Fast ein Jahr ist Duncan jetzt bei mir. Ich habe mit ihm schon unglaublich viel erlebt und gemacht, viel mehr als geplant. Und nie hat er gesagt „es ist mir zu viel“. Ganz im Gegenteil, häufig wollte er gern noch etwas mehr. Und dann morgen nochmal. Bis auf letzte Woche. Da war es dann so weit. Und ich habe wieder etwas über mein Pony gelernt.
Mitte Juli habe ich mich hier https://schotten-pony.com/2020/07/16/wohin-geht-die-reise/ schon ein bisschen darüber ausgelassen wie schwer ich es manchmal finde, einzuschätzen, was ich mit Duncan machen kann und was nicht. Ich finde es in der Tat schwerer als bei anderen jungen Ponys weil er sich in aller Regel gar nicht benimmt wie ein Jungspund. Er bekommt nie glasige Augen und seine Konzentration scheint beinahe unerschöpflich zu sein.
Alles, was wir an Ausflügen gemacht haben, hat er mit Bravour gemeistert. Er ist inzwischen sogar schon alleine Anhänger gefahren – zu seinem Spaziergehkumpel, der den Stall gewechselt hat, dort ein Horror-Spaziergang (er wird sicher noch etwas darüber in sein Tagebuch schreiben) und dann allein wieder zurück fahren. Er war dabei gelassener als viele erwachsene Pferde die ich kenne, obwohl es wirklich viel für ihn war.
Aber eine Grenze habe ich nun doch unfreiwillig gefunden. Letzten Donnerstag. Da waren wir auf dem Platz, Duncan und ich. Und Duncan war wunderbar. Es war so ein Genuss mit ihm zu arbeiten. Er war hoch konzentriert, eifrig aber nicht übereifrig und hat all die kleinen Dinge die er kann in schönster Manier abgeliefert. Und ich habe einfach übertrieben. Zumindest glaube ich, dass das der Grund war. Jedenfalls raste er plötzlich ohne jede Vorwarnung los und ich musste den Strick loslassen. Unser Reitplatz ist nicht eingezäunt, 5 Meter Strick wehten hinter meinem Pony her und er schoss im Galopp nach vorne auf den Hof, wo er vorm Stalltor zum stehen kam. Von mir wollte er aber nichts wissen und raste schon als er mich sah wieder los, im Bogen zurück zum Reitplatz, von dort wieder auf den Hof und fand dann Gott sei Dank den Weg in den Garten, wo die Verlockung des grünen Grases und der gefallenen Äpfel seine Nerven wieder restaurierte. Ich konnte ihn einsammeln, wir sind zurück zum Reitplatz gegangen (ich konnte das ja nun so nicht auf sich beruhen lassen) haben dort kurz nebeneinander her gehen und anhalten geübt mit viel Lob und vielen Keksen bis wir beide wieder etwas entspannter waren und dann habe ich ihn zurück gebracht. Mache das Halfter ab und beschließe, noch etwas Zeit mit ihm im Paddock zu verbringen, aber als ich mich umdrehe um das Halfter wegzulegen, donnert er los. Rast zu den anderen Pferden, knallt in Diego, bekommt einen Rüffel und beruhigt sich dann. Beruhigen musste ich mich auch erst mal. Wie ich es drehe und wende, es gibt für mich nur eine Begründung für dieses Verhalten: ich habe es übertrieben. Hätte ich 2 Minuten früher Schluss gemacht, wäre ich den Tag über den Hof geschwebt vor Glück. So war ich nun am Boden zerstört.
Nachdem ich 10 Minuten lang meine Nerven sortiert habe, gehe ich in seine Richtung. Ich will einfach noch etwas Zeit mit ihm verbringen, gerne auf größere Distanz, das kommt mir ganz klug vor. Aber aus 50 Metern Entfernung sieht Duncan mich – und kommt zu mir. Fragt nach einem Keks, bekommt aber keinen, weil es einfach so für nichts im Paddock sowieso keine Kekse gebt. Wir gehen gemeinsam zur Tränke, ich mache die Tränke sauber und er steht neben mir, beobachtet mich, spielt ein bisschen im Wasser rum, kommt immer wieder mit der Nase und berührt mich und es wirkt für mich so als würden wir uns beide versichern, dass zwischen uns alles in Ordnung ist nach dieser Panne. Ob es wirklich so gemeint war? Jedenfalls hat es sich so angefühlt.
Tja, Pannen gehören dazu. Ich habe viele Tage gebraucht, um mich wieder abzuregen, weil ich mich so sehr über mich selbst geärgert habe. Ein dämlicher Fehler!
Aber es läuft ja darauf hinaus: Duncan hat mir eine Grenze gezeigt, nachdem ich fast ein Jahr lang keine gefunden hatte. Jetzt kann ich daraus lernen und anfangen ihn noch einmal neu zu beobachten: hat es sich doch angekündigt und ich habe es nicht gesehen? Oder war es eine typische Jungpferd-Aktion, ein spontaner Stimmungswechsel wie er eben in dem Alter mal kommt – wo ein älteres Pferd mir mehr Vorwarnung gegeben hätte? Oder ist er tatsächlich der Typ Pferd, den ich immer als „zu artig“ bezeichne? Damit meine ich, dass es Pferde gibt, die sich so lange bemühen, alles richtig zu machen, bis sie gar nicht mehr können und dann explodieren. Solche Pferde sind mir ein paar Mal begegnet. Sie sind eine große Lektion für den Menschen, weil man immer unterhalb dessen bleiben muss, was sie bereit wären zu tun. Ich meine: weit unterhalb.
Duncan scheint da zu unterscheiden: alle bisherigen Herausforderungen waren in irgendeiner Form Abenteuer. Und er liebt Abenteuer! Rausgehen, was erleben, davon kann er gar nicht genug bekommen. Auch Wippe, Plane und Konsorten machen ihm Spaß. Aber die reine Bodenarbeit auf dem Platz ist kein Abenteuer. Wahrscheinlich fühlt er sich dort schnell etwas gegängelt, nicht weil ich blöd zu ihm wäre, sondern weil ich so genau arbeite – dieser Fuß hier, Kopf etwas nach da, mehr so oder mehr so. Vielleicht ist es für ihn so wie für mich Stricken. Zu kleinteilig. Zu figelinsch würde der Norddeutsche sagen. Fummelkram halt.
Nun fange ich also von vorn an mit der Arbeit auf dem Platz. Und ich weiß, was ich beobachten und erfahren möchte über mein Pony.
Und ich habe mal wieder verstanden, wie anders er ist als mein Finlay. Denn Finlay, der war vieles, aber nie „lieb“. Versteht mich nicht falsch, Finlay war mein Seelenpony. Ich liebe ihn ohne Ende, immer noch. Er war der Typ Pony der sich gern mal reibt, der gern mal gestritten hat. Wenn ich mit Finlay Sachen gemacht habe, die ihm zu viel waren, dann ist er in irgendeiner Form in die Konfrontation gegangen. Er hätte niemals so lange weitergemacht bis er nicht mehr kann. Er hat sich seine Auszeit und seine Pause weit vorher genommen, zur Not mit viel Nachdruck. Und er hat sich niemals danach erkundigt ob zwischen uns eigentlich noch alles gut ist. Nein, es war meine Aufgabe, dann zu ihm zu gehen und mich zu entschuldigen. Und wenn ich Glück hatte, hat er die Entschuldigung angenommen. Einen Streit fand er eher belebend als erschreckend. Wenn er wütend war, hat er mir mit den Hinterhufen eine Ladung Sand ins Gesicht geschmissen. Oder er ist stehengeblieben und hat gar nichts mehr gemacht.
Duncan hingegen scheint mir doch genau das zu sein: lieb. Lieb in dem Sinne dass er sich auch mal überfordern lässt. Und es liegt jetzt an mir, genau hinzuschauen, was ihn überfordert und unterhalb dieser Grenze zu bleiben. Und ich darf lernen, dass diese Grenze an sehr unterschiedlichen Stellen ist, je nachdem um welche Form gemeinsamer Unternehmung es sich handelt.
Ich glaube, dass er die Pausen, die ich auf dem Reitplatz mache, bisher nicht als Pausen wahrnimmt. Er kann sich dann noch nicht richtig entspannen, weil er nicht weiß, was zu tun ist. Wenn wir draußen unterwegs sind, kann ich ihn irgendwo grasen lassen, das ist für ihn eine schöne Belohung und Pause, in der er das kleine, gut geölte Maschinchen zwischen seinen Ohren einmal im Leerlauf haben kann. Auf dem Reitplatz ist er (so vermute ich) im „Dauereinsatz“ und reagiert daher anders. Und dann brennt das Maschinchen eben doch mal durch.
Und natürlich ist er Schotte: Reitplatzarbeit finden die meisten Highlandponys grundsätzlich blöde – es mangelt am Sinn. Mein Plan ist jetzt also, vor allem das Pause machen zu üben, sowohl im Paddock (im Freedom Based Training) als auch auf dem Reitplatz. Mal sehen, wie dieser Plan so aufgeht….
Es gibt noch einen weiteren Hinweis auf seinen Charakter, der dazu genau passt: wenn jemand anders streitet – neulich eine Frau mit ihrem Hund, an einem anderen Tag Arnulf mit Diego – dann schaut Duncan sorgenvoll dort hin und sieht ganz unglücklich und angespannt aus. Er mag keinen Streit. Ich finde das spannend, denn an Selbstbewusstsein mangelt es ihm ja nun wirklich nicht. Aber wenn er keinen Streit mag, heißt das eben, er wird keinen anfangen, um sich vor Überforderung zu schützen. Lieber lässt er sich überfordern, bis es nicht mehr geht.
Finlay hingegen hat Streit geliebt. Er war gerade in der Pubertät so ein Streithahn, mit mir und mit den anderen Ponys, musste immerzu Grenzen ausloten. Manchmal wenn ich ihn vom Paddock geholt habe wusste ich schon: heute müssen wir streiten. Dann hat er mich so lange provoziert bis wir uns einmal richtig in die Köppe gekriegt haben und danach war alles gut. Wenn ich aber versucht habe, es anders zu klären und ruhig zu bleiben, das konnte er nicht leiden. Er wollte einmal sehen, dass ich WIRKLICH reagiere und mich mit ihm aufrege!
Da Finlay nur 8 Jahre alt wurde, kann ich natürlich nicht sagen, wie er sich noch entwickelt hätte. Er war rundum freundlich, hat sich auch mit jedem Pferd gut vertragen, niemals war jemand verletzt, aber er mochte sich eben kabbeln. Er musste ja auch unbedingt immer alles ins Maul nehmen. Duncan tut das fast nie. Und kabbeln tut er sich zwar mal, aber viel weniger raubeinig als Finlay, viel zarter.
Es bleibt spannend wohin sich das entwickelt. Und ich finde es wahnsinnig spannend zu sehen, wie unterschiedlich meine beiden Ponys sind.
Wie viel Einfluss hat mein Training und mein Umgang darauf? Wie viel Einfluss hat die Herde? Das werde ich wohl nie erfahren. Fest steht: ich gehe ganz anders mit Duncan um als mit Finlay, aber ich glaube das liegt eben unter anderem daran, dass Duncan von Natur aus ganz anders IST als Finlay, Einflüsse hin oder her.
Hier ist also meine neue Lernaufgabe und eine erste Duncan-Lektion: nicht jeder Schotte streitet gern.
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