Sicherheit

Diego haben wir 2012 auf einem Kurs kennen gelernt. Als wir heraus fanden, dass er zum Verkauf steht, wunderten wir uns: wer verkauft so ein tolles Pferd? Es stellte sich heraus, dass Diego bei seiner Vorbesitzerin nicht glücklich war – er wurde in der Herde gemobbt.

Als Arnulf sich entschieden hatte, dass er Diego gern kaufen möchte, zog der zunächst auf Probe bei uns ein. Was hätte es genutzt, wenn er auch in unserer Herde nicht klar gekommen wäre? Aber Merlin hieß ihn gleich willkommen, die beiden waren nach 5 Minuten Freunde und außer Merlin wohnten damals nur die beiden Shettys bei uns, die sowieso mit jedem Pferd klar gekommen sind.

Ein halbes Jahr nach seinem Einzug wurde Diego Herdenchef und seitdem ist er unser wunderbarer, ruhiger, souveräner „Pony-Papa“ nach dem sich alle richten. Ich habe lange gerätselt, warum so ein gelassenes, durch und durch freundliches Pferd gemobbt wurde. Erst Elsa Sinclair hat mir die Erklärung geliefert, die ich für absolut einleuchtend halte.

Elsa hat viel mit Mustangs zu tun, die in der Wildnis aufgewachsen sind. Diese Pferde wissen – im Gegensatz zu unseren Hauspferden – was echte Lebensgefahr ist. Sie kennen nicht nur Hunger und Kälte, sondern auch Verletzungen und vor allem Fressfeinde. Aufpassen ist für sie wirklich noch überlebenswichtig und alle Herdenmitglieder sind gefragt, dabei mit zu helfen. Elsa beobachtet, dass in gemischten Herden – also Mustangs und Hauspferde – die Mustangs oft ungehalten sind, weil die Pferde, die in menschlicher Obhut aufgewachsen sind, einfach nicht genug aufpassen. Die Mustangs finden, dass die Hauspferde leichtsinnig sind und sie werden sauer, wenn die „Schnarchnasen“ zu viele Dinge einfach ignorieren und dösend stehen bleiben. Die Hauspferde wiederum verstehen aber nicht, warum die Mustangs sie durch die Gegend schicken und was sie eigentlich wollen. Und ich glaube, etwas ähnliches ist damals mit Diego passiert. Denn der hat nun wirklich die Ruhe weg. Es ist extrem selten, dass etwas seine Aufmerksamkeit wirklich nachhaltig erregt und dass er mal meint, es sei evt nötig, zu flüchten, passiert gefühlt nur 5 mal im Jahr. Er fühlt sich sicher in unserer Menschenwelt. Die anderen Pferde in seiner früheren Herde waren aber hochblütiger, ein Vollblut, ein Warmblut und ein Spanier wenn ich mich richtig erinnere. Wahrscheinlich waren diese Pferde einfach der Ansicht, dass Diego seinen Anteil am Aufpassen nicht erfüllt und wurden deswegen sauer. Diego konnte aber nicht verstehen, warum er durch die Gegend geschickt wird. Bei uns in der Herde traf er dann auf Pferde, die ein ähnliches Gemüt haben wie er. Merlin ist froh, wenn jemand Ruhe ausstrahlt und hat sich zumindest in jüngeren Jahren auch nicht so schnell aus der Ruhe bringen lassen. Mit seiner Gelassenheit hat Diego mir jetzt zum zweiten Mal geholfen, ein junges Pferd sicher durch sämtlich „Erstsituationen“ zu bringen, sei es Straßenverkehr, Anhänger fahren, fremdes Gelände oder was auch immer. Ohne seine Ruhe hätte alles mit Finlay und Duncan viel länger gedauert. Auch beim Einfahren, sowohl bei Finlay als auch bei Duncans Ausreitkumpel, ist Arnulf mit Diego jeweils bei den ersten Fahrten vorneweg geritten, was einen wunderbar beruhigenden Effekt auf alle Beteiligten hat.

Neulich, als die Gänse auf unserem Paddock waren, konnte ich zum ersten Mal beobachten, dass auch Duncan manchmal findet, dass Diego doch mehr aufpassen könnte. Als Diego sich hingelegt hatte, ging Duncan hin und ärgerte ihn, bis er wieder aufstand und mein Eindruck war, dass er sich einfach nicht sicher genug fühlte mit den Gänsen. Duncan wollte, dass Diego gut aufpasst. Ob Diego verstanden hat, worum es da ging? Ich weiß es nicht.

Mit Duncan kann ich jetzt zum zweiten Mal beobachten, wie das Sicherheitsgefühl junger Pferde sich ändert. Am Anfang sind die Kleinen unheimlich angstfrei. Viele Jährlinge sind sehr sorglos. Sie liegen gern oft mitten im Geschehen platt auf der Seite, pennen in aller Seelenruhe und sind sich sicher: die Großen passen auf. Von den Kleinen wird nicht erwartet, dass sie sich um Gefahren kümmern, sie kennen sich ja eh noch nicht aus.

Dann kommt ein Alter, in dem die Großen doch etwas mehr erwarten. Ein langsamer Übergang, in dem das junge Pferd lernt, dass es auch selbst auf Gefahren achten muss. Gerade im letzten halben Jahr ist Duncan diesbezüglich deutlich anders geworden. Wenn ich dann auch noch reite, anstatt neben ihm zu gehen, fühlt er sich oft für unser beider Sicherheit verantwortlich. Dass Diego gelassen bleibt, dient nur noch teilweise seiner Beruhigung. Da Diego die meisten Dinge in seiner Umwelt ignoriert, hat Duncan für vieles was er sieht, wahrscheinlich erst mal keinen Anhaltspunkt: findet Diego das ok oder hat er es nicht gesehen/gehört? Duncans Augen und Ohren sind unaufhaltsam dabei, seine Umwelt zu überprüfen. Die meisten Dinge stuft er als „interessant“ ein. Manche erschrecken ihn kurz, wenige lösen wirklich einen Fluchtreflex aus. Ich erwarte, dass er innerhalb der nächsten Jahre ein großes Repertoire an Eindrücken sammelt und dann vermutlich wieder etwas gelassener wird, weil er viele Dinge schon oft gesehen hat. Aber vom Typ her ist er sicher ein Pony, das grundsätzlich mehr Aufmerksamkeit für seine Umwelt mitbringt.

Von Elsa habe ich auch gelernt, was Duncan und Diego mir jetzt bestätigen: dass das ranghöhere Pferd gelassen bleibt und eine vermeintliche Gefahr ignoriert, vermittelt nicht immer Sicherheit. Als unser Bundeskanzler an die Macht kam konnte ich dieses Gefühl übrigens plötzlich gut nachvollziehen und habe es des öfteren mit Erfolg im Unterricht als Beispiel eingesetzt….

Wenn wir ein Problem sehen und es ist jemand da, der eigentlich zuständig ist, dann wollen wir bitte, dass derjenige HANDELT! Und so habe ich bei den Pferden einen Teil von Elsas Vorgehen übernommen: ich gucke mit, ich passe mit auf. Natürlich versuche ich, auszustrahlen, dass ich das, was ich da sehe oder höre, für ungefährlich halte, aber ich nehme es wahr, ich ignoriere es nicht. Auch wenn ich nicht weiß, wonach mein Pony gerade schaut oder lauscht, kann ich meine Sinne kurz schärfen und dort hin richten wo er mir etwas anzeigt. Dann entspanne ich mich wieder und sage ihm, dass ich überzeugt bin, dass wir in Sicherheit sind. Was zur Folge hat, dass mir immer öfter auffällt, dass Duncan, wenn er etwas sieht, zwischendurch Kontakt zu mir sucht und schaut, was ich davon halte. Und das ist ja genau das was ich will! Er soll mir ja vertrauen – und ich hasse diesen Satz. Denn es ist nicht SEINE Aufgabe, mir zu vertrauen, sondern MEINE Aufgabe, ihm die entsprechende Sicherheit zu geben. Und heute weiß ich, dass ich diese Sicherheit nicht unbedingt durch ignorieren aller Umweltreize geben kann, sondern vielmehr indem ich meinen Teil zu unserer aller Sicherheit beitrage – auf eine Art und Weise, die das Pferd auch wirklich so empfindet.

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