Ursachenforschung

Ich bitte um Entschuldigung, aber mein Unterrichtserlebnis vor ein paar Wochen war so teuer und frustrierend, dass ich jetzt wenigstens das Beste daraus machen muss. Und das Beste sind in diesem Fall Erkenntnisse und also Blogartikel. Ich beziehe mich heute also noch einmal auf dieses unsägliche Erlebnis. Ich glaube, danach bin ich fertig damit.

Duncan und ich schwanken über den Reitplatz. Ich laufe neben ihm, weiß aber nicht genau wohin. Und er ist ständig zu schnell. „Ich habe ein Problem mit der Zügelführung“ sage ich zu der Reitlehrerin in meinem Ohr. Ich soll die Zügel direkt unterm Pferdekinn halten – eine Zügelführung die ich noch nie verwendet habe. Ich verstehe, warum das gerade sinnvoll ist, aber das macht es mir nicht leichter. Also äußere ich mein Problem. Schließlich sitzt am anderen Ende des Internets eine Person, die mir helfen soll. Als durch den Knopf in meinem Ohr ihre Antwort kommt, glaube ich zuerst an einen Scherz „dann sei froh dass wir nicht die andere Zügelführung machen, die ist noch viel schwerer“. Ok, lustig. Und jetzt bitte zu dem Teil wo mir geholfen wird. Aber der bleibt aus.

Ich ärgere mich, dass ich den Unterricht nicht an dieser Stelle unterbrochen habe. Es wäre Zeit gewesen, mich selbst zu beschützen. Meinem Gefühl zu vertrauen und die Stopp-Taste zu drücken. Aber ich war bereits derart überfordert mit all den anderen Dingen, die zu tun und zu beachten waren, dass ich nicht in der Lage war, für mich selbst einzustehen.

Zum Glück unterrichte ich ja selbst. Und habe deswegen ein paar Techniken gelernt und entwickelt, um meinen Schülerinnen bei solchen Problemen helfen zu können. Die konnte ich dann im Nachhinein bei mir selbst anwenden. Gedanklich ging ich in die Situation zurück. Ich nahm den Platz der Lehrerin ein und fragte mich selbst „was ist denn dein Problem mit der Zügelführung?“. Als Schülerin antwortete ich mir „ich stoße immer mit meinem Arm an Duncans Hals an und dann ist es ein einziges Drücken und Schieben“.

(Ja, ich führe manchmal Selbstgespräche. Da ich selbstständig bin, zählt das bei mir als Teambesprechung.)

Als Lehrerin konnte ich mir dann genau erklären, dass es gar kein Problem mit der Zügelführung als solches gibt. Das wirkliche Problem ist einfach nur das Tempo. Denn dass mein Arm an Duncans Hals anstößt passiert nur dann, wenn er zu weit vor gelaufen ist. Und schon bin ich wieder bei den Häppchen, denn hier wäre es jetzt nötig gewesen, kleinschrittiger zu üben. Losgehen und, wenn Duncan schneller geht als ich, sofort anhalten (das ist dann bei dem gewählten Tempo so nach 1-2 Schritten der Fall). Ihm sagen, dass er stehenbleiben soll, selbst einen Schritt nach vorn gehen, damit ich wieder in Position bin, dann wieder los gehen. Setzt voraus, dass er lernt, zu warten, während ich neben ihm vor gehe (Übung eins) und mit mir loszugehen, wenn er soll (Übung zwei, denn das kann er zwar schon, macht es aber derzeit IMMER, weil er es so gelernt hat). Aus Erfahrung weiß ich, dass so eine Unterscheidung – wann soll er los gehen, wann nicht, während der Mensch sich fast gleich verhält – ganz schön schwierig ist und viele, viele Wiederholungen braucht, bis sie zuverlässig klappt.

Alternative: Ich könnte ihn rückwärts wieder auf seine Position schicken, aber das war in dem Fall nicht erwünscht. Oder ich könnte versuchen, mich deutlich anders zu bewegen um meine Position zu korrigieren. Z.B. könnte ich mich seitwärts in meine Position bewegen, vielleicht würde ihm das schneller zu verstehen geben, dass er jetzt NICHT mitkommen soll. Oder ihm die Gerte vor die Nase halten, während ich nach vorne gehe. Oder die Zügel los lassen, mein „warte“-Kommando verwenden und im Bogen neben ihm nach vorn gehen. Oder die Zügel so halten, dass er vom Gebiss gebremst wird, während ich vor gehen. Wir könnten die Übung auch noch kleiner machen und wirklich immer nur einen Schritt gehen, dann ist die Wahrscheinlichkeit, dass er deutlich vor mir zum stehen kommt, noch etwas kleiner (wenn auch nicht null!).

Ach, es gab so viele Optionen, das Problem zu lösen. Mir zu sagen, dass eine andere Zügelführung noch viel schwieriger wäre, war sicherlich eine der allerschlechtesten. Aber egal.

Worauf ich hinaus will: Das Problem, das ich formuliert hatte, war gar nicht das Problem. Dass die Zügelführung mir Schwierigkeiten machte, war nur das Symptom eines anderen, zugrunde liegenden Problems. Und das ist gar nicht selten.

Die Reiterin, die von sich selbst behauptet, schief zu sitzen, in Wahrheit aber von ihrem Pferd schief hingesetzt wird.

Die Reiterin die meint, ihre Hand wäre zu hart, weil das Pferd gegen das Gebiss geht, in Wirklichkeit zeigt das Pferd nur, dass es die Gebisshilfen falsch verstanden hat.

Das Pferd, das immer mit der Schulter drängelt und in Wirklichkeit ein Balanceproblem hat.

Das Pferd, dem ewig Stangentraining gegen Stolpern verordnet wird, obwohl es einfach komplett falsch auffußt und deswegen stolpert.

Das Pferd, das angeblich so triebig ist – in Wirklichkeit aber zu verspannt um vorwärts zu gehen.

Ich bin höchst überrascht, wie viele erfahrene Pferdeausbilder oft Ursachen nicht erkennen, die eigentlich völlig offensichtlich sind. Aber wer weiß, was ich alles übersehe? In jedem Fall denke ich, nachfragen und nachforschen lohnt sich. Viel zu oft werden Probleme „gelöst“ (also in Wirklichkeit nicht gelöst) indem man das Pferd beschuldigt, „dominant“, „stur“ oder „faul“ zu sein, während man der Reitschülerin bescheinigt, sie sei „zu nett“, „zu inkonsequent“ oder „eben noch nicht so weit“. Oder – wie in meinem Fall – Fragen einfach gar nicht beantwortet, sondern Pferd und Mensch damit allein lässt, weil man wohl keine bessere Idee dazu hat.

Manchmal ist es nicht so leicht, Ursachen zu finden, aber wir sollten niemals aufgeben. Ja, oft ist die Antwort auch „ihr dürft das einfach noch ein bisschen üben“. Allerdings bringt üben ja auch nur dann was, wenn RICHTIG geübt wird. Im Falle meines Zügelführungsproblems hätte „üben“ wahrscheinlich bedeutet, dass Duncan und ich so lange frustriert über den Reitplatz eiern, bis er mehr oder weniger zufällig kapiert wie es geht. (So ähnlich wurde es mir übrigens auch erklärt, blumig verpackt in den Worten, dass das Pferd selbst raus findet wie es seinen Körper benutzt. Ich bin total dafür dass das passiert, aber doch nicht während ich in seinem Maul hänge!). Diese zufälligen Ergebnisse sind meines Erachtens eine Katastrophe für die Beziehung zu unserem Pferd. Das Pferd lernt: der Mensch stellt eine unlösbare Aufgabe und „meckert“ (in diesem Fall: hängt im Zügel), wenn ich sie nicht löse, zeigt mir aber auch nicht wie es besser geht.

Bevor also „üben“ die Lösung ist, muss klar sein, was und wie denn zu üben ist. Dafür gilt es, die Ursache des Problems zu erforschen, sonst übt man am Problem vorbei (und das leider manchmal jahrelang).

Das System „raten lassen“ ist weder für den Reiter noch fürs Pferd hilfreich. Ja, im Rahmen der einen oder anderen Übung. Ich plädiere ja immer fürs Ausprobieren. Aber nur dann, wenn das ziemlich sicher zügig zum Erfolg führt – und mit zügig meine ich so im 3. oder 4. Anlauf (nicht im 1000.).

Obwohl wir bei besagter Dame keine Unterricht mehr nehmen werden, habe ich die Übung in unser Repertoire aufgenommen (wenn auch derzeit noch mit einer anderen Zügelführung). Ich arbeite jetzt kleinschrittig nach, was mir in einem unverdaulichen Brocken serviert wurde. Das tue ich unter anderem deswegen, weil ich nach Möglichkeit immer versuche, keinen Misserfolg stehen zu lassen. Weder Pferd noch Mensch sollen aus der Situation gehen und ein blödes Gefühl zurück behalten. Wo immer es geht, wiederhole ich Übungen, die schief gegangen sind, so, dass sie klappen. Das gibt beiden – Mensch und Pferd – neues Zutrauen in ihre Fähigkeiten und Mut, es beim nächsten Mal wieder auszuprobieren. Und das schöne ist: da ich jetzt die Ursache kenne, kommen wir ganz fix zum Erfolg. Und mein Pony ist hochmotiviert dabei.

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2 Kommentare

  1. Manche Lehrer sollten ihren Job zuerst einmal als Dienst am Menschen und Dienst am Pferd verstehen und sich dann noch mal überlegen, was sie da eigentlich tun (und dafür Geld verlangen). Was die dir gesagt hat, war ne Frechheit.
    Aber extreeeeem gut, was du schließlich draus gemacht hast.
    Erzählst du auch, was sonst noch in der „Reitstunde“ vorkam?

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