„Der kleine Dunci“ sagt meine Freundin (oooooh für diese Formulierung wird sie seitens des Ritters sicher böse Blicke ernten!) „man kann sich doch auf ihn verlassen, wenn es hart auf hart kommt“.
Ein Verlasspferd, das gibt es ja vor allem im Verkaufsanzeigen. Im realen Leben sind diese Tiere eher selten unterwegs. Aber es gibt sie schon, je nachdem wie man „Verlasspferd“ definiert. Für mich ist das nicht ein Pferd das nie Fehler macht, sich nie erschreckt oder mit dem man keinen Unfall hat. Ein Pferd ist keine Maschine (und selbst auf die ist nie 100% Verlass). Ein Verlasspferd ist in meinen Augen ein Pferd, dass in unbekannten, ungeübten, potentiell gefährlichen Situationen gute Entscheidungen trifft. Diego zum Beispiel ist in meinen Augen ein absolutes Verlasspferd. Als er sich wirklich mal richtig böse erschreckt hat und einen großen Satz zur Seite machte, hat Arnulf nachher geschworen, Diego hätte ihn bewusst mitgenommen, sich so bewegt, dass Arnulf nicht fällt. Ja, auch ein Verlasspferd kann das bestimmt nicht immer, aber eben so oft, dass man sich mit ihm sicher fühlt.
Duncan ist natürlich noch kein Verlasspferd, das ist man mit 3 Jahren einfach nicht. Im Gegenteil, er ist mal wieder in der Pubertät und stellt Grundregeln in Frage. Aber im Gegensatz zum letzten Pubertätsschub hat sich etwas geändert. Neulich als wir spazieren waren und er es eigentlich eilig hatte, hat er trotzdem nicht am Strick gezogen. Kopf schlenkern, Kekse haschen wollen, grimmig gucken und die Stricklänge voll ausloten, ja. Aber kein Gezerre mehr. Und als ich dann – immer noch überfordert mit 7m Seil – den Strick plötzlich hinter meinem Fuß hatte und im Gehen versuchte, mich zu sortieren, da wurde er langsamer. Ganz selbstverständlich, schaute zu mir rüber, nahm mein Problem wahr und half mir, es zu lösen indem er Rücksicht nahm. Ich weiß nicht ob irgendjemand nachvollziehen kann wie sich das anfühlt, außer den Menschen, die es selbst erlebt haben. Da ist dieser Rotzlöffel mit all seinen Launen – aber wenn es ernst wird, nimmt er eben doch Rücksicht. Das gibt mir das Gefühl, dass ich ihm wichtig bin, wichtiger als noch vor ein paar Monaten. Und dass er erwachsener geworden ist.
Bei unseren Aufsteigeübungen habe ich neulich nicht gut aufgepasst: Die Aufsteigehilfe stand nicht ganz stabil. Und just als ich mit einem Bein auf der Kiste und dem anderen über Duncans Rücken stand, kippelte die Kiste. Nur ein bisschen, aber genug, dass ich einen Schreck bekam und mich kurz auf Duncan abstützte um mein Gleichgewicht zu halten und die Kiste wieder zurück zu kippen. Und Duncan, obwohl überrascht über die Situation, stand wie ein Fels. Und das Gefühl war: „ja ich steh gut, stütz dich ruhig ab.“ Vielleicht hat er in diesem Moment gelernt, wie man einen strauchelnden Reiter ausbalanciert. Hätte er sich bewegt, nur einen einzigen Schritt, oder sogar nur sein Gewicht von mir weg verlagert, hätte ich wohl auf der Nase gelegen. Aber er stand.
Ich glaube: wenn wir diese Momente wahrnehmen und gebührend würdigen – das muss nicht unbedingt mit Keksen sein aber mit Aufmerksamkeit auf das, was das gerade passiert und mit Wertschätzung – dann bekommen wir ein Verlasspferd. Nämlich ein Pferd, dass immer versuchen wird, unser Wohlergehen mit zu berücksichtigen, wie misslich die Lage auch sein mag. Weil wir ihm wichtig sind und weil es gelernt hat, wie es uns beschützen und helfen kann.
Für ein junges Pferd ist das in meinen Augen eine der größten Lernaufgaben: verstehen, wie Menschen sich bewegen, was für sie problematisch ist und wie ihr Gleichgewicht funktioniert. Dass Menschen viel empfindlicher sind als Pferde, dass man sie nicht spielerisch kneifen und rempeln darf, dass sie nicht angestiegen werden wollen und lange nicht so schnell rennen können, das alles ist für ein junges Pferd ja nicht klar. Woher soll es das auch wissen? Da müssen erst Erfahrungswerte her.
Als wir letzten Dienstag auf einem Plattenweg neben dem geparkten Anhänger standen um unsere Ponys fertig zu machen für den wöchentlichen Ausflug, kam eine Frau mit ihrem Hund (oder sollte ich sagen: ein Hund, der sein Frauchen spazieren führte?). Sie blieb bei uns stehen, sprach uns an und während sie die Ponys bewunderte, zog ihr Hund an der Leine, bis er direkt vor Duncans Vorderfüßen stand. Mein Herz setzte aus, denn Duncan mag nun zwar die Hunde meiner Freundin knapp akzeptieren, aber ein fremder Hund, der ihm dermaßen nah kommt, könnte dafür einen hohen Preis bezahlen… ich schob mich schnell dazwischen und versuchte, Duncan zu signalisieren, dass stillstehen die Lösung der Wahl ist. Und wirklich: er stand und regte kein Ohr, während die Hundebesitzerin ihr Tier in Sicherheit zerrte. Aus Sicht des Pferdes hätte Duncan jedes Recht gehabt, den Hund zu vertreiben und evt sogar zu jagen. Der Hund hätte vielleicht mit seinem Leben bezahlt. Dass Duncan die Situation ausgehalten hat, zeigt mir, dass er die Menschenwelt schon besser versteht. Mehr als das: er sah ein bisschen aus wie Diego in dem Moment, der „über den Dingen“ steht in solchen Situationen, ungerührt von dem was um ihn herum passiert. Er sah noch nicht einmal verärgert aus, nur leicht angenervt.
Die Hundebegegnung erinnert mich an eine Situation mit Finlay, als er 6 Jahre alt war. Wir hatten unsere alte Hündin „Sali“ mit beim Ausreiten, als uns plötzlich eine Frau mit 4 Hunden entgegen kam. Ich stieg ab und nahm Sali an die Leine. Rechts das Pony, links den Hund sah ich plötzlich, dass nur 2 der fremden Hunde angeleint waren, die anderen zwei schossen im vollen Tempo auf uns zu. Mir wurde Angst und Bange, Arnulf und Diego waren hinter uns und somit zu weit weg um uns die Hunde vom Leib zu halten. Da ging mein Finlay in aller Seelenruhe schräg vor Sali und mich, blockte die Hunde mit seiner Breitseite und schaute sie unmissverständlich an: „kommt nur her, wenn ihr Ärger wollt“. Und die Hunde verstanden die Botschaft sofort. Weg waren sie! Noch heute bekomme ich Gänsehaut, wenn ich an diese Begebenheit denke. Finlay hatte die Situation nicht nur voll durchschaut, er war auch in der Lage, zu entscheiden, als ich starr vor Schock war und die Entscheidung, die er traf, war perfekt. Was für ein Pferd! Ein Verlasspferd eben. Und wenn ich Duncan jetzt gerade so sehe denke ich, er ist auf dem Weg dahin. Er lernt mehr und mehr, wie das mit den Menschen funktioniert und langsam erwacht der Gentleman in ihm, auch wenn er im Moment noch überlagert ist von Pubertät.
Es ist der Unterschied zwischen dem „perfekt erzogenen“ Pferd und dem, was in meinen Augen das Verlasspferd ist: das perfekt erzogene Pferd wird stets das tun, was man ihm sagt. Was bedeutet: Finlay wäre neben mir her gelaufen und hätte die Hunde ignoriert. Das Ergebnis wäre ein Desaster gewesen. Stattdessen hat er selbst entschieden und es war eine gute Entscheidung. Ein Verlasspferd (wie ich es meine) hat die Freiheit, eigene Entscheidungen zu treffen und dann zu sehen ob es gute oder schlechte Entscheidungen waren. Im Menschenleben nennt man diesen Prozess wohl „erwachsen werden“. Natürlich wird die Entscheidungsfreiheit für die Pferde in der Menschenwelt immer eingeschränkt bleiben aber ich muss dem Pferd nicht JEDE Entscheidung abnehmen und es in ewiger, totaler Unselbständigkeit halten. Auch mein Pferd kann ein passendes Maß an Eigenständigkeit entwickeln.
Dazu fällt mir noch eine lustige Geschichte ein: Merlin hat einen behinderten Reitschüler. Der junge Mann kommt mit Betreuern, die ihn zu uns fahren, dann aber in aller Regel einfach warten, während er Reitunterricht von Arnulf und Merlin bekommt. Eines Tages war eine neue Betreuerin dabei, die sich unbedingt einmischen wollte. Sie stand immer ganz nah an Merlin, während der geputzt wurde und versuchte, dem jungen Mann ständig rein zu reden. Merlin fand das wohl störend (oder er spürte dass die beiden Männer es störend finden), denn plötzlich trat er mit seinem Huf gezielt aber sanft auf den Fuß der Betreuerin! Sie wurde nicht verletzt, aber sie merkte, dass sie wohl doch etwas zu nah gewesen war und zog sich zurück. Merlin – in meinem Verständnis von Verlasspferd – hatte die Situation erfasst und das Problem auf seine Weise gelöst. Übrigens tritt er sonst niemals jemandem auf den Fuß…..
Und wenn jener junge Mann Hüftschmerzen hat und sich selbst mit dem reiten überfordert, dann bleibt mein Merlin einfach stehen. Er trifft dann oft die bessere Entscheidung als der Mensch.
So ein Pferd fällt nicht vom Himmel. Es wächst und lernt indem wir Menschen die getroffenen Entscheidungen entsprechend kommentieren. Wenn wir die guten Entscheidungen wahrnehmen – auch wenn es mal unkonventionelle Lösungen sein mögen, die unser Pferd da anbietet – und wertschätzen, dann wird unser Pferd lernen, welche Entscheidungen zu einem guten Ergebnis für ALLE Beteiligten führen. Und ja, natürlich gehört dazu auch das Gegenteil: wenn mein Pferd eine schlechte Entscheidung trifft, ist es meine Aufgabe, ihm das mitzuteilen. Im besten Fall so, dass es selbst merkt, dass das, was da passiert eine Konsequenz seiner eigenen Entscheidung ist und keine Willkür meinerseits.
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