Zeit

Mir scheint,mein kleiner Forscher hat mal wieder sein Klemmbrett raus geholt. Diesmal forscht er in einer anderen Richtung. Ehrlich gesagt, hätte ich schon sehr viel früher damit gerechnet….

Jedes Pony bekommt irgendwann heraus, was unsere Schwachstelle ist. Und eine Schwachstelle haben wir Menschen alle gemeinsam: die Zeit. Das ist praktisch für die Ponys, denn die haben an der Stelle kein Problem.

Unsere Ponys haben keine Uhr, keine Termine und sie werden auch nicht nach Zeit bezahlt. Im Grunde habe ich keine Vorstellung davon, wie das Zeit-Konzept der Ponys aussieht. Sie entwickeln ja schon ein Gefühl dafür, wann Fütterungszeit ist und sie haben auch so ihren Rhythmus, aber sie tun eben das wonach sie sich gerade fühlen. Die Tatsache, dass sie so viel Zeit haben, macht manches Pony zum Ausbrecherkönig oder bringt es dazu, unglaubliches Geschick im Erhaschen letzter Grashalme unter dem Zaun zu entwickeln. Ich erinnere mich, als ich einmal über meinen jungen Hund gesagt habe „ich weiß gar nicht woher die das alles weiß“ hat mir jemand geantwortet „die hat nichts anderers zu tun als dich den ganzen Tag zu beobachten“. Und das war so einer dieser Sätze wo ich schlagartig etwas verstanden habe. Unsere Tiere und auch die kleinen Kinder haben nichts anderes zu tun als zu beobachten. Und dann probieren sie aus. Und an irgendeinem Punkt beobachten sie, dass Zeit unsere Schwachstelle ist. Und dann fangen sie an, das für ihre Belange zu nutzen.

Duncan zum Beispiel kann zum putzen wunderbar unangebunden auf dem Hof stehen. Ab und zu gibt es einen Keks dafür, jetzt gerade versuche ich die Keksrate etwas zu senken. Damit ist mein Ritter nun nicht so ganz einverstanden, aber anstatt nach Keksen zu fragen, hat er sich überlegt, dass man ja auch selbst auf die Suche nach Fressbarem gehen kann. Ein Heuhalm hier, ein Haferkorn von Merlin da. Und schon steht man nicht mehr still. Ich nehme ihn am Strick, stelle ihn wieder auf seinen Platz, sage ihm, dass er dort stehen soll. Wende mich wieder dem Putzen zu – zack, geht Duncan wieder los. Ich nehme seinen Strick, stelle ihn wieder an seinen Platz, sage ihm, dass er da stehenbleiben soll. Wende mich wieder dem Putzen zu – Duncan geht wieder los. Ich nehme ihn am Strick und stelle ihn wieder auf seinen Platz. Und das könnt Ihr jetzt ein paar Mal in Dauerschleife lesen, dann habt Ihr einen realistischen Eindruck.

Duncan weiß aber nicht, dass meine Lieblingsreitlehrerin mir mal den entscheidenden Tipp gegeben hat, wie man solche Situationen durchsteht ohne wahnsinnig zu werden. Sie sagte „das Pferd soll aus der Situation rausgehen mit dem Gefühl: warum war ich so blöd und hab mir so viel Arbeit gemacht, wenn die Lösung so einfach ist?“

Das ist seitdem immer mein Tipp auch an meine Schüler: je länger es dauert, desto mehr können wir uns freuen! Denn je länger es dauert, desto größer ist nachher der Aha-Effekt beim Pferd: so einfach hätte es sein können! Ich hätte das alles viel schneller haben können und mit viel weniger Aufwand! Da hätte ich wohl besser das gemacht was mein Mensch gesagt hat…..

Und so haben wir doppelten Erfolg: das Pferd hat eine gute Verhaltensweise gelernt und es hat auch noch gelernt, dass sein Leben viel leichter ist, wenn es tut, was wir ihm sagen.

In Duncans Fall bedeutet das, dass er einfach nur noch kurz stehenbleiben soll und dann kommt der Keks, während dieses ganze Herumgewandere ihm nur einbringt, dass ich ihn immer wieder zurück schicke auf seinen Platz.

Auch an einer anderen Stelle probiert Duncan diese Taktik (hier ist sie nur nicht ganz neu, das hat er schon mal versucht): wie gehen spazieren, Diego vorne weg. Dann hält Arnulf Diego an und lässt ihn grasen. Duncan sieht das und möchte natürlich auch sofort zum Gras! Er zischt nach vorne und beachtet mich nicht. Ich bleibe wortlos stehen, er rennt in den Strick, dreht sich um, schaut mich fassungslos an. Ich bleibe stehen, lasse ihn um mich herumgehen, sage ihm, wo er hätte anhalten sollen. Er ignoriert mich, läuft in den Strick, dreht sich wieder um und schaut mich fassungslos an. Erst im 3. Versuch schafft er es, so anzuhalten wie ich es ihm sage, dann darf er grasen. Ich versuche, so entspannt wie möglich zu bleiben und ihn selbst herausfinden zu lassen, wie er am schnellsten ans Gras kommt. Er war an dem Punkt schon mal, im Frühling. Jetzt, wo die Weidesaison beendet ist und die Ponys von Heu leben müssen, ist der Wert des Grases am Wegesrand deutlich gestiegen und er fängt wieder an zu diskutieren.

Ich persönlich mag es, wenn Ponys das Zeit-Spiel spielen. Auf irgendeinem Wege muss man ja auch mal Dinge ausdiskutieren und das Spiel auf Zeit ist so schön entspannt und gewaltfrei. Kein wildes Zerren am Strick, kein Beißen, Rempeln oder andere Fiesigkeiten. Mein Spruch an der Stelle ist immer „sei sturer als Dein Pony“. Und der jahrelange Umgang mit Ponys hat meine Sturheit zur vollen Blüte kommen lassen. Jetzt wird sie also wohl dem Duncan-Test unterzogen. Ich bin gespannt, wie viel Sturheit in ihm steckt und wann er wieder die Taktik wechselt. Und ich achte wieder besonders gut darauf, genug Zeit mitzubringen, wenn ich etwas bestimmtes von ihm will. Denn er hat Zeit ohne Ende……

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