Ich bin mit Duncan auf dem Reitplatz, wir machen Handarbeit. Ich nehme die Zügel auf, Duncan geht los. Nein! Du sollst doch warten bis ICH los gehe! Diskussion. Auf ein neues! Ich nehme die Zügel auf, Duncan geht los. Verflixt und zugenäht! Mein sonst so schnell lernendes Pony ist nicht bereit, sein Verhalten zu verändern. Ich grummle. Es dauert, bis ich die Zusammenhänge erkenne: Er hat gelernt, dass etwas passiert, wenn ich die Zügel aufnehme. Irgendwas, manchmal was im Stand aber meistens was in Bewegung. Er hat Lust zu arbeiten, ist hoch motiviert. Und er ist ein vorhandlastiger Typ, der noch nicht viel anderes gelernt hat als einfach los zu marschieren (weil wir ja vor allem im Gelände Meter machen). Was passiert also? Wenn ich die Zügel aufnehme und er erwartet, dass es los geht, dann schiebt er aufgrund der Erwartung sein Gewicht nach vorn. So weit, dass er schließlich los gehen MUSS um nicht umzufallen. Er hat also irgendwann gelernt (und ich weiß auch genau von wem…..) dass Bewegungserwartung bedeutet, dass er sein Gewicht nach vorn verlagern soll. Ja holla, das ist ja mal gründlich schief gegangen! Klar, ich hab ihm das wohl beigebracht. Ich weiß nicht wann und wie, aber ich habe, denn niemand anders arbeitet mit ihm. Jetzt muss ich ihm also das Gegenteil verklickern. Zügel aufnehmen = Erwartungshaltung dass wir gleich was machen = Gewicht nach HINTEN, etwas aufrichten, groß machen, positive Spannung aufbauen. DANN los gehen.
(Kleiner Einschub an dieser Stelle. Ganz oft begegnet mir so ein Thema bei Reitschülerinnen: das Pferd hat Blödsinn gelernt. Und dann geht die Selbstkasteiung los. Frauen glauben dann gern, sie seien zu blöd, sie haben alles falsch gemacht und ihr armes Pferd leidetunter ihrer Unfähigkeit. Liebe Damen, hört damit auf, das hilft niemandem. Auch die beste Ausbilderin macht Fehler und entwickelt sich (hoffentlich!) weiter. Wenn wir ganz gelassen erkennen können: Ups, ich hab dem Pferd Blödsinn beigebracht, dann können wir genauso gelassen unserem Pferd etwas neues, besseres beibringen. Das Pferd ist immer bereit, etwas neues zu lernen, so lange wir es ihm freundlich und kleinschrittig erklären und das erwünschte Verhalten gut belohnen.)
Nun fangen wir also neu an. Zügel aufnehmen, Pony soll sich aufrichten und hübsch machen. Keks! Sobald ich die Übung von diesem Gesichtspunkt sehe und entsprechend übe und belohne, klappt alles ganz schnell (so wie ich es von Duncan gewöhnt bin). Gleichzeitig entdecke ich während der Übung, dass auch mein eigener Körper eine ungünstige Erwartungshaltung einnimmt. Ich selbst denke nämlich auch heimlich schon an die Übung, während ich die Zügel aufnehme und lehne mich ein bisschen vor. Aha! SO hab ich ihm das beigebracht! Jetzt ziehe ich also in Gedanken mein Ballett-Tutu an (nicht dass ich jemals wirklich eins getragen hätte, aber die Vorstellung erheitert mich und das verhindert, dass ich mich über meinen Fehler ärgere). Immer wenn ich die Zügel aufnehme, denke ich an den wunderschönen Film „Billy Elliot – I will dance“ und rufe mir selbst „1. Position!“ zu. Die rauchende Ballettlehrerin steht am Rand und guckt streng. Nein, ich drehe dabei nicht die Füße nach außen. Wäre ganz übel, denn beim los laufen würde ich dann garantiert sofort auf die Nase fallen. Aber ich richte mich auf und demonstriere meinem Pony, was ich von ihm erwarte. Und Duncan ahmt mich nach. Erst dann gehen wir los.
Nach ein paar Mal üben kann ich den Unterschied erleben: wenn Duncan jetzt doch noch mal unaufgefordert los geht, kann er sofort, nach dem ersten Huf, stoppen. Vorher konnte er das nicht, weil sein Schwerpunkt so weit vorn war.
Und ich denke grinsend an die Geschichte, die ich Reitschülerinnen immer erzähle, wenn es um den Schwerpunkt und die Bremse geht. Ich erzähle dann von meinem Vater. Als ich Fahrrad fahren lernte, besaß er die Unverschämheit, mir zu erzählen, man müsste erst mit dem Fahrrad stehen können, bevor man fahren kann. Er konnte das: auf dem stehenden Rad sitzen. Mit winzigen Ausgleichsbewegungen. Der Durchschnitts-Radfahrer (zu beobachten in freier Wildbahn in Anfahrt auf eine rote Ampel) kann das keineswegs, sondern springt noch halb im Fahren vom Sattel um einen Fuß an den Boden zu bekommen. Weil der Fahrradfahrer das Sinnbild von „dem Schwerpunkt hinterherfallen“ ist. Je langsamer er fahren will, desto besser muss er sein Gleichgewicht halten. Und obwohl so ein Pferd 4 Beine hat, geht es ihm oft gar nicht anders. In natürlicher Grasebeschäftigung ist der Schwerpunkt vorne und die Beine laufen quasi dem Kopf hinterher. Nur wenn der Schwerpunkt zurück kommt, kann mein Pony erhobenen Hauptes elegant über den Reitplatz schreiten. Und nur dann kann es auch bremsen. Hängt es erst mal vorn, dann verlängert sich der Bremsweg dramatisch mit steigendem Tempo.
Ich denke daran, wie vielen Pferden ich das Anhalten und Losgehen beigebracht habe. Und wie viele davon ich allein gelassen habe mit der Suche nach der besten Methode, das zu schaffen. Und ich bin froh, dass ich jetzt mehr weiß als früher und meinem Pony gleich zeigen kann, wie es am besten geht. Er muss das nicht mehr selbst raus finden. Ich verstehe, dass erfolgreiche Pferde- Ausbilder deswegen so viel schneller sind mit ihrer Arbeit, weil sie dem Pferd eine präzise, kleinteile Anweisung geben können. Nicht nur dazu, was es tun soll, sondern eben auch dazu, wie es das am schnellsten und einfachsten hin kriegt. Und ganz nebenbei erweise ich mich damit in den Augen meines Ponys als kompetent. Anstatt Aufgaben zu stellen, die unlösbar scheinen, kann ich Aufgaben so erklären, dass sie lösbar sind. Ich verstehe aber auch, dass selbst die kleinste, offensichtlich einfachste Aufgabe, die jedes Pferd draußen auf der Weide von selbst erledigt, im Zusammensein mit dem Menschen eine Herausforderung werden kann, weil wir die Aufgabe aus ihrem natürlichen Zusammenhang reißen. So habe ich doch anhand meiner selbst erzeugten Panne wieder eine Menge gelernt und mein anfängliches Grummeln verwandelt sich in ein breites Grinsen.
Dein Tütü wäre sicher orange mit grünen Streifen gewesen.
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