Eine magische Liste

Nein, es ist nicht immer alles rosarot. Auch bei uns nicht.

Duncan ist ein sehr, sehr einfach auszubildendes Pony. Finde ich. Vielleicht liegt es auch nicht nur am Pony sondern mehr an mir und an den allgemeinen Umständen hier. Klar, ich habe es leicht, denn zu jeder neuen Herausforderung können wir einfach Diego mitnehmen und ich weiß: Diego zeigt seinem Ziehsohn wie das geht und der kleine macht eh alles nach was der große macht. Und Diego macht ja irgendwie einfach immer alles richtig (was für ein Pferd!). Einfacher wird Pferdeausbildung ja nicht. Und so ein Highlandpony hat zwar seine Eigenheiten, ist aber in der Regel ja von Natur aus kooperativ und freundlich. Dann kommt bei Duncan hinzu, dass er in schier atemberaubendem Tempo lernt – zumindest kommt es mir so vor. Vielleicht unterschätzen wir auch alle, wie schnell Pferde lernen können. Ich denke oft, dass es so ist, weil so viele Pferde einen Sack voll Probleme mit sich herum tragen, der sie daran hindert, schnell zu lernen. Viele „unverdorbene“ Jungpferde die ich kenne lernen unglaublich schnell. Also kurz und gut: ich habe es maximal leicht mit Duncan. Und doch spielt mein Kopf mir manchmal Streiche.

Jungpferdeausbildung ist eine interessante Sache. Am Anfang erwartet man wenig von den Kleinen. Sind ja noch Kinder! Dann – je nach Pony und Mensch früher oder später – stellt man aber doch ein paar Ansprüche. Man freut sich über all die tollen Dinge, die das Pony lernt. Da kommt eine neue Sache nach der anderen dazu, bis schließlich in den meisten Fällen das Ganze gekrönt wird vom Anreiten – erstes Mal aufsteigen, erstes Mal allein lenken, erster Trab, erster Galopp ….. und dann ist das Pferd angeritten. So wie der Spaziergehkumpel von Sir Duncan. Und dann – ich erinnere mich noch sehr gut, wie es bei Finlay war. Dann kommt eine Zeit, in der sich augenscheinlich viel weniger tut. Die Highlights werden seltener und gefühlt werden die Fortschritte kleiner. Was nicht stimmt, die Ausbildung hat sich nur verlagert. Denn am Anfang geht es meistens nur ums Verstehen. Aber dann geht es darum, den Körper zu trainieren. Und das ist eben doch nicht ganz so schnell gemacht. Davon dass mir jemand erklärt, wie ich einen Spagat mache, kann ich halt keinen. Da heißt es üben, üben, üben. Das gleiche gilt für den Marathonlauf oder auch „nur“ die eine oder andere Yogaübung.

Nun aber zurück zu Sir Duncan. Da mein kleiner, großer Ritter mental so unglaublich früh dran ist mit allem und sich eigentlich immer 2 Jahre älter „anfühlt“ als er ist, verschiebt sich für mich das alles ganz schön. In meiner Wahrnehmung kann er schon längst „alles“ was man am Boden so können kann (in seinem Alter). Und wenn er was nicht kann, zeige ich es ihm und dann kann er das. So läuft das jetzt seit 2 Jahren. Und ja, ich bin verwöhnt.

Und dann bin ich plötzlich perplex, dass es Dinge gibt, die er NICHT kann. Zum Beispiel seine eigenen Gefühle managen wenn es um fremde Pferde geht. Eigentlich kein Wunder in seinem Alter. Und auch kein Wunder, weil wir es ja noch so wenig geübt haben. Aber wenn es dann schief geht und Herr Ritter mal wieder vergisst, dass ich auch noch da bin, dann macht mein Kopf ein Riesen Drama daraus. Mein Kopf extrapoliert dann das blöde Verhalten von heute und sagt mir, dass es ist ein oder zwei Jahren so schlimm sein wird, dass Duncan zum feuerspeienden Drachen mutiert sobald die Silhouette eines fremden Pferdes am Horizont erscheint.

Es ist für mich hilfreich, das am eigenen Leib (bzw im eigenen Kopf) noch einmal so zu erleben. Denn wie oft sage ich meinen Schülern, wenn sie ein Problem haben: „das geht vorbei, das müssen wir halt üben, das kriegen wir hin“ und wie oft sehe ich ihren ungläubigen, angsterfüllten Blick. Nun weiß ich (wieder), wie es sich hinter diesem Blick anfühlt und warum. Finlays Pubertät ist halt doch schon ein paar Jahre her und die Erinnerungen daran sind verblasst. Aber hey, der hatte schon auch mal ein paar lustige Ideen in dem Alter!

Jetzt liegt es also an mir, mit mir selbst so umzugehen wie mit meinen Schülern. Meinem Kopf zu erklären dass die Sache mit den fremden Pferden das EINZIGE Problem ist, was wir überhaupt haben, Duncan und ich. Und dass das mit viel Üben sicherlich in den Griff zu kriegen ist. Dass es Menschen gibt, die uns dabei unterstützen können. Und ich habe noch einen Trick gefunden: wenn Duncan mal wieder Pubertät hat, dann gehe ich mal pauschal davon aus, dass die Pubertät, die jetzt statt findet, die schlimmste Zeit ist, die wir zusammen haben. Stelle mir vor: Schlimmer als jetzt wird es nicht mehr. Und – zack! – ist Ruhe in meinem Oberstübchen. Denn wenn das alles ist, dann habe ich die entspannteste und einfachste Jungpferdeausbildung aller Zeiten.

Und wenn mein Kopf sich dann immer noch nicht überzeugen lässt, dann hole ich meine magische Liste hervor. Dort habe ich alles aufgeschrieben, was wir schon erreicht und gemacht haben. Und wenn ich diese Liste anschaue, dann wird mir klar: ich hab echt keinen Grund mich zu beschweren. Und das mit den fremden Pferden, das schaffen wir auch noch, Sir Duncan und ich.

Diese Liste ist etwas, das ich jedem Pferdebesitzer ans Herz lege. Wenn eine Schülerin sich beschwert, dass der Rechtsgalopp noch so blöde ist, dann erinnere ich sie daran, wie wir angefangen haben, mit einem einzigen Galoppsprung und es ging nur mit Hilfe von unten. Wenn eine Schülerin jammert, dass ihr Pferd immer noch Angst vor Treckern hat, erinnere ich sie daran, dass es vor ein paar Wochen sogar eine Plastiktüte für tödlich hielt. Und auch wenn meine Schülerin sich selbst klein redet und meint, dass sie das alles nicht kann, erinnere ich sie daran, dass der erste Trab schon eine Herausforderung war und sie das jetzt ganz selbstverständlich kann.

Ich finde, jeder sollte eine magische Liste haben. Die hilft uns auf die Sprünge, wenn wir uns festgedacht haben im Labyrinth angeblich riesiger Probleme. Und sie erinnert uns vielleicht auch daran, dass Pferdeausbildung (und auch Menschenausbildung) sowieso nie fertig und abgeschlossen ist.

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