen jungen, unverdorbenen Pferden erlebe, dass sie unglaublich schnell lernen, also ist mein Pony da wohl eher Durchschnitt), sondern weil er vor allem unglaublich viele Informationen verarbeiten kann. Der „Systemausfall wegen Datenüberlastung“, den es bei jungen Pferden mehr oder weniger früh gibt, scheint bei ihm quasi nie stattzufinden. Ich glaube ich habe das jetzt in zwei Jahren nur 2 mal erlebt. Während bei anderen Pferden in schöner Regelmäßigkeit dieser Moment kommt, wo sie plötzlich schreckhaft oder unendlich langsam oder in irgendeiner Form „blöd“ werden, scheint es diesen Zustand bei Duncan „the brain“ Dhu nicht zu geben. Selbst im Urlaub in völlig fremder Umgebung mit all den Eindrücken war er nach 3 Stunden Spaziergang noch völlig er selbst. Müde ja, aber total denkfähig und präsent.

Dabei glaube ich nicht, dass mein Pony bei den gängigen Intelligenztests für Pferde besonders gut abschneiden würde. Aber was ist das schon, Intelligenz? Mein Merlin, der mit Menschen so geschickt umgeht und wahnsinnig gut und schnell neue Dinge lernt, war der letzte, der begriffen hat, wie unser neues Zaunsystem aufgebaut ist. Und Diego, der so wahnsinnig toll die Herde anführt und dabei jedes Problem lösen kann, ist verloren, wenn man ihm einen unsicheren Menschen an die Seite stellt. Wer von beiden ist nun intelligenter? Keine Ahnung. Meine Schwester (ihres Zeichens Professorin) hat zu mir mal gesagt, zwischen uns bestünde kein Intelligenzgefälle. Oh, da fühlte ich mich geehrt. Aber wie will man das feststellen? Ich glaube nicht daran, dass man Intelligenz anhand von Aufgaben in Punkte einteilen kann. Ich habe sogar mal gelesen, dass Menschen intelligenter sind, wenn sie mehr Geld haben. Dort wurde die Intelligenz bei Menschen bestimmt, die ihr Geld in wenigen Wochen im Jahr einnehmen – ich glaube es waren Zuckerrübenbauern. Vor der Ernte sind sie arm, dann sind sie plötzlich reich – und intelligenter als im armen Zustand (laut Test). Das ergibt Sinn, denn Armut macht Stress und Stress hindert uns am Denken.

Ob mein Pony einen Apfel aus einem Wassereimer angeln oder ein Stalltor auf machen kann, ist mir herzlich egal – bzw im Fall des Stalltores bin ich heilfroh, wenn er es NICHT kann. Ich erinnere mich grinsend an Martin Rütter, der einmal sagte, es sei gar nicht so toll, einen wahnsinnig intelligenten Hund zu haben und er würde Anfängern immer eher zu einem „dümmeren“ Modell raten. Die kriegen nämlich nicht raus, wie man Türen und Mülleimer öffnet. „Lernt schnell“ klingt immer so toll, weil wir dann meinen, wir können den Tieren schnell das beibringen war WIR wollen. Stimmt, aber sie lernen eben auch sehr schnell was sie tun müssen um zu kriegen was SIE wollen und das stimmt nicht immer überein (womit wir wieder beim unerlaubten Fressen unterwegs wären…..). Duncan ist jetzt mein 4. eigenes Pferd. Ich könnte partout nicht sagen, welches von den vieren am intelligentesten ist. Jedes hat(te) seine Stärken und Schwächen. Aber definitiv scheint Duncan den größten „Arbeitsspeicher“ mitzubringen, in dem er schier unendliche Mengen von Eindrücken verarbeiten kann, wo die anderen drei längst an ihrer Kapazitätsgrenze wären. Und wo ich am Anfang noch Zweifel hatte, ob ich ihn überschätze, bin ich mir jetzt sicher, dass ich mich darauf verlassen kann. Und das finde ich äußerst erstaunlich, ganz besonders im Hinblick auf sein Alter und seine begrenzte Lebenserfahrung .

Und so habe ich wieder Glück gehabt, denn genau das ist eine Eigenschaft, die ein Pferd sowohl sehr Kutsch- als auch sehr Distanztauglich macht.

Denn die Intelligenz, die jedes Pferd in irgendeiner Form mitbringt, kann sich natürlich dort am besten zeigen, wo das Pferd seine Stärken hat. Während mein Merlin nie ein guter Herdenchef war, hat er doch vielen ängstlichen oder unsicheren Reitern geholfen, zu lernen und er hat als „Professor“ einigen Fortgeschrittenen ein paar Feinheiten gezeigt. Diego hingegen, der nie ein Anfängerpferd sein wird, ist ein großartiger Lehrmeister für junge und unsichere Pferde und macht – so lange Arnulf dabei ist – einfach alles mit. Und mein Duncan, na der ist eben der rechte Abenteurer, dem es gar nicht genug Erlebnis sein kann.

Wenn jeder in seinen Stärken glänzen darf, dann bleibt mein „Mr. Brain“ kein Einzelfall.

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