Zu nah

Der Pferdezahnarzt ist da. Und diesmal soll auch Gatsby gemacht werden. Da der wenig Begeisterung zeigt sondern eher etwas Angst hat, bleibe ich mit Duncan in der Scheune, als beruhigende Gesellschaft. Ob das was bringt wissen wir nicht, aber es kostet nix. Oder doch, denn Duncan schiebt natürlich sofort Langeweile. Ich fange also an, ihn wieder zu bespaßen wie beim letzten Mal (könnt Ihr hier nachlesen). Die „Belly bumps“ zu denen der Zahnarzt mich letztes Mal anstiften wollte, können wir jetzt. Und ich mache meine kleine „Spagatübung“, stehe am Boden und hebe mein Bein auf Duncans Rücken – das geht gerade so ganz knapp. Der Zahnarzt lacht und sagt „hol Dir doch einen Stuhl“. Ich hole mir einen Eimer zum drauf stehen. Duncan kennt das, ich hab das schon mal gemacht. Ich stehe auf dem Eimer und lege mein Bein auf seinen Rücken. Kennt er, kann er. Der Zahnarzt stiftet mich an, den Fuß auf der anderen Seite zu bewegen und ist ganz entzückt von Duncan, der mit einem interessierten Blick nach hinten reagiert und mich fragt, was ich da tue. Lustig findet mein Ritter das, sehr unterhaltsam. Der Zahnarzt meint, mein Pony sei so weit, ich könnte mich doch auch drauf setzen. Ich meine das nicht. Und der Zahnarzt sagt lächelnd „Du bist ihm zu nah“ (emotional meint er).

Vielleicht. Vielleicht ist meine Einschätzung falsch und ich könnte mich drauf setzen. Vielleicht ist meine Einschätzung auch richtiger als die des Zahnarztes, denn ich kenne mein Pony. Vielleicht ist mein Anspruch höher. Ich bin sicher, ich könnte mich auf Duncan setzen ohne dass etwas dramatisches passieren würde. Aber ich bin ebenso sicher, dass Duncan das blöd finden würde. Ich möchte erst dann aufsteigen, wenn Duncan es mit hoher Wahrscheinlichkeit witzig und interessant findet. „Aushalten“ und sich dran gewöhnen ist nicht mein Weg. Ich denke an so viele Kaffee- oder Weintrinker die ich kenne. Wenn ich diese Leute frage, ob sie das nicht früher auch eklig fanden, kommt erstaunlich oft die Antwort: „man gewöhnt sich dran“. Ich werde es nie verstehen, aber anscheinend haben diese Menschen angefangen, Kaffee oder Wein zu trinken obwohl es ihnen anfangs eben NICHT geschmeckt hat. Inzwischen haben sie sich dran gewöhnt und es schmeckt ihnen. Kann ja jeder machen was er will, ich habe halt die Gewöhnungsphase weg gelassen und trinke das Zeug bis heute nicht. Und ich möchte nicht, dass mein Pony sagt „man gewöhnt sich dran, dass einem jemand auf dem Rücken sitzt“. Ich möchte, dass Duncan begeistert in sein Tagebuch schreibt, wenn es so weit war. Dass er nach dem Absteigen laut „nochmaaaaaaal!“ ruft, weil er es so interessant und unterhaltsam fand. Nicht nur weil es (vielleicht) einen Keks gab. Auch deswegen gibt es bisher für diese Dinge eben KEINE Kekse. Weil ich eine ehrliche Rückmeldung haben möchte (auch wenn mir die nicht immer gefällt). Ich möchte den Sitzplatz auf Duncans Rücken nicht kaufen, sondern ihn mir verdienen und er soll „nein“ sagen dürfen oder „ich bin noch nicht so weit“ oder „ich bin nicht sicher“. Später, wenn er es kann, wird sich das sicher ändern. Dann wird es Kekse geben um die Motivation zu steigern. Aber der Anfang soll so sein.

Bin ich zu nah an meinem Pony und unterschätze ihn? Kann sein. Erst neulich durfte ich einer Schülerin aufzeigen, wie sehr ihr Pony sich entwickelt hat und dass aus dem verschreckten Norweger, der schnell im Erstarrungsverhalten „verschwand“ wenn er überfordert war, ein rotzfrecher Clown geworden ist, der hundert Mittel und Wege hat um günstig an Lob, Aufmerksamkeit und Kekse zu kommen und unliebsamen Dingen aus dem Weg zu gehen. Und sie sah ein, dass sie da wohl eine Entwicklung verpasst hat und fest hängt in ihrem alten Bild von ihrem Pony. Vielleicht geht es mir ähnlich? Ich weiß es nicht und ich werde es nie wissen. Die gute Nachricht ist: in Situationen wie dieser vergebe ich mir nichts, wenn ich warte und es dann mache wenn ich es für richtig halte.

In anderen Situationen darf ich schon wachsam sein. Denn natürlich hat Duncan sich im Laufe des letzten Jahres altersbedingt sehr stark verändert. Natürlich ist er jetzt ganz anders drauf. Ich beobachte ihn mit Argusaugen in der Herde um zu lernen, an welchen Stellen er anders reagiert als früher. Er hat mehr „standing“, schon allein weil er mehr Körpermasse hat. Er lässt sich nicht mehr so leicht weg schubsen von „seinem“ Heuhaufen. Er bleibt einfach stehen und ist unbeeindruckt von Gatsby, der den Haufen für sich beansprucht. So wird das Heu eben geteilt. Später ist Duncan dann allerdings doch weg gegangen um woanders Heu zu fressen – mein harmonieliebendes Pony möchte eben doch gern den Frieden erhalten. Und so verhält er sich auch bei mir: er fragt mal nach, ob diese Regel wirklich gilt, aber wenn er feststellen muss, dass sie wirklich gilt, ist das ok für ihn. Fragen kostet ja nix.

Seine Laune schwankt nicht mehr ganz so schnell, er ist etwas mehr zur Ruhe gekommen in sich selbst. Mental. Körperlich hingegen merke ich ihm an dass er in den letzten Wochen viel zu wenig Bespaßung hatte und somit vor überschüssiger Energie mal wieder nur so strotzt. Da muss ich ran, damit er nicht explodiert…. (sonst bekomme ich wieder Beschwerdemeldungen von der genervten Herde).

Aber das schönste Geschenk hat er mir neulich gemacht, als wir in der Freiarbeit eine neue Übung probiert haben. Anstatt dass – wie früher – der Vorderhuf hoch kam und die Verzweiflung stieg weil er nicht wusste was er tun sollte, hat er in Ruhe ausprobiert und angeboten. Hat sich von meiner stimmlichen Rückmeldung mit „ja“ und „nein“ lotsen lassen (im Sinne von „Du bist näher dran“ und „Du bist weiter weg“ – nein heißt nicht „total falsch lass den Mist“!), hat sich zwischendurch einen Keks fürs probieren geben lassen und schlussendlich die Lösung gefunden. Und das war so erwachsen, mit noch nicht ganz 3 Jahren, da war ich baff. Und stolz, denn irgendwas hab ich wohl richtig gemacht. Und irgendwann kommt auch der Aufsteige-Tag. Wenn ich glaube, dass mein stolzer Ritter so weit ist.

Eines Tages wird es so weit sein.

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