Manche Ausbilder behaupten ja von sich, sie sprächen „die Pferdesprache“. Na gut. Ich spreche Deutsch als Muttersprache und trotzdem verstehe ich oft nicht, was Menschen sagen. Ich persönlich finde Sprache extrem unzulänglich um komplexe Dinge wie Gefühle und Gedanken wirklich auszudrücken. Für mich ist Sprache oft eine Ansammlung von Missverständnissen, die man mit mehr missverständlichen Worten ausräumen möchte. Ich bin vielleicht an der Stelle empfindlicher, weil ich vieles, was andere von Natur aus zu können scheinen, mühsam lernen musste. Ich habe Jahre gebraucht um einigermaßen klar zu kriegen, was Leute meinen könnten, wenn sie dies oder jenes sagen. Und umgekehrt stelle ich fest, dass viele Menschen nicht verstehen, was ich meine – obwohl ich mir Mühe gegeben habe mich klar auszudrücken.
Nun kommt also jemand und sagt er spricht „die Pferdesprache“ und da muss ich kichern. Denn ich glaube nicht, dass es „die Pferdesprache“ gibt. Ein Warmblut kommuniziert anders als ein Spanier und ein Araber unterscheidet sich auch in seiner Sprache deutlich vom Shetlandpony. Klar, es gibt wohl mehr Überschneidungen als zwischen Deutsch und Chinesisch, immerhin können die Pferde sich grob verständigen wenn sie aufeinander treffen. Aber ob sie sich wirklich verstehen hängt davon ab, wie viel Zeit sie miteinander verbringen und wie sehr sie interessiert sind an gemeinsamer Kommunikation. Und jemanden verstehen ist ja auch so viel weniger als ein Gespräch dann auch als angenehm zu empfinden. Klar kann ich mit jemandem über das Wetter sprechen und wir können uns darüber unterhalten wer es lieber sonnig mag und wer lieber kühl. Sinnstiftend ist das eher selten und meistens führe ich so ein Gespräch eher aus Höflichkeit (oder Verzweiflung) weil ich mit der Person einfach nicht über das sprechen kann, was mir wichtig ist.
Jetzt können wir behaupten, dass es unter Pferden eher essentieller zu geht „steh mir nicht im Weg“, „das ist mein Heu“ oder „wollen wir Fellkraulen?“ aber ich bin überzeugt, dass es auch hier einen Unterschied im Wohlgefühl macht, ob die Pferde leicht und natürlich kommunizieren können (z.B. in ihrer vertrauten Herde) oder ob sie sich mit einem fremden Pferd verständigen, dessen Antwort sie vielleicht nicht ganz einschätzen können und von dem sie nicht wissen, wie es reagiert.
Als Duncan hier einzog, musste er mühsam die Sprache bzw die Gepflogenheiten der Ponys hier erlernen. Inzwischen können wir beobachten, wie er mit seinem Charakter dazu beiträgt, dass die Kommunikation in der Herde sich verändert. Neulich zum Beispiel standen alle Pferde im Stall. Caruso ging allein raus. Mitten auf dem Paddock bleibt er plötzlich stehen und wiehert. Aus dem Stall kommt Antwort – von Duncan. Einige Minuten später kommt Duncan heraus und geht zu Caruso, der im Paddock gewartet hat. Vielleicht bedeutete Duncans Wiehern „ich komme gleich, ich möchte nur noch diese letzten Heuhalme verputzen“. Die beiden ziehen gemeinsam weiter. So ein Verhalten habe ich in unserer Herde bisher nie beobachtet – dass einer den anderen ruft, der andere dann auch antwortet und eine Verabredung entsteht, das kenne ich nicht. Ich weiß aber, dass Duncan öfter mal wiehert, vor allem in Richtung Nachbarn. Und ich weiß fast nie, wen genau er damit meint und was es bedeutet, denn oft passiert danach nichts. Sagen wir: nichts, was ich mitkriegen würde. Ich höre keine Antwort und Duncan macht einfach weiter mit dem was er davor auch getan hat.
Manchmal passiert aber doch etwas. Wenn beim Nachbarn ein Pferd weg geht und das andere einsam zurück bleibt und wiehernd herum galoppiert, dann ist Duncan der einzige von unseren Jungs, den das (manchmal) interessiert. Dann läuft er zur Grundstücksgrenze, wiehert und galoppiert ein bisschen mit, um dann abrupt stehen zu bleiben und zu fressen. Vielleicht wiehert er nochmal kurz, aber die Aufregung, die vor ein paar Sekunden herrschte, ist plötzlich verpufft, obwohl das Spektakel auf der anderen Seite des Zauns weiter geht.
Mein Duncan – dem man seine Laune eigentlich drei Meilen gegen den Wind ansieht – stellt mich noch manches Mal vor Rätsel. Was will er mir sagen, was will er den anderen sagen? Aber die anderen scheinen ihn ja zu verstehen. Im Laufe der Zeit habe ich heraus gefunden, dass Duncan viel über Blicke kommuniziert. Die Art, wie er mich anschaut, wie er seinen Kopf bewegt, wie seine Augen geformt sind und wie er blinzelt, hat eine große Bedeutung und scheint sich bei ihm mehr zu verändern als bei den anderen Ponys. Aber ich brauche wohl noch mehr Zeit um das endgültig zu entschlüsseln.
Wenn ich mit Schülerpferden arbeite, brauche ich manchmal eine Übersetzung durch den Menschen. Denn zur Muttersprache „Pferdesprache“ kommt ja bei unseren Pferden noch eine erlernte Sprache dazu und beides kann sich munter mischen. Wenn Duncan weg schaut, dann heißt das eben nicht, dass er kein Interesse hat, sondern es ist seine Art, um einen Keks zu bitten – weil er das von mir gelernt hat. Das ist aber keine Pferdesprache. Vielleicht ist es das, was es so extra kompliziert macht. Es erinnert mich an ein Geschwisterpaar bei dem ich mal zum Babysitten war. Die beiden wurden zweisprachig erzogen, Deutsch und Englisch. Und ich hatte Stress, denn die Kinder wechselten die Sprache unglaublich schnell, so dass mein Gehirn oft so lange brauchte um herauszufinden, welche Sprache das ist, dass die Situation längst vorbei war, als ich endlich wusste, was gesprochen wurde.
Jedes Pferd-Mensch-Paar entwickelt seine eigene Kommunikation. Aber oft bleiben Dinge auch über Jahre unklar – in die eine, wie auch in die andere Richtung. Menschen wird oft gesagt, ihr Pferd sei „dominant“ oder „stur“ obwohl das Pferd nur etwas falsch verstanden hat. Pferde hingegen bringen ihren Menschen oft bei, sich auf bestimmte Arten zu verhalten ohne dass die Menschen es merken. „Gib mir sofort den Keks!“ funktioniert oft erstaunlich gut und Menschen merken gar nicht, wie sie sich anrüpeln lassen und dass sie ihrem Pferd beigebracht haben, dass das ein normaler Umgangston ist.
Überhaupt: der Umgangston. Da Pferde fast immer ohne Laute kommunizieren, äußert sich der Umgangston eher in Gesten: wer fasst wann wen an und wer dringt in den Raum des anderen ein? Wie gut beachte ich die kleinen Signale meines Pferdes? Duncan zum Beispiel will fast nie gekrault oder gekratzt werden. Im Fellwechsel hat er dann aber doch mal eine „Genusslippe“ gemacht, als ich mit der Bürste über seinen Hals ging und ich dachte, er will da mal tüchtig gekratzt werden. Aber als ich dann den Gummistriegel nahm, erntete ich einen sichtlich empörten Blick: das war ihm viel zu doll! Bitte nur mit der Bürste, mit schönen, langen Strichen, das wollte er!
Ganz oft müssen wir es einfach ausprobieren um es heraus zu finden. Wild drauf los raten, was unser Pferd meinen und wollen könnte, Hypothesen aufstellen und überprüfen. Und wenn uns das schwierig erscheint, dürfen wir uns daran erinnern, dass es den Pferden so oft genauso geht mit uns. Auch unsere Pferde müssen oft raten und sie müssen raten dürfen, um heraus zu finden, worum wir sie da gerade bitten. Und mit ein bisschen Geduld und Spucke von beiden Seiten wird daraus nach und nach eine gemeinsame Sprache.