Wissen, können, wollen

Ich stehe auf dem Platz und schaue meiner Schülerin und ihrem Pferd beim Üben zu. Plötzlich muss ich grinsen. Wir haben noch nichts geübt, was von außen so aussieht als würde es ihr eigentliches Problem lösen. Sie kam nämlich zu mir um bei der Bodenarbeit mehr auf Distanz gehen zu können. Ihr Pferd möchte immer ganz nah bei ihr sein und tritt ihr dabei lieber fast auf den Fuß als selbständiger und etwas weiter weg zu sein. Nun bin ich ja pragmatisch: Gerte nehmen und das Pferd auf Abstand halten, dann im richtigen Moment belohnen und – zack – Problem gelöst. Aber diese Schülerin möchte das nicht. Sie arbeitet mit positiver Verstärkung, sie möchte möglichst überhaupt keinen Druck machen. Also finden wir andere Wege. Und das, was ich durchaus auch jeder anderen Schülerin erzählt hätte, gewinnt nun mehr Bedeutung. Das ist gut für mich, denn die Prioritäten verschieben sich und ich lerne unglaublich viel wenn ich mir neue Wege ausdenken muss (hoffentlich verlangt sie nicht nächstes Mal Geld von mir!)

Ich habe mir also das Treiben der beiden angeschaut und beobachtet, dass ihr Pferd große Probleme mit dem Gleichgewicht hat. Das klingt ja immer ein bisschen verrückt, schließlich hat so ein Pferd an jeder Ecke ein Bein und das sollte doch völlig ausreichen. Tut es ja auch – bis der Mensch ins Spiel kommt.

Bei Duncan kann ich das nun schön noch einmal von vorne beobachten: im Laufe der ersten Lebensjahre, gerade auch wenn der Körper sich durch Wachstum ständig verändert, müssen die Pferde immer wieder neu ausprobieren, wie es geht. Duncan lotet – wie es sich für einen kleinen Hengst gehört – vor allem auch mal die Grenzen des Machbaren aus: wie hoch kann ich steigen, bevor ich umfalle? Wie schnell kann ich um die Kurve sausen bevor es mir die Füße wegzieht? Wie muss ich mein Verhalten an die Bodenverhältnisse anpassen damit mir nicht vier Füße in vier verschiedene Richtungen wegrutschen? Lernen durch Erfahrung. Mir wird regelmäßig ein bisschen schlecht, wenn ich ihn dabei beobachte, aber obwohl mein Gefühl schreit „du musst das verhindern, der wird sich verletzen!“ weiß mein Kopf: es geht eben nur so. Um es mit den Worten meines Schwagers über seine Kinder zu sagen „wenn die nie irgendwo hochklettern wissen sie nachher nicht wie tief man da runter fällt“. Körpererfahrung ist durch nichts zu ersetzen.

Wenn so ein Pferd dann aber ausgewachsen ist und seine Bewegungsmuster und Erfahrungen hat, dann tut sich da oft nicht mehr so viel. Und dann kommt der Mensch. Und möchte Einfluss nehmen – so oder so. Schneller oder langsamer, rechtsrum oder linksrum, eleganter, über den Sprung und das alles mit so einem „Rucksack“ auf dem Rücken oder einem „Körpersprachlegasteniker“ an der Seite. Denn mal ehrlich: Menschen die ihren Körper so im Griff haben, dass sie dem Pferd wirklich HELFEN können sind rar gesät. Meistens sind wir eher ein Störfaktor.

Nun sind die meisten Pferde bereit, eine Menge für uns zu tun. Sie geben sich wirklich Mühe und deswegen finden sie Wege, das zu tun, was wir möchten. Diese Wege sind aber nicht immer gut fürs Pferd. Viele finden heraus, wie sie uns tragen und ausbalancieren können, wissen aber nicht, dass sie sich selbst damit sehr schaden, wenn sie nicht die richtige Muskulatur einsetzen. Und gerade der „Klassiker“ in der Bodenarbeit, das longieren, endet oft darin, dass das Pferd zwar im Kreis um den Menschen herum läuft, aber dabei eher zentrifugiert als gymnastiziert wird.

Warum ist das so? Jeder, der mal mit einem kleinen Kind oder seiner alten Oma spazieren gegangen ist, erinnert sich vielleicht, wie anstrengend das ist. Da ist jemand, der ein ganz anderes Tempo, einen ganz anderen Rhythmus hat als man selbst. Schon mit jemandem zu gehen, der ein kleines bisschen schneller oder langsamer ist, kann einen raus bringen. Nicht selten sind wir danach total verspannt. Auch geistig kann es einen schnell an den Rand der Verzweiflung bringen.

Wirklich synchron zu sein, sich genau passend zum anderen zu bewegen ist eine große Kunst. Und wunderschön anzusehen, falls Ihr Lust auf ein schönes Video habt.

Und so sehr wir auch denken, dass wir dem Pferd „nur“ sagen müssen was es machen soll: ich glaube das stimmt nicht. Ich glaube, auch wenn wir „nur“ in der Mitte stehen und unser Pferd um uns herum läuft, wird es eine Art Synchronisation suchen mit uns. Das ist seine Natur. Es wird versuchen, sich an uns anzupassen. Das ist verdammt schwer. Und da kommt dann das Gleichgewicht ins Spiel.

Und so stehen meine Schülerin und ihr Pferd auf dem Platz und üben, zunächst direkt nebeneinander, dass das Pferd auf Kommando sein Gewicht von der einen Schulter mehr auf die andere bringt. Dass es sich langsamer und schneller bewegen kann im Gleichklang mit dem Menschen. Dass es seine eigene Körperbalance wieder findet ohne den Kontakt zum Menschen zu verlieren. Und ich stehe daneben und staune, wie schwer das eigentlich ist.

Eine der magischen Fragen in der Pferdeausbildung ist ja immer die: warum macht das Pferd das nicht? Weil es nicht weiß, was es tun soll. Oder weil es das, was es tun soll, nicht kann. Oder weil es nicht will. Und das ist dann eben die Frage. Mit einem jungen Pferd hat man da einen gewissen Vorteil, denn erst mal kann man ja davon ausgehen, dass das Pferd einfach nie weiß, was es tun soll. Aber später wird es komplizierter. Und je länger ich Pferde ausbilde, desto öfter finde ich ein „das Pferd kann das nicht“ wo ich früher auf eine der beiden anderen Optionen getippt hätte.

Ich habe noch eine ganze Menge zu dem Thema zu sagen, aber das wird hier zu lang. Also komme ich später darauf zurück. Bis dahin beschäftige ich mich und meinen kleinen Ritter mit einfachen Körpergefühls-Übungen. Wippen. Stufentraining. Über die Matraze laufen. Mit Stangen spielen. Er wird Euch darüber berichten.

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