Unbeschwert

Duncan hat Euch ja in seinem Tagebuch (unter der noch gar nicht fälligen Nummer 333) das Video von unserem Hallenspiel gezeigt. Was für ein Riesenspaß! Und gleichzeitig für mich ein großes Erlebnis, weil alles sich so vertraut angefühlt hat. Da war keine Skepsis mehr bei mir, ob ich mir Erziehungserfolge kaputt mache, ob ich Duncan überdrehe oder überfordere ohne es zu merken, ob wir eine gemeinsame Idee haben, was wir da so tun könnten: wir beide kennen uns jetzt wirklich gut genug, um einfach völlig ungehemmt Spaß zu haben. Ein fröhliches Spiel, in dem manchmal er eine Idee hat, manchmal ich. Und ich konnte ihn so gut lesen, das ich wusste, wann es zu viel wurde, wusste, wann ich ihn etwas runterdrehen muss. Immer noch einen Hauch zu spät mit meinen Erkenntnissen, aber nur noch einen Hauch. Und er konnte deutlich kommunzieren, was er jetzt gut finden würde und wie er sich das vorstellt. Wenn alles zu viel war, ist er von mir weg gehopst, nicht auf mich zu oder gar in mich rein. Kurz und gut: einfach nur gemeinsamer Spaß.

„Unbeschwert“ nenne ich diesen Artikel, denn als ich darüber nachdachte, fiel mir zum ersten Mal auf, dass „unbeschwert“ so etwas wie eine doppelte Verneinung ist. Man könnte ja auch sagen „leicht“ und würde technisch gesehen das selbe meinen, dennoch tut man das im Sprachgebrauch nicht: da bedeutet „leicht“ etwas anderes als „unbeschwert“ oder? Ich war unbeschwert im Gegensatz zu den 3,5 Jahren die vergangen sind und die immer durch etwas „beschwert“ waren. Ich erinnere mich noch an diesen Tagebucheintrag in dem Duncan so schön schreibt, dass mein schweres Herz ganz leicht wird, sobald er mich trägt. Der Inbegriff von „unbeschwert“, oder? Vorher schwer, nachher leicht.

Unser Hallenspiel war unbeschwert – kein Gedanke an Erziehung oder Ausbildung, kein Ziel, kein Thema, kein zu lösendes Problem, keine Angst. Schockierend für mich selbst zu sehen, wie lange ich so etwas nicht erlebt habe. Das ist natürlich nicht Duncans Schuld! Er macht ja sowieso eigentlich immer alles richtig, jemand mit gelassenerem Gemüt und ohne traumatischen Verlust im Hinterkopf hätte von Anfang an fast jeden Tag unbeschwert sein können mit ihm. Ich nicht. Und wenn ich mich so umsehe in meinem Schülerinnenkreis, dann sehe ich dort ebenfalls wenig Unbeschwertheit. Sorgen um die Gesundheit des Pferdes, Ansprüche an die eigenen Künste, Ängste, auch all die Dinge, die aus dem Alltag mit zum Pferd kommen liegen vielen von uns als Ballast auf der Seele rum. Wenn ich dann zum Unterricht komme, ist natürlich auch der Anspruch da, dass es voran gehen soll. Meine „Beschwerung“ der letzten 3,5 Jahre war oft der Gedanke an Duncans Hengst-sein. Der Gedanke, dass ich viel genauer aufpassen muss, was ich ihm beibringe als ich das bei einem Wallach tun würde. Der Gedanke, dass ich keine Erfahrung mit diesen Dingen habe. Dass ich nicht weiß, wohin die Entwicklung geht. Grundätzlich aber auch das Wissen darum, dass das, was er jetzt lernt, so viel Einfluss auf unsere Zukunft hat, weil es eben die ersten Dinge sind, die Grundlage für alles. Viel mehr als alles was später kommt, wird ihn das prägen, was in den ersten Jahren passiert. Jetzt ist der 4,5 Jahre alt, ich habe bereits 3,5 Jahre investiert und ich sehe an allen Ecken und Enden wie mein Plan schön aufgeht. Und je öfter ich sehe, wie Duncan sich benimmt, desto unbeschwerter werde ich. Desto mehr fällt eine Last von meinen Schultern und es fällt auch Altlast von meinem Herzen. Je öfter er mich trägt und je mehr ich ihm dabei vertraue, desto leichter wird die Trauer um meinen Finlay. Jetzt, nachdem er über 3 Jahre tot ist, kann ich mir Erinnerungen anschauen und lächeln. Dann vergleiche ich manchmal: schau mal, da war Finlay so alt wie Duncan jetzt ist. Und der Vergleich tut nicht mehr weh. Das ist neu – und unbeschwert.

Duncan ist – genau wie mein Finlay es war – selbst ein unbeschwertes Pferd. Er hat in seinem Leben nichts schlimmes erfahren, hat eine solide Vertrauensbasis. Er hat ein gutes Seelenfundament, das stabil genug ist um auszuhalten, was das Leben uns vielleicht noch so zumutet. Im Gegensatz zu mir macht Duncan sich keine Gedanken um die ferne Zukunft, sondern nur um die nähere (wer weiß schon, wie und wie weit Pferde voraus denken – einen Tag, eine Woche? Ich behaupte: nicht länger als das, denn das würde ihnen wohl nichts nützen.). Ich hingegen denke an Jahre, die noch kommen und manchmal „beschwert“ mich das, weil ich weiß, dass da noch Pubertät und Entwicklung zu durchleben ist und und weil ich nicht weiß, was uns diese Zeit noch bringt. Umso wichtiger ist es, dass ich mir die unbeschwerten Momente hole und sie bewusst wahrnehme und das mache ich mir jetzt zur Aufgabe. Ich allein bin dafür verantwortlich, mir solche Momente zu suchen, zu finden und sie auszukosten. Duncan steht parat und ist sicher jederzeit dafür zu haben.

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