Worte und Bilder

Neulich las ich einen hervorragenden Tweet, der so anfing:

Drei Anwälte in schwarz gehen über den Bahnhof. Zwei davon tragen Kleider.

Worte erzeugen Bilder in unserem Kopf. Und auch, wenn wir dann im Nachhinein merken, dass wir das Bild korrigieren müssen, damit es wieder stimmt, ist das erste Bild eben doch entstanden. Und die Korrektur kostet Energie und mit der haushaltet unser Gehirn ja gern. Schlauer wäre es daher, gleich die gewünschten Bilder zu erzeugen und also die passenden Worte zu verwenden. Auch in der Pferdewelt haben wir so viele ungünstige Worte, die überall verwendet werden und eigentlich total verkehrte Bilder in den Köpfen von Pferdemenschen erzeugen.

Zum Beispiel „nachgeben“. Unsere Pferde sollen wahlweise im Maul oder im Genick „nachgeben“. Auch ich habe dieses dämliche Wort bis vor kurzem verwendet. Und mir jetzt vorgenommen, es mir abzugewöhnen. Denn wer nachgibt, macht sich klein und nimmt sich zurück – im besten Fall aus Freundlichkeit oder Rücksicht, im schlimmsten aus Angst. Unsere Pferde (zumindest meine) sollen aber groß und stolz werden, sich aufrichten und präsentieren! Ja, sie sollen weich sein dabei und mit mir kommunizieren, aber das ist etwas anderes als nachgeben. Nachgeben sieht bei den Pferden meist so aus wie auch bei uns: Kopf einziehen. Aufrichten ist das Gegenteil davon.

Ein weiteres solches Wort ist „Trageerschöpfung“. Wer immer dieses Wort in die Welt gesetzt hat, hat eine denkbar schlechte Wahl getroffen, finde ich. Trageerschöpfung, das klingt für mich so als hätte ich einen 15kg Rucksack den Berg hoch getragen. Lösung des Problems: Rucksack absetzen, mich hinsetzen und Pause machen. Ein Pferd mit der Diagnose „Trageerschöpfung“ braucht aber (fast immer) etwas ganz anderes, nämlich Training! Es hat nicht genug Kraft und Muskulatur, sich selbst und den Reiter zu tragen. Das bedeutet, schonen und Pause machen ist nicht der richtige Weg, das Problem zu lösen, sondern durchdachtes Training muss her!

Auch andere Wörter sind mir mittlerweile ein Dorn im Auge: der Rücken des Pferdes soll „schwingen“. Oje! Nein, bitte nicht! Stellt Euch doch mal vor, was passieren würde, wenn die Wirbelsäule des Pferdes schwingt! Rauf, runter, rauf runter und jedesmal stoßen die Wirbel aneinander! Gruseliger Gedanke. Ja, es fühlt sich für den Reiter „schwingend“ an, im Gegensatz zu „werfend“ oder „stoßend“. Weil das Pferd über seine Rumpfträger die Wirbelsäule so stabilisiert, dass eben KEINE so große Bewegung mehr stattfindet und vor allem keine unkontrollierte.

Andere Wörter werden ständig benutzt, haben aber in der Reiterwelt nach und nach ihre feste Bedeutung verloren. „Versammlung“ ist so ein Wort. Alle wissen, was damit gemeint ist. Oder etwa nicht? Und selbst wenn wir es wissen: wo genau fängt sie an, diese mysteriöse „Versammlung“? Oder „Vorwärts-Abwärts“ – gern als Gegenstück zur „Versammlung“ verwendet. Das „Vorwärts-Abwärts“ wurde leider durch die FN-Reiterei verdorben, denn in den meisten Kreisen bedeutet es jetzt, dass das Pferd hinter der Senkrechten läuft. Aber selbst wenn nicht: wo genau ist denn „Vorwärts-Abwärts“? Solche Worte funktionieren oft deswegen nicht mehr, weil es heute so viele Reitweisen gibt und jede die selben Worte verwendet, damit aber etwas anderes meint. Ein Westernreiter wird unter „Vorwärts-Abwärts“ und „Versammlung“ etwas anderes verstehen als ein Dressurreiter oder ein Islandpferdereiter.

Wenn wir also solche Begriffe verwenden, sollten wir sie definieren (oder damit leben, dass der andere etwas anderes darunter verstehen könnte).

Andere Begriffe führen uns direkt in die Irre. „Freiarbeit“ zum Beispiel. Auch ich verwende diesen Begriff noch gelegentlich mangels eines besseren Wortes (wobei mir „Freiraum-Training“ gut gefällt, ein Wort, dass ich bei Wege zum Pferd gefunden habe) . Denn auch in der „Freiarbeit“ sind die Pferde nicht frei. Ich kenne nur eine Trainerin, deren Pferde bei der gemeinsamen „Arbeit“ wirklich frei sind und das ist Elsa Sinclair. Und auf einer philosophischen Ebene können wir jetzt sagen, dass auch ihre Pferde eingezäunt sind (was sie aber im Training nicht ausnutzt, daher spielt es in meinen Augen keine Rolle bei der Ausbildung.) Jede andere Freiarbeit beruht darauf, dass wir den Pferden mindestens die Möglichkeit nehmen, effektiv weg zu laufen. Meistens beruht sie darauf, dass wir ihnen beibringen, auch ohne Zaumzeug irgendeiner Art bei uns zu bleiben und mitzumachen. Das ist nicht schlecht oder falsch! Aber halt auch nicht frei.

Überhaupt: „Arbeit“. Das ist ein viel diskutiertes Wort in der Pferdewelt. Ich bevorzuge wahlweise „Training“ (das kann ja körperlich oder geistig sein) oder ich sage einfach „ich mache was mit meinem Pony“. Wie definieren wir „Arbeit“? Da ist wieder die Sache mit den Bildern im Kopf. Und der viel zitierte Witz unter Müttern und Hausfrauen, denen gesagt wird, sie würden nicht arbeiten, weil sie keiner Erwerbstätigkeit nachgehen. Dass sie trotzdem den ganzen Tag schuften, steht auf einem anderen Blatt.

Ich persönlich habe viel Unterricht auf Englisch bekommen und muss feststellen, dass es oft nicht gut funktioniert, Worte zu übersetzen. „Be consistent“, sagt Amanda immer. Wir haben das mit „beständig“ übersetzt, aber es greift ein bisschen zu kurz. Auch Mark Rashids Wort „Softness“ übersetzt sich nicht gut. Und für das stets und überall gebrauchte „Timing“ scheint es mir schon gleich gar kein geeignetes Wort zu geben. Auch das Wort „Anlehnung“ entspringt einer fürchterlich unglücklichen Übersetzung, die ganz und gar falsche Bilder in Reiterköpfen erzeugt.

Aber auch deutsche Worte können verdreht werden. Sehr beliebt in meinem Schülerkreis ist die Verwechslung von Vor- und Hinterhandwendung. Ursprünglich – und das ist meine Eselsbrücke – heißt es nämlich „Wendung UM die Vorhand“ und „Wendung UM die Hinterhand“ womit klar ist, dass sich bei der Vorhandwendung die Hinterhand UM die Vorhand bewegt.

Bei den Seitengängen gibt es auch regelmäßig Ärger, manche haben deutsche und französische Namen, aber den französischen für „Schulterherein“ verwendet hier niemand (wer weiß, wie das heißt? Bitte in die Kommentare schreiben!) und ob „Traversale“ ein deutsches Wort ist, wage ich doch sehr zu bezweifeln (so wie ich es verstehe ist es die Kombi aus zwei französischen Begriffen – wo sind hier die Experten?). Krupperherein heißt auch Travers und ganz oft wissen Schüler gar nicht, dass das deckungsgleich ist und glauben, es gäbe da noch einen Seitengang den sie nicht reiten können. Ach, es ist kompliziert.

Ihr seht schon: es lohnt sich, die Worte mal zu hinterfragen. Ganz besonders, wenn Eure Reitlehrerin sie verwendet: fragt nach. Was genau ist damit gemeint? Was soll passieren oder nicht passieren? Denn jedes Wort erzeugt Bilder in unseren Köpfen und es wäre schön, wenn wir ungefähr das gleiche Bild im Kopf hätten, sonst klappt es nicht mit der Kommunikation.

Manchmal bin ich ganz froh, dass die Pferde sich so viel mehr auf Körpersprache (die oft aus unseren inneren Bildern entsteht!) und Tonfall verlassen als auf das Wort an sich. Auch wenn das bedeutet, dass mein Pony die Bremse rein haut und mich erwartungsvoll anschaut, wenn ich ihn – nachdem er etwas in der Nase hatte und einige Male geschnaubt hat – frage: „geht´s?“ Hört sich für ihn eben an wie „Keks“ – fiel mir dann im Nachhinein auch auf….. (auch das Wort „jetzt“ ohne Satz drum herum verwende ich in Duncans Beisein nicht mehr. Auch Markerwörter haben ihre Tücken…..)

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2 Kommentare

  1. Mannmannmann. So viele Fach- und Fremdwörter in einem Beitrag!!
    Also ich dachte wirklich, Vorwärts-Abwärts hieße, dass das Pferd beim Vorwärtsgehen den Kopf abwärts nimmt. Ich hätte wohl das Potenzial zum Westernreiter.
    Und Kruppeherein hab ich hier zum allerersten Mal gehört.
    Wikipedia hat den französischen Begriff fürs Schulterherein – was für mich natürlich gar nichts klärt. Also, technisch sehe ich, worauf es ankommt, aber praktisch?
    Wie sag ichs dem Pferde?
    Für mich bleibt „reiten“ wahrscheinlich aufs ganze Leben das: mich auf ein Pferd setzen und mit etwas Glück tut es das, was ich möchte.
    Ist bisher immer auch schön gewesen.

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