Getragen

Auf vielen Pferden kann man sitzen. Mit Glück kann man sie lenken und bremsen. Aber wenn ein Pferd einen wirklich trägt, ist das für mein Gefühl etwas ganz anderes.

Ich sage ja immer „ein gutes Pferd bleibt immer unter seinem Reiter“ und während viele meine Schüler den Spruch lustig finden, meine ich ihn absolut ernst. Denn ein wirklich gutes Reitpferd – eines was gut ausgebildet wurde und daher nicht nur die Fähigkeit, sondern auch Lust hat, es richtig zu machen – trägt den Reiter wirklich.

Als Arnulf und ich auf Distanzritt waren – damals mit Finlay – kamen wir im flotten Trab an einem Bauernhof vorbei. Mehrere tote Schweine lagen dort zur Abholung durch die Tierkörperverwertung am Zaun. Nun erschreckt Diego sich ja so gut wie nie, aber in diesem Moment machte er doch mal einen gehörigen Satz zur Seite. Nach allen physikalischen Gesetzen hätte Arnulf zumindest etwas in Schräglage kommen müssen. Aber zu meinem Erstaunen konnte ich von hinten beobachten, wie Arnulf ganz geschmeidig in der Bewegung mit ging und völlig gerade blieb. Sehr beeindruckt von seinen reiterlichen Fähigkeiten sprach ich ihn darauf an, aber Arnulf meinte, das sei allein Diegos Verdienst gewesen „er hat mich mitgenommen“ sagte er. Und ich weiß, was er gemeint hat. Ein gutes Pferd kann das. Es springt nicht unter seinem Reiter heraus, sondern nimmt den Reiter so mit, dass beide unbeschadet bleiben. Das hat etwas magisches. Und dieses Gefühl, dass das Pferd einen trägt, das macht für mich Reiten aus. Dabei ist es egal, ob mein Pferd piaffiert oder im Schritt durchs Gelände bummelt. Es ist ein Gefühl der Sicherheit und eben des getragen-werdens.

Getragen werden ist für uns Menschen wohl von Natur aus ein gutes Gefühl. Nicht umsonst tragen Eltern ihre Babys auf dem Arm, sei es zum einschlafen, zum trösten oder um die Welt gemeinsam zu erkunden. Ich kenne sogar inzwischen einige junge Mütter, die noch nicht einmal im Besitz eines Kinderwagens sind, weil sie überzeugt sind, dass getragen werden so wichtig ist für Kinder.

Wenn ein Pferd mich wirklich trägt ist das für mich immer etwas ganz besonderes. Ich mache gern Bodenarbeit in allen möglichen Varianten, gehe spazieren oder fahre Kutsche, alles toll. Aber reiten – in dem Sinne wie ich es so gern erlebe – ist für mich unersetzlich. Und jetzt wo Duncan mich immer mal ein Stück trägt, merke ich erst so richtig, wie sehr mir das gefehlt hat. Obwohl ich ja auch Merlin noch ein bisschen reite und Diego mich auch immer mal trägt. Aber die Aussicht (auch wenn es immer noch nur eine Aussicht ist) darauf, dass mein eigenes Pony mich wieder mal einfach so durchs Gelände trägt, ich nicht Arnulf fragen muss ob ich mir Diego leihen darf, ich nicht Merlin fragen muss, was er heute wohl so schafft, sondern mir die Kraft meines kleinen Hengstes leihen kann – später über viele Kilometer und Stunden hinweg – diese Aussicht gibt mir Aufwind.

Und am Sonntag habe ich genau gefühlt: Duncan fängt an, mich zu tragen. Zuerst war ich eine Last auf seinem Rücken, die ersten Reitversuche waren für ihn sehr anstrengend (auch wenn er sich das ja immer nicht anmerken lässt). Mich auszubalancieren war eine Herausforderung für ihn, weil ich recht groß und schwer bin im Verhältnis zu ihm und ihn also schnell aus dem Gleichgewicht bringe. Über jeden Schritt musste er knobeln. Dann kam der Tag an dem er es raus hatte. Aber immer noch habe ich mich auf seinem Rücken gefühlt wie eine Last. Etwas was er schleppt wie die vollen Satteltaschen. Aber diesen Sonntag war da dieses Gefühl: er trägt mich. Wie ein Gentleman den Berg runter. Er achtet darauf, dass ich gut sitzen kann, er passt gut auf uns beide auf. Es ist ein wunderbares Gefühl und dass er es mir schon jetzt schenkt liegt sicher auch daran, dass er von Natur aus so ein gutes Körpergefühl und vom Spiel gut trainierte Muskeln und Nerven hat. Es fällt ihm jetzt leicht, mich zu tragen und er genießt es, dass er dann mal das Tempo vorgeben kann. Und ich glaube, auch er fühlt, dass wir damit unsere Welt vergrößern – von meinem Radius, den ich mit meinen Füßen erlaufen kann auf seinen, den er mit seinen Hufen erlaufen kann, während er mich trägt. Und das ist ein so viel größerer Radius! Wenn man bedenkt, dass menschliche Marathonläufer ca 40km an einem Tag laufen, während pferdige Marathonläufer das 4fache an einem Tag schaffen, dann erkennt man schnell die Dimensionen. 10km sind für mich persönlich ein anstrengender Spaziergang und bei all dem Gelaufe der letzten Jahre bin ich da auch nie drüber hinaus gekommen. Ich bin kein guter Zu-Fuß-Gänger. Aber 10km reiten, das ist fix gemacht.

Es gibt Menschen, die ihre Pferd nicht reiten. Es werden immer mehr, die aus verschiedensten Gründen nicht mehr aufsteigen oder nur noch sehr selten. Ich verstehe viele der Argumente. Klar, wenn das Pferd das nicht kann oder will ist es für mich logisch, nicht zu reiten. Wenn der Mensch nicht kann oder will auch. Aber spätestens seit ich Elsa Sinclairs ersten Film gesehen habe („taming wild„) glaube ich, dass viele Pferde ihre Menschen gerne tragen, genau deswegen weil sie merken, dass es dann in ihrem eigenen Tempo voran gehen kann (im Rahmen der „Absprache“ zwischen Mensch und Tier). Letztendlich wird es – wie so vieles – eine individuelle Entscheidung sein und so lange das Pferd dabei ein Mitspracherecht hat und der Mensch die Gesundheit seines Reittieres im Blick behält, ist doch alles gut. Bisher hat Duncan sich erst einmal komisch verhalten – am Sonntag, direkt nach dem Aufsteigen und losreiten. Ich bin also wieder abgestiegen, weil ich nicht wusste, was das Problem ist. Das „Problem“ war allerdings die Anwesenheit von frischem grünem Gras am Wegesrand, das Duncan viel zu verlockend erschien um daran vorbei zu gehen. Also bin ich wieder aufgestiegen und habe deutlich gemacht, dass ich immer noch selbst bestimmen möchte, wann Graspause ist. War dann auch ok. Ich werde weiterhin genau hinsehen, ob Duncan äußert, dass ich nicht aufsteigen soll oder lieber wieder absteigen. So wie wir in der Bodenarbeit auf dem Platz nach und nach Zeichen entwickeln mit denen Duncan mir sagt, dass er Schluss machen möchte oder im Gegenteil eben noch nicht Schluss machen möchte.

Und wann immer er mich bereitwillig auf seinen Rücken lässt, freue ich mich und fühle mich gut getragen. Danke, Du Ritter meines Herzens!

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2 Kommentare

  1. könnte mir vorstellen, dass es für ein Pferd eine sehr interessante Zeit sein kann, einen Menschen mitzunehmen.
    Im domestizierten Fall: es gibt ja Reiter, die dann immer denselben Weg reiten. Wenn es dann mal woanders hin geht … Überraschung! Und dann ist so ein Ausritt sicher interessanter als bloß auf der Weide zu stehen.

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