(Die Überschrift war schon vergeben, aber mir ist keine neue eingefallen)
Bald wird mein Duncan 4 Jahre alt und im Herbst werden wir 3 Jahre gemeinsam verbracht haben. Noch immer ist er kein echtes Verlasspferd, er ist noch mit sich und dem erwachsenwerden beschäftigt und das ist ja auch ganz normal. Aber wir sind auf dem Weg, ein gutes Team zu werden. Nach und nach schenke ich ihm mehr Vertrauen. Manchmal muss ich mich dazu zwingen: Strick oder Zügel lang und ihn machen lassen. Ich habe dazu dieses wunderbare Zitat gefunden und werde es mir gut merken:
„Der beste Weg herauszufinden, ob man jemandem vertrauen kann, ist ihm zu vertrauen.“ — Ernest Hemingway
Aber was ist das eigentlich, dieses mysteriöse Vertrauen? Der Wikipedia-Artikel dazu fängt so an:
„Vertrauen bezeichnet eine bestimmte Art von subjektiver, auch emotional gefärbter, Überzeugung, nach der man sein Verhalten einrichtet.“ Meine Überzeugung ist, dass ich Duncan in bestimmten Situationen vertrauen kann, aber meine Überzeugung ist auch, dass ich ihm vertrauen MUSS. Denn wenn ich verkrampft mit kurzen Zügeln auf seinem Rücken sitze, wird er sich unwohl fühlen. Er wird schreckhafter werden und die Wahrscheinlichkeit, dass er eine blöde Entscheidung trifft, wird steigen. Lasse ich aber den Zügel lang und atme gut, dann hat er die Chance, gute Entscheidungen zu treffen und mein Vertrauen zu bestätigen. Sollte er meinen, plötzlich los rennen zu müssen, werde ich im Zweifel auch besser damit klar kommen, wenn ich vorher entspannt war, als wenn ich vorher schon nicht im Schwerpunkt gesessen habe. Wenn mein Vertrauen nicht groß genug ist um den Zügel lang zu lassen, steige ich besser ab.
Manche Pferdebesitzer glauben, wenn ihr Pferd ihnen vertraut, wird es sich vor nichts mehr fürchten. Ich denke dann an meine Freundin und die große Heuschrecke, die auf dem Autofenster saß. Meine Freundin konnte nicht aussteigen. Hatte sie zu wenig Vertrauen zu mir? Ich habe ihr doch gesagt, dass die Heuschrecke ihr nichts tut! Aber das weiß sie ja selbst. Trotzdem brachte sie es nicht fertig, aus zu steigen. Ich bin dann ausgestiegen und habe die Heuschrecke vom Auto gepflückt. Mittels Besen, denn ich mag dieses Gehüpfe auch nicht so wahnsinnig gern. Angst ist nicht rational. Ich weiß nicht, wie es meiner Freundin geht, aber ich habe natürlich keine Angst davor, dass die Heuschrecke mir etwas tut (das kann sie ja gar nicht), sondern tatsächlich habe ich „Angst“ und etwas Ekel vor den überraschenden Bewegungen des Tieres. Die Vorstellung, sie könnte in meinem Ausschnitt landen, finde ich nicht erheiternd. Es ist die selbe „Angst“ die ich immer hatte, wenn ich unseren alten Rasenmäher gestartet habe – der hat nämlich gern mal den Dienst mit einer saftigen Fehlzündung angetreten und der Schreck fuhr mir immer durch Mark und Bein (obwohl ich es ja wusste). Also habe ich mir immer die Ohren zugehalten beim Starten. Eine solche Angst geht mit Vertrauen nicht weg und da wird es Pferden nicht anders gehen, nehme ich an. Wenn mein Pferd mir vertrauen soll, dann darf ich Rücksicht nehmen. So wie ich für meine Freundin die Heuschrecke entferne, so darf ich meinem Pferd etwas ersparen, wovor es sich fürchtet (wenn ich es ihm ersparen kann. Sonst darf ich alles in meiner Macht stehende tun, um ihm die Furcht zu nehmen und die Situation zu erleichtern).
Auch umgekehrt habe ich es aber schon erlebt: Pferde nehmen Rücksicht auf unsere Ängste. Besonders auf einem Kurs mit Elsa durfte ich ein Pferd-Mensch-Paar beobachten bei dem eindeutig das Pferd lernte, bestimmte Dinge nicht mehr zu tun, weil der Mensch ängstlich darauf reagierte. Ich war sehr gerührt zu sehen, wie das Pferd ganz vorsichtig mit der ängstlichen Person umging, die es vor 4 Tagen zum ersten Mal getroffen hatte. Dieses Pferd hat – im Gegensatz zu vielen Pferdebesitzern – verstanden, wie Vertrauen funktioniert. Es hat nicht gesagt „vertrau mir, ich tu dir nix“, sondern es hat sich so verhalten, dass der Mensch sich nicht gefürchtet hat und so war das Vertrauen die FOLGE davon.
Und ich glaube, meine kleiner Duncan fängt nach und nach an, auch das zu verstehen: wann fürchtet mein Mädchen sich und wie soll ich mich verhalten damit das nicht passiert. Niemand will, dass ein Freund sich fürchtet. Vielleicht können wir da öfter mal dran denken, wenn wir von unserem Pferd Vertrauen „verlangen“. Ängste besiegen und die Komfortzone erweitern ist so viel leichter, wenn uns jemand beisteht, bei dem wir darauf vertrauen können, dass er uns nicht überfordert. Und so viele Pferde haben Ernest Hemingways Rat schon befolgt: sie haben vertraut – und herausgefunden ob ihr Gegenüber das verdient hatte. Die Antwort fällt öfter negativ aus als man denkt, denn „knapp überlebt“ ist fürs Pferd eben genau das Gegenteil von „oh ist ja nix passiert“. „Knapp überlebt“ heißt „besser nie wieder in diese Situation kommen, vielleicht geht es nächstes Mal nicht so glimpflich aus“. Und wenn wir unser Pferd dann wieder und wieder in so eine Situation bringen (in dem Glauben, wir würden dem Pferd beibringen das „nix schlimmes passiert“) dann verspielen wir Vertrauen anstatt es zu gewinnen.
Wer selbst wenig Angst hat, dem fällt es manchmal schwer, ängstliche Menschen oder Tiere zu verstehen. Wenn ich einer Angst begegne, die ich nicht nachfühlen kann – sei es beim Menschen oder beim Pferd – dann erinnere ich mich daran, dass ich auch andere Gefühle nicht nachvollziehen kann und sie trotzdem nicht in Zweifel ziehe. Wenn jemand mir sagt, er fährt gern in den Süden in Urlaub und liegt bei 40 Grad am Strand sage ich ja auch nicht „das bildest du dir nur ein, das ist doch gar nicht schön“ nur weil ICH das schrecklich finden würde. Wenn jemand gern Musik hört, die ich gruselig finde, glaube ich demjenigen ja auch, dass es ihm gefällt. Warum soll ich also eine Angst in Frage stellen, nur weil sie nicht „sinnvoll“ oder „real“ ist? Meinem Pferd glaube ich unbesehen, dass es sehr, sehr gern Gras frisst, obwohl ich diesen Genuss nicht nachvollziehen kann. Ebenso kann ich ihm glauben, dass es diese Plastiktüte unfassbar angsteinflößend findet obwohl ich sie für völlig ungefährlich halte. Ich erkenne die Gefühle meines Pferdes an, so wie sie sind. Und dann – aber auch erst dann – kann ich überlegen, wie ich helfen kann und wie ich mich verhalten darf, damit mein Pferd vielleicht nach und nach die Angst vor der Plastiktüte verliert und mich als vertrauenswürdige Person ansieht.