Ein Missverständnis

Duncan steht auf den Hinterbeinen vor mir, seine Vorderhufe treffen mich am Arm. Autsch!
„Der will doch nur spielen“ könnte man mit Fug und Recht sagen. Leider hat er da was falsch verstanden. Zum Glück haut er nicht wirklich zu, sondern wedelt nur ein bisschen mit dem Vorderhufen, so dass mir nichts passiert.

In meinem Buch gibt es eine ähnliche Szene mit Finlay – allerdings nur ähnlich, nicht gleich. Finlay war damals 9 Monate alt. Er stand noch mit seiner Mutter in der Herde aber wir haben immer mal ein paar Minuten Bodenarbeit auf dem Platz gemacht. An diesem Tag war er etwas wild gewesen.

Auszug aus meinem (immer noch unveröffentlichten) Buch:
9 Monate alt (noch bei der Züchterin)
Heute kann ich Finn alleine auf den Reitplatz holen, da es eine Schleuse zwischen Koppel und Offenstall gibt, durch die ich ihn gefahrlos aus der Gruppe holen kann. Er ist wieder unaufgefordert zu mir gekommen, allerdings mit wenig Elan in gemachem Schritt nach Überlegungszeit. Ob dies an der allgemeinen Ruhe in der Herde liegt oder daran dass wir in letzter Zeit ein paar Diskussionen darüber hatten, ob man mich beißen darf oder nicht (siehe dazu das Kapitel „Ponyspiele und Menschenspiele“), kann ich nicht einschätzen.
Schon auf dem Weg zum Reitplatz ist er dann sehr aufgedreht und versucht mich zu überholen und anzutraben. Ich schwinge das Seil vor ihm um ihn zu bremsen, was auch funktionierte, jedoch teilweise dazu führt, dass er mich mit Kopf und Schulter von meinem Weg abbringen will.
Auf dem Platz machen wir einfache Führübungen, heute auch mal mit ein paar Schritten rückwärts von der Seite aus, was er schnell versteht. Er ist ungeduldig und schrecklich nervig, versucht
permanent, mich zu beißen oder zu traben oder mich mit Kopf und Schulter weg zu schubsen. Ich habe das Gefühl, ein Pulverfass am Strick zu haben und rechne jederzeit damit, dass er steigt.
Ich übe Hinterhand weichen – eine Übung die er gut kennt und auch sofort macht. Jedoch geht er nach jedem Weichen einen Schritt auf mich zu (obwohl ich ja schon auf seiner Kopfhöhe stehe) und
versucht, mich wegzuschieben. Ich hebe den Arm auf seiner Kopfhöhe und halte ihn oben, um seine beißenden Zähne von mir wegzuhalten und ihm mehr Begrenzung zu geben.
Zum ersten Mal habe ich das deutliche Gefühl, dass er bewusst die Übung nicht so ausführt wie ich es will. Das Wort Machtkampf zu verwenden wäre vielleicht übertrieben, es ist wohl eher ein Spiel,
jedoch ein rüdes Spiel in dem es sehr viel deutlicher ums Gewinnen geht als sonst. Der Hengst in ihm scheint zu erwachen. Ich wiederhole das Hinterhandweichen jeweils so oft, bis er es
einmal ohne den Schritt nach vorne schafft, dann gibt es eine Pause und viel Lob, danach versuchen wir es nochmal. Ich möchte, dass es im ersten Versuch richtig gelingt und auf diese Art kann ich das erreichen, ohne ihn im Bewegungsablauf zu korrigieren – indem er eben erst fertig ist, wenn er es richtig gemacht hat.
Schließlich gelingt es und ich beschließe, Feierabend zu machen. Nun zeigt sich die Tücke der Arbeit auf dem Reitplatz! Ich kann ihn ja nicht einfach abhalftern, sondern muss ihn noch
zurückführen – und das mit Sitte und Anstand. Ich konzentriere mich sehr und kann ihn nur mit erhobenem Arm führen, so dass er mich nicht beißen kann. Er drängelt und schubst und ich bin so mit ihm beschäftigt, dass ich am Eingang vom Paddock vorbei laufe und dies erst einige Meter weiter merke. Ich halte an und drehe mich um, da sehe ich aus dem Augenwinkel, wie Finn hoch steigt, neben meinem Kopf wedelt ein Vorderhuf in der Luft. Ich bringe mich einen Schritt in Sicherheit und als ich mich zu ihm gedreht habe ist er auch schon wieder unten. Mit allem was ich habe – Stimme, Seil und Körperhaltung – schicke ich ihn einige Schritte flott zurück, lasse ihn stehen und er schaut mich bedripst an. Dann will er auf mich zukommen, jedoch schicke ich ihn wieder auf seinen Platz und warte einige Sekunden. Als ich sicher bin, dass er nicht von selbst wieder kommen wird, gehe ich zu ihm, hole ihn ab und bringe ihn in den Paddock. Er wirkt eingeschüchtert und ich bin insofern beruhigt als ich das Gefühl habe, er hat den Rüffel doch
sehr ernst genommen.

Nun also Duncan. Aber zu meiner eigenen Überraschung reagiere ich anders. Ich überlege kurz, ob ich komplett ausflippe und klarstelle dass man das im Zusammensein mit Menschen niemals tut. Aber ich entscheide mich dagegen. Warum? Ich bin nicht sicher. Ich glaube, vor allem deswegen, weil er so unglaublich freundlich schaut. Er möchte wirklich und tatsächlich nur spielen und es ist überhaupt keine böse Absicht dabei. Im Gegensatz zu Finlay damals, der die Nerven verloren hat und völlig überdreht war, hat Duncan mich einfach nur falsch verstanden. Ich hatte ihn auf mich zu traben lassen während ich rückwärts lief. Das fand er sehr einladend! Und ich hatte nicht einkalkuliert, dass er noch nicht genug Übung hat im Abstand halten. Dann habe ich gestoppt und wollte dass er auch stoppt. Naja, hat er ja auch. Aber er hatte eben sehr viel Schwung, hat die Hinterhand sehr weit untergesetzt und kam vorne ein bisschen hoch. Ich habe versucht, ihn zurück zu schicken aber daraufhin kam er beim zweiten Mal erst so richtig hoch und seine wedelnden Vorderhufe kamen in Kontakt mit meinem Arm.

Als er wieder gelandet ist, schicke ich ihn ruhig ein paar Schritte zurück und wiederhole die Übung um ihm die richtige Lösung zu zeigen. Wenn ich darauf achte, das Signal zum Stopp sehr früh zu geben, klappt es gut. Wir machen kurz etwas anderes, damit ich mein Adrenalin loswerden kann, dann üben wir das folgen und anhalten nochmal intensiv im Schritt. Ich gehe rückwärts, du hältst Abstand. Wenn ich stehenbleibe, bleibst du auch stehen. Und du achtest darauf, so viel Abstand zu halten, dass noch etwas „Bremsweg“ übrig bleibt. Mehr ist es nicht. Das weiter auch im Trab zu üben kommt auf meine To-Do-Liste.

Später denke ich noch lange darüber nach. Was genau ist passiert? Ich sehe Duncan mit seinem Spaziergehkumpel spielen – dort zeigt er ganz genau das selbe Verhalten. Statt einfach zu bremsen, zieht er im Stopp die Hinterhand unter den Körper und hebt sich vorne hoch. Er steigt gern und es sieht immer leicht aus. Er schlägt nicht mit den Vorderhufen nach seinem Kumpel, er wedelt mal ein bisschen oder legt ein Bein auf seinem Körper ab aber meistens hängen seine Vorderbeine ganz entspannt. Ein junges Pferd weiß noch nicht, dass es mit den Menschen nicht so spielen und kommunizieren darf wie mit anderen Pferden. Ein junges Pferd – und hier falle ich bei Duncan manchmal rein, weil ich durch sein oft schon so erwachsenes Verhalten vergesse wie jung er noch ist – wird sich zunächst einfach so verhalten wie ein Pferd sich eben von Natur aus verhält – das kann bedeuten dass es spielerisch zwickt und uns dabei ordentlich Schmerzen zufügt, das kann bedeuten dass es uns das Fell liebevoll mit den Zähnen kraulen will und dabei unsere Kleidung oder gar unsere Haut kaputt macht und es kann eben bedeuten, dass es spielerisch steigt, bockt, austritt oder losrennt ohne zu wissen, dass diese Verhaltensweisen nicht in Ordnung sind im Umgang mit Menschen. Sie müssen es lernen – Finlay habe ich damals einen ordentlichen Rüffel erteilt, auch weil ich unbedingt vermeiden wollte, dass er das wiederholt. Bei Duncan bin ich in vielen Dingen ja sowieso viel entspannter und habe auf den Rüffel verzichtet, sondern ihm nur gezeigt, dass er Abstand halten soll. Ich glaube schon, dass er zumindest in dieser Situation und Übung verstanden hat, dass Steigen nicht erwünscht ist. Ganz grundsätzlich weiß er das vielleicht aber trotzdem noch nicht und wird es evt wieder probieren.
Ich lasse auch noch einmal revue passieren wie ich mich bewegt habe. Duncan war zu nah, hatte zu hart stoppen müssen, war dabei vorne hoch gekommen und ich habe eine Bewegung gemacht mit der ich ihn rückwärts schicken wollte. Aber jetzt wo ich so darüber nachdenke ist diese Bewegung verdächtig nah an der, die ich mache wenn Merlin steigen soll. Merlin bekommt Kekse fürs Steigen – und Duncan hat das nun schon öfter gesehen. Ja, ich hatte schon mal geschrieben dass ich mir manchmal Gedanken darüber mache wenn Duncan solche Dinge beobachtet… https://schotten-pony.com/2020/02/27/zaehmen/

In der Situation mit Finlay war das alles anders gewesen. Er war gestiegen, als ich mich von ihm weggedreht hatte. Es war die Explosion an Emotionen die er die ganze Zeit vorher schon angekündigt hatte. Heute würde ich VORHER anders reagieren und versuchen, es gar nicht erst dazu kommen zu lassen. Aber bei einem Pferd das steigt weil es seine Emotionen nicht mehr im Griff hat würde ich trotzdem genauso reagieren wie bei Finlay damals. Denn was auch immer passiert – aus Wut zu steigen ist keine angemessene Verhaltensweise für ein Pferd in der Menschenwelt. Unsere Pferde dürfen andere Wege finden mit ihrer Wut umzugehen, so wie Menschen bessere Wege finden dürfen als zu hauen. Finlay ist übrigens in der Nähe von Menschen nie wieder gestiegen, er hat nachher tatsächlich andere Ausdrucksformen gefunden für Wut.

Und während ich diese Zeilen schreibe, denke ich an den Unterschied zwischen meinen beiden Schottenponys. Die Situation zeigt einige dieser Unterschiede deutlich. Finlay war öfter mal wütend auf mich und hat es in der Pubertät geliebt, herzhaft mit mir zu streiten. Duncan ist diesbezüglich (noch?) sehr zurückhaltend. Wahrscheinlich biete ich ihm aber auch viel weniger „Angriffsfläche“ weil ich kein festes Ausbildungskonzept habe und die meiste Zeit das mit ihm tue was er am liebsten mag (nämlich die Welt erobern). Finlay war die ersten zwei Tage seines Lebens ein Flaschenkind – hat ihn das beeinflusst in seiner Beziehung zu Menschen? Ich bin überzeugt davon. Außerdem war Finlay zu dem Zeitpunkt zu dem er mir gestiegen ist, erst 9 Monate alt, während Duncan nun schon fast 2 Jahre alt ist. Und mit Finlay habe ich ganz anders gearbeitet. Im Alter von 9 Monaten heißt „wir gehen auf den Reitplatz und machen Bodenarbeit“ und all meine lange Beschreibung dazu, dass wir ca 10 Minuten miteinander verbringen. Viel länger kann so ein Zwerg sich ja gar nicht konzentrieren und soll er ja auch nicht müssen. Für Finlay war der Gang zum Reitplatz an sich ja schon eine Übung. Duncan hingegen ist bereits über 160km mit mir durchs Gelände marschiert, der hat eine ganz andere Routine. Dann kommen die Lebensumstände dazu. Wenn Duncan im Überschwang der Gefühle jemanden braucht den er mal etwas ärgern kann, stehen ihm 4 große Partner zur Verfügung und immer wieder beobachten wir, dass er einen von ihnen so lange in die Mangel nimmt, bis er eine Retourkutsche kassiert hat. Junge Pferde suchen nunmal Grenzen (genau wie junge Menschen), aber er sucht sie deutlich weniger bei mir – vielleicht weil er sie in der Herde findet. In Finlays Familiengruppe waren keine Jungs zum Spielen, da war Mama, die Tante, die Halbschwester und die ein Jahr ältere Schwester. Wirkliche Hengstspiele habe ich dort nie beobachtet und so ganz ernsthafte Grenzen setzten Mama und Tante vielleicht auch nicht unbedingt – nicht so wie Diego und Gatsby das hier bei uns tun. Vielleicht war ich an diesem Tag einmal diejenige, wo Finlay eine Grenze gesucht (und gefunden) hat.
Letztendlich kann man Ponys wohl nie miteinander vergleichen. Aber natürlich erinnert mich die Situation des Steigens an den Moment mit Finlay.

Nun weiß ich jedenfalls, was ich mehr üben werde. Zum Glück kann man das auch gut mal auf einem Spaziergang mit einbauen so dass ich Duncan nicht damit nerven muss, auf dem Reitplatz zu sein. Wenn es ihn denn nervt – ich bin nicht sicher. Arnulf hatte mich dazu angestiftet, mal ein paar Dinge auf dem Reitplatz zu probieren. Duncan hat alle gefragten Übungen einfach so gemacht, aber Begeisterung sieht anders aus. Also habe ich nach Übungen gesucht, die er witzig findet – und bin dabei wohl übers Ziel hinaus geschossen.
Es bleibt abzuwarten, ob Duncan verstanden hat, dass ich bei diesem Spiel nicht mitspielen möchte oder ob uns noch Diskussionen bevorstehen…. Jedenfalls bin ich jetzt gewarnt!

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2 Kommentare

    1. Ja ganz ungefährlich ist es eben nie. Ein Pferd bleibt ein Tier und ein junges Pferd ist natürlich deutlich unberechenbarer als ein älteres mit mehr Erfahrung. Deswegen sollte sich ja auch kein Anfänger ein Fohlen kaufen.

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