Duncan rupft Gras. Ich stehe neben ihm und versuche, mit ihm zusammenzusein. Also: mit ihm zusammen zu sein. Und das ist komplizierter als es sich anhört – zumindest für mich.
Ich bin nie der Typ Mensch gewesen der stundenlang bei seinem Pferd auf der Wiese sitzt und ihm beim Fressen zuschaut. Wenn ich beim Pferd bin, will ich was tun.
Nun versuche ich, nichts zu tun. Und doch nicht nichts. Ich versuche, heraus zu finden, wo Duncan mich gerne stehen hat und wo nicht so. Wie lange ich an einem Platz stehen soll. Warum er manchmal freundlich ist und manchmal wütend. Wie ich erreichen kann, dass er sich wohl fühlt in meiner Gegenwart. Grundsätzlich tut er das ja schon. Aber gerade wenn er frisst, ist er dann doch manchmal unentspannt und findet schnell, ich würde an der falschen Stelle stehen. Und so wandere ich um ihn herum, mit mehr Abstand, mit weniger Abstand, parallel oder gegenläufig und denke nach.
Über all die Dinge die ich von Elsa Sinclair lerne. Über die Unterschiede zwischen Finlay und Duncan und darüber wie schwer es mir fällt, kein Ergebnis zu erwarten. Darüber, wie wenig ich noch über Elsas „Freedom Based Training“ weiß. Kurz auch mal darüber dass ich nicht glaube, dass sie diesen Oktober nach Deutschland kommen und einen Kurs geben darf. Aber zum Glück ermutigt sie uns alle, Dinge auszuprobieren und also tue ich das jetzt. Und ich finde einen der vielleicht größten Unterschiede zwischen Finlay und Duncen, der mir bisher gar nicht so bewusst war.
Ein Pferd hat (so wie jedes andere Tier auch) drei Möglichkeiten auf Stress zu reagieren. Flucht, Kampf oder Erstarren. Und während man uns dauernd weismachen will, das Pferd sei ein Fluchttier, sehe ich doch gerade in meinem Kundenkreis auch viele, die eher erstarren. Der Durchschnitts-Tinker zum Beispiel neigt dazu. Und Finlay – der war Meister darin.
Nun ist das erst mal leicht zu händeln. Denn ein erstarrtes Pferd bewegt sich nicht – schon gar nicht schnell. Und wenn wir die Erstarrung erkennen und dem Pferd helfen, seinen Stress abzubauen, kommt es zum Denken und wir bekommen ein gutes Ergebnis. Erstarren hat auch seine Tücken, so ist es nicht. Aber ich kenne diese Tücken, weil ich so viele Pferde kenne die zum Erstarren neigen.
Duncan hingegen sehe ich fast nie erstarren. Duncan ist entweder auf der „positiven“ Seite des Erstarrens – nämlich Denken – oder die Stimmung kippt und er geht über zu Kampf oder Flucht.
Im Gegensatz zu vielen anderen Pferden, die dann doch eher die Flucht wählen, hat er durchaus „Kampf“-Potential. Das hört sich heftig an, heißt aber nur, dass er, wenn ich etwas tue was ihm nicht passt, eher nach mir schnappt als wegzulaufen. Das Problem ist nur, dass ich noch nicht so recht weiß, wann ihm was nicht passt. Wenn ich mit Halfter und Strick arbeite, kann ich ihn daran hindern mich zu beißen. Ich kann meinen Willen durchsetzen und wenn Duncan gut mitmacht, gibt es Kekse. So kommen wir gut klar. Aber im Freedom Based Training läuft das anders. Denn hier geht es darum, dass ICH es richtig mache. ICH will mich so verhalten dass er gut findet was ich tue. Und das ist bei Duncan unendlich viel schwieriger als es bei Finlay war.
Finlay war ein großer Kuschler, vor allem als er klein war. Er wollte immer gekratzt werden und kam einem fast auf den Schoß gekrochen dafür. Wenn er keine Lust mehr hatte, ging er weg. Ich habe immer dafür gesorgt, dass ich weggehe bevor er keine Lust mehr hat und schon war ich seine beste Freundin.
Duncan hingegen ist anderer Meinung. Kratzen ist schon ok. Aber er möchte dass ich mich anders verhalte. Und ich weiß noch nicht wie. Ein bisschen peinlich ist mir das schon, dass mein Pony so viel schneller weiß, was ich von ihm will als umgekehrt. Ich glaube, die Pferde haben da einen Vorteil: sie beobachten uns neutraler. Sie haben keine Bücher gelesen und keine Kurse besucht. Sie denken nicht über theoretische Konstrukte nach, sie probieren einfach aus, was passiert. Und dann machen sie eben das, was ihnen einen Vorteil bringt – so einfach ist das. Aber ich habe es da schwerer. Ich habe zu kämpfen mit meinen eigenen Vorurteilen, meinen guten und schlechten Erfahrungen, meiner Sorge, etwas falsch zu machen, meinen Erwartungen, was passieren soll.
Und so stehe ich nun neben Duncan auf der Weide und habe Fragezeichen im Kopf. Warum kippt die Stimmung bei ihm so unglaublich schnell? Ohne Vorwarnung (so scheint es mir) wechselt er von freundlich zu verärgert.
Dann erinnere ich mich aber an Finlay: der konnte das schon auch, nur in anderen Situationen. Aus der Pause heraus, während wir auf dem Reitplatz zusammen standen ohne dass ich Ansprüche hatte ist er manchmal buckelnd, furzend und quietschend abgezischt. Für mich ohne ersichtlichen Grund. Bei Finlay ist dieses Verhalten verschwunden, als er erwachsen wurde. Ob das bei Duncan auch so sein wird? Ich nehme es an. Ich nehme an, dass die Übergänge zwischen den Launen sanfter werden, dass ich mehr Zeit haben werde, zu reagieren. Aber ich möchte ihn ja verstehen und besser kennenlernen – jetzt, nicht erst wenn er erwachsen ist. Und so probiere ich weiter. Und ich beobachte mich selbst und mache eine erstaunliche Entdeckung. Während der Plan in meinem Kopf ist, dass wir nur in Ruhe Zeit miteinander verbringen, ist da ein kleines Teufelchen auf meiner Schulter dass mir einflüstert, dass das gar nichts bringt, weil gar nichts passiert. Und dieses Teufelchen will mich verführen, mich an eine Stelle zu begeben von der ich weiß, dass Duncan sie nicht mag. Ist das nicht verrückt? Elsa hat darüber einen Blogpost geschrieben in dem sie über den „Red Button“ spricht.
https://equineclarity.org/2018/01/14/the-big-red-button/?fbclid=IwAR2AhRGasmwEJi4tjcFvPt1x6NNKvnuFPnWijjXOu7LbUsZnm49RuN1dgig
Deutsche Version https://www.facebook.com/notes/taming-wild-deutschland/der-gro%C3%9Fe-rote-knopf/1917625358551812/?hc_location=ufi
Sie schreibt dort symbolisch über einen großen roten Knopf. Dieser große rote Knopf ist verführerisch. Den wollen wir drücken wenn wir zu sehr gestresst sind. Und dass ich neben meinem Pony stehe und (scheinbar) nichts passiert, das stresst mich. Etwas soll passieren! Irgendwas! Ich will, das etwas passiert und ich bin sehr in Versuchung, den roten Knopf zu drücken, indem ich mich direkt neben Duncan stelle. Obwohl ich weiß, dass dann etwas passiert von dem ich nicht will, dass es passiert: Duncan wird ärgerlich werden.
Es kostet mich einiges an Konzentration, genau hin zu schauen und mir klar zu machen, dass hier sehr wohl gerade etwas passiert. Etwas gutes. Dass er schon ein bisschen entspannter ist, als ich mich dem Platz nähere an dem er mich nicht haben will. Dass er schon ruhiger ist im Bescheidsagen – ein kleiner Blick in meine Richtung und ich weiß, ich bin an der Grenze. Dass ich schon besser geworden bin darin, ihn zu lesen – letzte Woche hätte ich den Blick noch nicht gesehen.
Aber die Versuchung, auf den roten Knopf zu drücken ist da. Und ich glaube es ist dieser rote Knopf, der auch für Duncan die Versuchung darstellt. Auch er sieht ihn vor sich und wenn ihn die Langeweile quält oder er gestresst ist vom Wachsen, dann drückt er drauf. Auch wenn das negative Konsequenzen hat – von mir, von anderen Pferden, vielleicht sogar vom Stromzaun. Wie bei unserem letzten Spazierengang. Da musste er unbedingt beißen – mich, meine Freundin oder seinen Spaziergehkumpel, völlig egal wen, nur beißen wollte er! Es war offensichtlich, dass er einfach nur irgendwo hin musste mit seiner Energie. Das sind keine „Angriffe“ auf uns, das ist das kleine Kind, das überall gegentritt, weil es nicht anders kann.
Negative Aufmerksamkeit ist auch Aufmerksamkeit, so sagt man in der Kindererziehung. Und das sage ich meinen Schülern auch oft. Und wir alle wollen viel Aufmerksamkeit. Zur Not sorgen wir dafür, dass wir sie bekommen.
So stehe ich vor einer neuen Herausforderung. Denn während ich in meinem „normalen“ Umgang mit den Pferden schon recht geduldig geworden bin und viel positive Aufmerksamkeit verteile, mich über kleinste Kleinigkeiten freuen kann und alles meistens ganz gut läuft, bin ich im Freedom Based Training noch totaler Anfänger. Ich weiß gar nicht, was ich da tue. Ich weiß nicht, warum ich tue was ich tue. Ich weiß nur, wo ich mal hin will. Und die Versuchung, da schnell hinzukommen, ist manchmal überwältigend. Und nur die Gewissheit, dass es nur länger dauert, wenn ich zu schnell mache, kann mich davon abhalten – und es kostet mich Konzentration.
Als ich Elsa kennen gelernt habe, dachte ich „das ist eine tolle Methode, das will ich mit meinen Pferden so machen“. Aber recht schnell war klar, dass ich mit Elsas Ausbildungsmethode (laut ihr selbst der langsamste Weg den es gibt) lange nicht dort hin komme wo ich hin will, nämlich mit meinen Ponys den Hof verlassen zu können. Also beschloss ich, nur Teile ihrer Methode in mein jetziges Tun zu integrieren. Das gelang mir mal besser und mal schlechter. Erst neulich wurde mir so richtig klar, wofür ich das Freedom Based Training in der Ausbildung meiner Pferde nutzen will: Hauptsächlich zur Bestandsaufnahme. Wir gehen so schnell über Dinge hinweg. Die Pferde sind bereit, unglaublich viel zu akzeptieren und viele viele Verhaltensweisen von uns zu akzeptieren, die sie eigentlich blöd finden. Aber wenn wir es einmal ganz frei probieren – ohne Werkzeuge und ohne Futterbelohung – dann bekommen wir eine ehrliche Rückmeldung vom Pferd, was es schwierig oder blöd findet und was leicht. Duncan hat spielerisch leicht gelernt, Hufe zu geben. Das ging so flott, dass ich schon dachte, ich hätte Elsas Methode verstanden. Aber nun scheitere ich kläglich daran, neben meinem Pony zu stehen, weil Duncan das blöd findet. Na großartig.
Ich werde nicht darauf verzichten, neben ihm zu stehen. Aber ich werde es nur tun, wenn er ein Halfter trägt. Dann ist er auch meistens ganz entspannt damit. Er weiß, da ist eine Grenze und er hält sich daran. Wenn nicht, kann ich eine setzen. Und wenn er es gut macht bekommt er einen Keks. Ich kann ihn überall anfassen, darf mich überall hinstellen, kann neben ihm her gehen. Alles ist gut. Aber so richtig gut ist es eben nicht, denn sonst wäre das ja auch frei ok. Und so nähere ich mich dem Thema wieder von zwei Seiten. https://schotten-pony.com/2020/01/09/zwei-seiten/
Aber ich habe auch verstanden: vom nächsten Schritt, den ich mir ausgedacht hatte, nämlich dass Duncan lernt, einen Gurt zu tragen, sind wir noch recht weit entfernt. Denn offensichtlich ist die Gefahr, dass ihn das doch stresst, groß. Er mag nicht, wenn mein Arm über seinem Rücken liegt und er mag nicht, wenn ich um ihn herum greife. Und so lange er das nicht mag oder zumindest halbwegs akzeptiert, ist es zu früh für einen Gurt, denke ich. Und für diese Informationen möchte ich das Freedom Based Training nutzen. Und für die Vorarbeit, die ich damit leisten kann, auch wenn ich nicht den ganzen Weg bis zum gurten in Freiheit gehe (vielleicht). Also probiere ich herum. Komme mir vor wie ein Anfänger (bin ich in dieser Trainingsart ja auch) und tue mich schwer. Aber ich lerne über mein Pony und über mich selbst. Und über diesen großen roten Knopf. Über meinen Stress, der entsteht wenn „nichts passiert“ (und den ich so oft bei meinen Schülern schon beobachtet habe). Zu meinen Schülern sage ich oft „Du bist die Erwachsene in dieser Beziehung. Du musst mit gutem Beispiel vorangehen“. Und das ist jetzt meine Aufgabe. Wenn ich meinen eigenen Stress nicht managen kann, meinen eigenen Frust nicht aushalten, wie kann ich es dann von meinem Pony erwarten?