Ziele

„Ich möchte die Beziehung zu meinem Pferd verbessern“ sagt meine neue Schülerin. Ui, denke ich, da ist er wieder, der Nebel in Tüten. „Nebel in Tüten“ sagte ein Ausbilder immer wenn Ziele so schwammig formuliert waren, dass sie alles und nichts heißen können. „Ich möchte, dass mein Pferd mir vertraut“ ist auch so ein beliebter Satz und dieser ist fast noch blöder (Entschuldigung). Denn das hört sich an als müsste das PFERD etwas tun (uns vertrauen). Dabei wird das Pferd uns automatisch vertrauen, wenn wir vertrauenswürdig sind. Dazu muss das Pferd gar nichts tun. Nur wir müssen uns vertrauenswürdig verhalten. „Nur“ sollte wohl besser in Anführungsstrichen stehen. Aber ich schweife ab, denn heute wollte ich ja über Ziele schreiben.

Wer kein Ziel hat, wird auch keins erreichen, so viel steht fest. Da Ziele in der Arbeit mit dem Pferd aber nicht ausschließlich von uns Menschen erreichbar sind, sondern wir das Pferd dazu brauchen, ist es etwas komplizierter als „ich möchte einen Marathon mitlaufen“.

Was passiert wenn Ziele nicht klar formuliert sind, habe ich dann mal wieder auf die harte Tour gelernt. Und was passiert, wenn zu den unklaren Zielen noch die Ablenkung durch unwichtige Ziele kommt. Wir waren mit Duncan auf dem Trailplatz. Ziel: er sollte üben, sich in Anwesenheit fremder Pferde zu benehmen. Oje, da ist er ja schon wieder, der Nebel in Tüten! Denn natürlich weiß ich, dass er das nicht nach einer Übungseinheit können wird. Und überhaupt: was genau soll er denn da können? Was heißt „benehmen“, woran würde ich gutes Benehmen erkennen, wie lange soll er das können und in welchen Situationen darf er genau wie reagieren und wie kann ich ihm helfen falls er überfordert ist?

Stellte sich heraus: er kann eine ganze Menge. Allein im Anhänger da hin fahren. Dort ein paar von den Trail-Hindernissen vorbildlich bewältigen. Was er nicht kann: sich beliebig lang zusammen reißen in der angespannten Situation mit den drei Pferden die über den Zaun schauen. Was dann passiert: sehr unschönes Verhalten seinerseits (ja, steigen kann er super). Was er dann wieder konnte: sich nochmal zusammennehmen und weitermachen bis zur nächsten Explosion. Danach – zu meinem Erstaunen – konnte er gelassen in den Anhänger steigen und in aller Seelenruhe nach hause fahren.

Nur ich, ich konnte an dem Tag irgendwie nix. Konnte keine Ruhe ins Pony bringen, konnte nicht die Zeit im Auge behalten und konnte die Prioritäten nicht richtig setzen. Und deswegen musste mein Pony so viel können was er halt eigentlich noch gar nicht können kann. Nur weil meine Zielformulierung so schlecht war. Ok, Lektion gelernt.

Ich habe hier schon einmal über Zeitpläne in der Pferdeausbildung gesprochen. Aber noch bevor der Zeitplan da ist, braucht man einen Weg.

Früher, bevor es Smartphones, Navis und all diese Dinge gab, hat mein Vater vor längeren Autofahrten immer ein „Kochbuch“ erstellt. Ich habe diese Pläne geliebt. Dort stand genau, wie viele km es von einem Autobahnkreuz zum nächsten sind, wann wir wohin abbiegen und zu welcher Zeit wir optimaler Weise dort sein sollten. Dank dieses „Kochbuchs“ konnte ich immer abschätzen, wie lang die blöde Fahrerei noch dauert und ich war ein bisschen besser beschäftigt weil ich was abhaken und kontrollieren konnte. Das Kochbuch wurde vor der Reise anhand vieler Karten erstellt und gab mir das Gefühl, mich gut aus zu kennen.

Eine solche Karte wünscht man sich fürs Pferdetraining ja auch gern mal. Die wenigsten von uns sind es noch gewöhnt, einfach mal so los zu laufen ohne Karte, ohne Smartphone, ohne Navi und sich anderweitig zu orientieren. Ich persönlich habe keine Ahnung mehr, wie das mit der Armbanduhr und dem Kompass war und ich habe auch gar keine analoge Armbanduhr mehr. Wenn ich mich frage wo ich bin, kommt das Handy aus der Tasche, da ist nicht nur die Karte drauf, sondern es zeigt mir auch meinen Standort an.

Beim Pony ist das eigentlich nicht viel anders: ich kenne jetzt meinen Standort – den Standort auf dem wir uns auf der Ausbildungskarte befinden – sehr viel genauer. Das heraus zu finden war zwar nicht angenehm aber immerhin informativ und lehrreich. Von hier aus kann ich jetzt die weitere Route planen. Wie beim Smartphone kann ich raus zoomen und langfristige Ziele sehen, aber gerade jetzt muss ich dringend mal mehr rein zoomen damit ich genauer sehen kann, welche Wege wir da gehen könnten. Dann kann ich ein „Kochbuch“ schreiben und obwohl es naturgemäß nie so akkurat und exakt sein wird wie die meines Vaters werde ich besser orientiert sein als zuvor und genauer wissen, wo es lang geht und welche Zwischenziele es zu erreichen gilt. Und an jedem erreichten Wegpunkt kann ich ein kleines Häkchen setzen und mich freuen über das, was wir schon geschafft haben. Manchmal werde ich die Route neu berechnen müssen, wenn ich feststelle, dass dieser Weg doch nicht zielführend ist. Aber irgendwo wird sich dann doch wieder ein Weg finden und ein Zwischenziel, das wir erreicht haben. Die Zeit, die es braucht um jedes dieser Zwischenziele zu erreichen, kann ich allerdings nicht bestimmen, denn die Zeit bestimmt eben immer das Pferd.

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