Basis

Ich habe einen neuen Lieblingsspruch gefunden (leider weiß ich nicht von wem er ist):

A beginning rider wants to work on intermediate horsemanship. An intermediate rider wants to work on advanced horsmanship, but an advanced horseman works on the basics.

(Frei übersetzt: ein Reitanfänger möchte an fortgeschrittenen Dingen arbeiten, der fortgeschrittene Reiter möchte an den Dingen für Könner arbeiten, aber der Könner arbeitet an den Grundlagen)

Grundlagen, immer wieder. Eine wunderschöne Darstellung dazu gibt es auch von Karen Rohlf, die die Ausbildung des Pferdes als Spirale zeigt, in der man immer wieder an den selben Punkten vorbei kommt, nur jedes Mal eine Ebene höher.

Und so arbeiten mein kleiner großer Duncan und ich an den Grundlagen. Mein momentanes Steckenpferd ist die Handarbeit – endlich ist es mal von Vorteil, dass mein Pony nur 1,40m groß ist! Da kann ich locker neben her laufen und trotzdem noch gut sehen was im Rest der Welt los ist und wo wir da seitwärts so hinschweben (*räusper* – von schweben sind wir meist noch weit entfernt).

Aber dann sind da diese Momente in denen ich merke: die Arbeit zahlt sich aus. Kleine, magische Momente. Zum Beispiel gestern, als wir schön auf dem Reitplatz gearbeitet hatten (naja, schön ist relativ. Sagen wir so: Duncan hat alles richtig gemacht und ich habe gelernt, was ich besser machen kann). Ich wollte ihn gern extra belohnen für seine Mühen mit mir. Habe ihm das Zaumzeug abgenommen und ihn im Eingangsbereich grasen lassen. Das habe ich bisher ungefähr 3 mal gemacht, vorher habe ich mich das nicht getraut. Dazu muss ich etwas ausholen, warum ich mich nicht getraut habe:

Unser Reitplatz ist von einem kleinen Wall umgeben, auf dem natürlich allerhand Grünzeug wächst. Hinter dem Wall befindet sich unser kleiner Rundlauf, also ein Zaun. Nun habe ich mit Finlay ja immer frei gearbeitet und die Erfahrung gemacht, dass mein Pony wunderbar auf den Wall springen kann und von dort auch auf der anderen Seite wieder runter, dabei den Zaun schreddern (dort ist Glattdraht gespannt, der sofort kaputt geht wenn ein Pferd rein läuft) und dann wilde Sau auf dem Paddock spielen. Mein Finlay hat damals schnell kapiert, dass ich nervös werde wenn er auf dem Wall herum turnt und hat das weidlich ausgenutzt um mit mir „Katz und Maus“ zu spielen. Hatte ich schon erwähnt, dass Finlay Spaß am Streiten hatte? Deswegen war ich bisher, was Duncan angeht, nicht mutig genug, ihn frei auf dem Reitplatz zu lassen. Ich befürchtete, wenn er einmal kapiert hat, dass man mich da schön auflaufen lassen kann und sehr viel länger fressen kann als geplant, habe ich mir ein großes Problem erschaffen.

Andererseits finde ich es immer schön, meine Pferde zur Belohnung auf dem Reitplatz grasen zu lasse, denn so assoziieren sie den Ort nicht nur mit Arbeit, sondern eben auch mit Pause und Freizeit. Und deswegen wusste ich: irgendwann tu ich das. Und da verlasse ich mich ganz auf mein Gefühl. Das kam dann früher als geplant, eben gestern. Zaumzeug runter, Duncan darf grasen, ich mache Freedom Based Training. Eine Viertelstunde arbeitet Duncan sich Schritt für Schritt am Rand des Reitplatzes entlang. Danach rufe ich ihn und er kommt angetrabt, darf am Eingang nochmal kurz grasen während ich das Tor zum Paddock auf mache, ich rufe ihn wieder, er kommt (nach kurzem Gertengewedel meinerseits als Erinnerung dass rufen = kommen ist) und bekommt im Paddock einen Jackpot (Tasche leeren, alle Leckerlis die noch drin sind für ihn auf dem Boden verstreuen.)

Alles hat fantastisch geklappt und ich habe Duncan gesagt, dass es jetzt an ihm liegt, ob wir das öfter so machen. Privilegien muss man sich verdienen und wenn er das ausnutzt, wird es nicht mehr stattfinden. Ehrlich gesagt glaube ich, dass diese Botschaft bei Duncan durchaus ankommt (bei Finlay ist sie nie angekommen. Charakterfrage, glaube ich). Da ich mit Duncan auch beim Spazierengehen schon immer sehr daran gearbeitet habe, dass Grasen nur bei bestem Benehmen erlaubt ist, glaube ich, er hat das gut verinnerlicht. Wir werden sehen!

Ich vertraue darauf dass er seine neues Privileg nicht ausnutzt.

Als ich ihn dann rein geholt habe, kam noch ein Bonus oben drauf: eine abgeschnittene (und sträflicher weise noch nicht weg geräumte) Brombeerranke verhakte sich in Duncans Schweif und zwar so, dass sie auch noch halb zwischen seinen Hinterbeinen hing. Wie ein Storch im Salat stocherte Duncan an mir vorbei und schaute sehr unglücklich. Auf mein „hoooo“ blieb er aber sofort stehen und ließ sich („waaaarte“) in aller Ruhe die stachelige Last entfernen.

Auch eine fiese Brombeerranke kann ungeplant zur Basis beitragen

Es sind diese Situationen, die mir Mut machen. Diese Momente in denen ich sehe: Grundlagen sind da. Gleichzeitig sind das die Momente in denen ich einen weiteren Punkt auf die Liste „Lebenserfahrung“ schreiben kann, denn das ist es, was wir jetzt brauchen, Duncan und ich. Er braucht Lebenserfahrung im Sinne möglichst vieler Situationen die einem eben so begegnen können und ich brauche Duncan-Erfahrung im Sinne möglichst vieler Situationen in denen ich sein Verhalten sehe, damit ich es besser einschätzen kann. „Wieso?“ höre ich Euch fragen „Du beobachtest sein Verhalten doch schon seit 3 Jahren?“ Das stimmt, aber er ist unglaublich viel erwachsener geworden und das Verhalten von einem Jährling ist nicht das eines 2jährigen und das Verhalten eines 3jährigen ist nicht das eines 4jährigen. Jetzt ist Duncan aber in einem Alter, in dem ich vermute, dass sich nicht mehr soooooo viel ändert (außer dass er eben erfahrener wird).

Je öfter ich erlebe, dass er auch in kniffligen Situationen (ein gefühlter Bär im Gebüsch, eine Dornenranke zwischen den Beinen, fremde Pferde die uns entgegen kommen, wilde Waldwege mit ungeplanten Abstechern ins Unterholz etc) die Nerven bewahrt, desto mehr Zutrauen habe ich. Je öfter er erlebt, dass ich ihm in kniffligen Situationen helfe, desto mehr Zutrauen hat er zu mir. Je mehr er erlebt, dass wir in kniffligen Situationen gemeinsam das beste draus machen, desto mehr Zutrauen hat er zu uns als Team und auch zu sich selbst. Und das ist die Grundlage, zu der ich immer wieder zurück komme.

Diese Basis übt man nicht mit bestimmten Übungen. Kein Schulterherein, keine Führübung, auch kein Schrecktraining kann alltägliche, gemeinsame Lebenserfahrung ersetzen. Aber eine solide Grundausbildung – also das Verständnis der Sprache des jeweils anderen und die Akzeptanz des Pferdes für die Tatsache, dass ich die meisten Entscheidungen für uns beide treffe – ist unerlässlich um solche Lebenserfahrungen gemeinsam zu sammeln. Und während wir sie sammeln, stärkt sich wiederum die Basis.

Und so zähle ich uns zu den Könnern, denn wir machen keine fortgeschrittenen Übungen. Wir arbeiten an den Grundlagen. Und wenn wir später fortgeschrittene Übungen machen – das habe ich von Merlin, Diego und Finlay hinreichend gelernt – dann arbeiten wir in den fortgeschrittenen Übungen an den Grundlagen.

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