„Gurtest Du nochmal für mich nach, bitte?“ Ich grinse. Meine jüngste Reitschülerin (12) hat kapiert, wie es sich mit mir gut leben lässt. Anfangs hat sie immer wieder Sätze versucht wie „kannst du mal nachgurten?“ und hat immer die selbe Antwort bekommen: „ich kann, und wenn du mich freundlich bittest, mache ich es sogar“. Inzwischen hat sie sich das „bitte“ und „danke“ nachhaltig angewöhnt. Manchmal grinst sie auch schelmisch dabei, es ist so ein kleines Spiel zwischen uns.
Während ich für sie nachgurte, denke ich an Pferde-Ausbilder wie Elsa Sinclair, Warwick Schiller oder die Reitmeister der Hofreitschule in Bückeburg (um nur die zu nennen die mich im Moment besonders beeinflussen). Die Ausbilder, die mit möglichst wenig Druck und Dominanz arbeiten, sind die mit den höchsten Ansprüchen. Elsa steht da natürlich ganz oben auf der Liste, denn sie ist niemals dominant. Und sie hat – in meinen Augen – den höchsten Anspruch an das Pferd. Das klingt paradox, ist aber eigentlich logisch. Mit „Anspruch“ meine ich jetzt keinen Leistungsanspruch. Wer will, dass sein Pferd hoch springt, Kühe hütet oder ein Distanzrennen gewinnt, der muss halt trainieren. Mit „Anspruch“ meine ich einerseits den Anspruch an den Menschen – wer mit wenig Druck arbeiten möchte, braucht perfektes Timing, einen guten Plan, wie er das gewünschte Ergebnis bekommt und unter Umständen anfangs mehr Zeit (später, so nehme ich es jedenfalls wahr, sind diese Trainer dann viel schneller am Ziel). Aber da ist auch ein hoher Anspruch an das Pferd, auf kleinste Signale sehr akkurat zu reagieren, sich gut zu konzentrieren, die eigenen Gefühle gut regulieren zu können. So sehr es Menschen ehrt, wenn sie die Schuld immer nur bei sich suchen und nie beim Pferd: Es gehören zwei dazu und das Pferd muss seinen Beitrag leisten zu einer gelungenen Beziehung. Und während ich in jeder anderen Trainingsform den Ball wieder zurück spielen kann und sage: der Mensch ist dafür verantwortlich das Pferd zu motivieren und ihm das beizubringen, ist das im Freedom Based Training nicht so einfach. Denn dort tut das Pferd was es tut und ich kommentiere als Mensch nur. Mein Einfluss ist klein und je nachdem wie mein Pferd von Natur aus gestrickt ist oder was es an vergangenen Erfahrungen mitbringt, kann es sein, dass es lange dauert, bis das Pferd sich wirklich für meine Meinung interessiert. Noch mehr Zeit geht dann ins Land, bis das Pferd wirklich so „erwachsen“ geworden ist, dass es ein angenehmer Zeitgenosse für alle anderen ist. Elsa hat mir klar gezeigt, wie hoch der Anspruch auf dieser Ebene sein kann. Und sie hat immer wieder bewiesen, wie dieser hohe Anspruch dazu führt, dass das „langsamste Pferdetraining der Welt“ in kurzer Zeit Ergebnisse bringt – wenn auch nicht die, um die es im normalen Pferdetraining geht (für die braucht es viel mehr Zeit). Und während das Pferd durch diese Art des „Trainings“ lernt, seine Gefühle zu regulieren, kann der Mensch das gleich mit üben. Denn so einfach ist das nicht, wie es erst mal klingt. Es erfordert Konzentration und Geduld, Frustrationstoleranz und Kreativität, genaue Beobachtung und viele, viele Wiederholungen. All das, was man im „normalen“ Pferdetraining übrigens auch braucht. Und von all dem braucht man als Mensch eben umso mehr, je weniger Druck man aufs Pferd ausüben möchte. Kurz mal drauf hauen damit „der Bock“ schneller läuft kann jeder.
Meine kleine Schülerin hat in dieser ganz einfachen Situation natürlich schnell verstanden, worum es mir geht. Sicher bin ich nicht die erste, die es netter findet, wenn sie „bitte“ und „danke“ sagt und ich war in der Situation ziemlich dominant: wenn du deine Bitte nicht so formulierst wie es mir gefällt, tu ich gar nichts. Da bin ich als Reitlehrerin am längeren Hebel, denn sie will ja reiten und mit losem Gurt ist das gar nicht so witzig. Dennoch haben wir nicht gestritten oder gekämpft, sondern uns freundlich angegrinst und ein lustiges Spiel daraus gemacht. Anfangs hatte sie dann immer interessante Tonfälle „würdest Du bitte für mich nachgurten“ kann man ja auf sehr verschiedene Arten aussprechen. Wir haben uns köstlich amüsiert dabei und ich habe mir entsprechende Antworten einfallen lassen „aber gerne doch, gnädige Dame“. Inzwischen ist die höfliche Formulierung normal geworden und hat keine komischen Betonungen mehr.
Witziger weise beobachte ich ähnliches bei Duncan. Anfangs erlernte und teilweise extrem übertriebene Höflichkeitsgesten wie das Wegschauen wenn man einen Keks möchte, haben sich langsam in ein gutes, freundliches Alltagsverhalten gewandelt. Am Dienstag, als wir am Ende des Ausritts ein Stück nebeneinander gegangen sind, kam seine Nase zu mir: schelmischer Gesichtsausdruck, aber geschlossenes Maul. Dann streckte er die Oberlippe vor und ich glaube er flüsterte „ich könnte dich jetzt kneifen, soll ich?“. Ich musste lachen. Was für eine süße Spielaufforderung! Vor gut einem Jahr hatte ich diesen Artikel geschrieben über „Wasti oder die Kunst mit einem Krokodil spazieren zu gehen„. Da sah das noch ganz anders aus! Auch meine Freundin war beeindruckt von seiner neuen Verhaltensidee, sie erinnert sich nur allzu gut, wie der Ritter immer mit weit aufgerissenem Maul auf mich zusteuerte (nicht, dass er mich jemals ernsthaft gebissen hätte, keine Sorge. In aller Regel hat er mich noch nicht mal berührt, denn es war nur eine Spiel-Aufforderung). „Ich könnte dich beißen, einfach so, weil ich Lust dazu habe“ war damals die Bildunterschrift. Und ich verstehe: Weil ich es nicht bestraft habe – außer in den Fällen in denen seine Zähne mich dann doch berührt haben – ist das Verhalten nicht weg, aber es hat sich verändert. Er ist höflicher und freundlicher geworden, ohne seinen Charakter aufzugeben. Und wisst ihr was: das macht mich verdammt stolz, denn so hab ich mir das gewünscht.