Beständigkeit

„Du bist aber auch immer konsequent!“

Obwohl es bald 20 Jahre her ist, dass eine Miteinstellerin diesen Satz zu mir gesagt hat, werde ich ihn wohl nie vergessen. Diese Mischung aus Bewunderung und Vorwurf war wohl einmalig. Sie hatte das am schlechtesten erzogene Pferd am ganzen Stall und sie hatte soeben beobachtet wie ich meinem Warmblüter untersagt hatte, sein Kraftfutter zu fressen so lange er noch das Gebiss im Maul hatte. Nase raus aus dem Eimer, erst die Trense runter machen und das Halfter drauf. Ist doch klar. Und ja auch wichtig, denn fressen mit Gebiss im Maul kann halt auch schief gehen wenn nicht richtig gekaut wird.

Ich bin heute noch ein bisschen ratlos über diesen Satz an dieser Stelle. Was hätte sie wohl getan? Ihr Pferd einfach fressen lassen? Leider habe ich sie nicht gefragt.

Ich glaube, für die Pferde ist es schrecklich, wenn keine Beständigkeit herrscht im Regelwerk. Heute hüh, morgen hott. In einer Welt, in der sie sowieso immer „Fremdsprache“ sprechen, ist das sicher noch verunsichernder. Und so ist es schon allein meinen Pferden zuliebe, dass ich mich um Beständigkeit bemühe. Perfekt bin ich da natürlich auch nicht, wer ist das schon. Ich sehe aber eben auch, dass ein paar Grundregeln das Zusammenleben doch sehr erleichtern.

In dem selben Stall wurde ich angesprochen, meine Pferde seien ja „so artig“, weil ich zwei Pferde allein auf den Anhänger schicken konnte. Dass ich zuvor dafür kritisiert worden war, als ich das geübt habe („das arme Pferd muss ganz allein auf den Anhänger gehen“) hatte man wohl vergessen.

Ich bin nicht die einzige, der es so geht. Viele meiner Schüler investieren viel Arbeit in (scheinbar) kleine Dinge. Und dann bekommen sie erst zu hören, was sie denn da tun und was das soll, warum sie noch nicht reiten oder nicht einfach dies oder jenes tun, nur damit man später voller Neid meint, das Pferd sei ja so artig. Das das eine mit dem anderen zusammenhängt fällt vielen einfach nicht auf.

Egal wo man startet – mit jedem Pferd an einem anderen Punkt – und egal wie schnell oder langsam man voran kommt: Pferdeausbildung ist Arbeit. Neulich las ich einen Satz der ging ungefähr so „Durchhalten heißt, viel harte Arbeit in etwas zu stecken nachdem man schon viel harte Arbeit rein gesteckt hat und eigentlich keine Lust mehr hat“

Das klingt ja wieder so unromantisch. Wäre es nicht schöner, wir könnten einfach jeden Tag Spaß haben mit unseren Pferden? Die gute Nachricht ist: wir können. Wenn wir unsere Ausbildungsziele so stecken, dass wir immer Erfolg haben. Dann sind wir selbst glücklich und unser Pferd auch. Nur: wenn wir kein klares Ziel haben, werden wir auch keins erreichen. Wir werden uns dann treiben lassen und da irgendjemand ja ein Ziel haben muss im gemeinsamen tun wird es dann das Pferd sein, dass sich Ziele setzt – je nach Charakter. Und weil Pferde so kluge Tiere sind und jedes Pferd seinen Menschen hervorragend kennt und lesen kann wie ein offenes Buch, kommen sie ganz elegant und ohne Streit zum Ziel, jeder mit seiner eigenen Strategie.

Manche Pferde sind Meister der Überredung. Ich kenne zum Beispiel zwei Araber, die ihren Menschen erfolgreich einflüstern können, dass Schritt stinklangweilig ist. Dass sie im Trab schöner aussehen und mehr Spaß haben. Und dann traben sie – wenn auch ungefragt – wunderschön (viel schöner als auf Kommando). Und die Menschen freuen sich so über den schönen Trab, dass sie vergessen, dass das gar nicht angesagt war. Später, wenn es ihnen wieder einfällt und sie ihr Pferd durchparieren, gibt es kurz Schritt und dann wiederholt sich das Spiel. Diese Pferde sind so charmant wie der Taschendieb, der einem Komplimente für die schöne Brosche macht, während er einem die Ohrringe entwendet.

Manche Pferde machen auch „türkischen Basar“. Sie verhandeln stets und ständig darum, ob die etwas energiesparendere Variante nicht auch reichen würde. So werden aus 6 Galoppsprüngen schnell 5 und von der halben Runde Trab ziehen sie großzügig 4m ab. Bemerkt man das nicht, so werden im nächsten Anlauf aus den verbliebenen 5 Galoppsprüngen 4, dann 3, dann 2…… Diese Pferde handeln so langsam herunter, dass der Mensch es erst merkt, wenn plötzlich die Hälfte der Übung weg-verhandelt wurde. Der verwunderte Mensch fragt sich dann, was wohl passiert ist, das Pferd freut sich, dass es so viel Energie gespart hat.

Andere wiederum sind Meister der Ablenkung. Wie Kinder, die während den Hausaufgaben von ganz anderen Dingen zu sprechen beginnen, hoffen diese Pferde, dass man vergisst, dass sie eigentlich einen schönen Übergang vom Schritt zum Trab machen sollten, wenn sie lang genug um andere Dinge diskutieren – plötzlich nicht mehr auf der Linie bleiben, angaloppieren wollen, stehen bleiben oder seitwärts gehen, da gibt es eine Menge an Auswahl. Das ziehen sie 15 Minuten durch und hoffen auf die Vergesslichkeit der Menschen, was auch allzu oft funktioniert. Mehr noch: es gibt dann oft Kekse zwischendurch für Dinge, die an sich nie auf dem Stundenplan standen.

Wie kleine Kinder lernen Pferde solche Taktiken aus Erfahrung und es fordert Konzentration und Willensstärke von uns, uns weder ablenken und durcheinanderbringen zu lassen noch wütend und ungerecht zu werden. Beständig und beharrlich am Plan festhalten (wenn es denn in dieser Situation Sinn macht, am Plan fest zu halten, natürlich gibt es dann auch noch die anderen Situationen. Und das zu unterscheiden ist gleich die nächste Kunst).

Oft wende ich dann das an, was ich die „Pizza-Taktik“ nenne. Duncan hat auch damit schon Bekanntschaft gemacht. Im Schritt einmal um den Roundpen herum OHNE antraben: an manchen Tagen eine Herausforderung. Kann mal länger dauern! Dann stelle ich mir vor, dass ich mir einfach eine Pizza bestelle. Der Pizzabote liefert sie mir direkt in den Roundpen und ich werde sie vor Duncans Augen verspeisen, während er weiterhin die Aufgabe hat, eine Runde im Schritt zu gehen. Eine machbare Aufgabe, er kann das. Wenn er will. Und sobald er an meiner Körpersprache sieht, dass es mir WIRKLICH egal ist, wie lange es dauert, macht er es auch. Dabei hilft die Pizza-Vorstellung mir ganz ungemein.

Es ist ja eigentlich nicht schlimm, wenn das Pferd selbst entscheidet. Bis es dann eben doch mal schlimm ist. Und da liegt das Problem, denn wenn unser Pferd im Alltag ständig selbst entscheidet ohne dass wir Menschen das merken, dann etabliert sich das in unserer Beziehung. Und was wird das Pferd dann tun wenn es glaubt, eine Situation sei gefährlich? Wird es auf unsere Entscheidung warten? Wohl kaum. Und wenn eine Situation dann wirklich gefährlich ist, dann steigt leider die Wahrscheinlichkeit, dass das Pferd eine ungute Entscheidung trifft, weil es sich in der Menschenwelt nicht gut genug auskennt.

Und wer jetzt glaubt, dieser Artikel stünde im Widerspruch zum dem über Verlasspferde, der fängt an zu verstehen, wie komplex Pferdeausbildung ist. Denn die Wahrheit liegt da, wo sie fast immer liegt: in der Mitte. Und die wiederum liegt für jedes Pferd-Mensch-Paar woanders.

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