Hölle

Vor gut zwei Wochen haben wir Duncan kastrieren lassen. Ich wollte so gern einen glücklichen Hengst haben, wollte erleben, wie es ist, mit einem „ganzen Kerl“ zu arbeiten und war gespannt, was es zu lernen gibt. Ich habe viel gelernt, vor allem über Frust und die Äußerung desselben.

Unser Nachbar hat Stuten und die stehen nah an unserem Zaun. Duncan ist jeden Tag dort hin gegangen und hat 2-3 Stunden bei den Damen verbracht. Er stand dort ganz ruhig, kein Ausschachten, kein Herumlaufen, kein Gewieher, kein Imponieren. Ich habe das immer beobachtet, war aber zunächst noch guter Dinge. Zeitgleich wurde Duncans Spiel mit Diego und Gatsby immer rauer. Diego hat schließlich aufgegeben und jeden Spielversuch von Duncan abgeblockt. Gatsby hat gegen gehalten, aber es war nicht mehr das schöne harmonische Spiel von früher. Niemand wurde ernsthaft verletzt, Gatsby hatte ein paar kleine, aber immerhin blutige Macken am Hintern, sonst war nichts zu sehen. Ich machte mir Gedanken, vereinbarte ein Beratungsgespräch mit Maren Schulze (www.klassisch-barock-reiten.com), die ich als Hengst-Expertin und sympathische, bodenständige Pferdefrau kennengelernt hatte. Wenige Stunden vor dem geplanten Telefontermin sah ich Gatsby und Duncan aufeinander prallen – im wahrsten Sinne des Wortes. Es war keine Harmonie mehr da, es war zwar noch kein echter Kampf, aber sicher auch kein echtes Spiel mehr. Gatsby wirkte gestresst, Duncan aggressiv. In dem Moment wusste ich: es geht nicht.

Im Telefonat mit Maren kam zunächst viel Beruhigung: die klären die Rangordnung neu, ich hab erst mal alles richtig gemacht, das kann immer noch gut klappen. Sie erklärte mir genau, auf welche Anzeichen ich achten muss um zu erkennen, wann es zu gefährlich wird. Dann kam die Sprache auf Nachbars Stuten und Marens Zuversicht schwand. Jeder Meter Abstand zu den Mädels zählt. Wir könnten den Rundlauf umbauen, einen Sichtschutz versuchen. Ich denke nach. Aber im Herzen weiß ich schon: das ist nicht das, was ich für die Ponys will. Unsere Ponys sind so wunderbar sozial miteinander und das bisschen Platz was sie hier haben will ich nicht noch verkleinern, nur weil ich einen Hengst haben will. Mein Hengst soll nicht gefrustet sein, weil er nicht zu den Stuten kann, meine Wallache sollen keine Angst und keinen Stress haben und auch die Stuten sind sicher nicht glücklich mit der Situation, den Hengst vor der Nase aber doch unerreichbar zu haben.

So steht der Entschluss schnell fest: das Projekt „Hengst“ endet hier. Wir sperren als Sofortmaßnahme den Rundlauf ab. Duncan entspannt sich binnen 24 Stunden merklich. Jetzt, im Nachhinein, kann ich den Frust und Stress sehen. Vorher war die Veränderung so schleichend, dass ich den Zusammenhang nicht erkannt habe. Das heftige Gerangel war ein verzweifeltes Dampf-Ablassen – nicht wegen Energieüberschuss, sondern aufgrund von hormonellem Frust. Kein Pony in meiner Obhut soll solchem unnötigen Stress ausgesetzt sein. Nach einer Woche, die der Rundlauf zu ist, sehe ich, wie die Beziehung unter den Ponys sich wieder verbessert. Auch Diego wagt wieder kleine, zarte Spielversuche mit Duncan. Das Spiel mit Gatsby ist wieder schön und harmonisch. Duncans Körpersprache ist weicher und freundlicher. Wenn Diego das Spiel durch weglaufen beendet, läuft Duncan nicht mehr hinterher. All diese Beobachtungen geben mir die Sicherheit, das richtige zu tun. Denn offensichtlich handelt es sich eben NICHT um Rangstreitigkeiten, sondern nur um hormonellen Frust wegen der Stuten. Auch jetzt, wo ca 80m Abstand zu den Stuten besteht, wiehert Duncan noch manchmal rüber und steht auch ganz allein unterm Holunderbusch und schaut rüber, als alle anderen sich vorm Sturm im Stall verkriechen. Aber durch den Abstand ist er nicht mehr ganz so gefrustet davon, dass er da nicht hin kann.

Die 2 Wochen bis zum Kastrationstermin sind die Hölle (oder im Nachgang betrachtet wohl eher die Vorhölle). Ich habe Angst. Ich kann unmöglich noch ein Pony verlieren. Aber ich habe keine Wahl. Wenn ich es jetzt nicht tue, habe ich die Hölle jeden Tag, wenn ich Angst haben muss, dass meine Ponys sich verletzen und sehen muss, wie unzufrieden sie sind.

Die Kastration klappt vorbildlich: Montag abend in die Klinik, Dienstag die OP, Mittwoch morgen wieder nach hause. Kein Problem. Erst am Donnerstag fängt das Übel an: Duncan mag nicht mehr fressen. Der Tierarzt am Telefon tippt auf Magenprobleme durch den Stress. Aber mein Gefühl ist zu diesem Zeitpunkt schon anders, denn Duncan äppelt weicher und die Äppel stinken bestialisch.

Mit der Angst ist es ja so eine Sache. Als ich den ersten dieser Haufen sehe, denke ich „Colitis“. Aber ich schiebe den Gedanken weg – das ist doch soooooo selten. Leider sollte ich recht behalten. Freitag abend bringen wir Duncan wieder in die Klinik. Colitis ist eine Darmentzündung die nur 30-50% der betroffenen Pferde überleben und der Verlauf ist schwer vorhersagbar. Als wir am Sonntag hören, dass es sehr gut aussieht und er es wohl schaffen wird, sagt jemand zu mir „das war sicher die Hölle für euch“ aber die Hölle erscheint mir dagegen wie ein eher lauschiges Plätzchen.

Ich denke in solchen Situationen oft an Eltern mit schwer kranken Kindern. Diesmal habe ich auch an die Menschen in und aus der Ukraine gedacht. Menschen, deren Horror nicht nach ein paar Tagen vorbei ist. Menschen, bei denen dieser Zustand Wochen, Monate oder Jahre anhält, die immerzu um das Leben ihrer Liebsten bangen. Wie hält man so etwas aus? Ich weiß es nicht. Ich bin wohl verwöhnt.

Dienstags holen wir Duncan wieder nach hause. Als wir uns gerade anfangen zu entspannen, kommt der nächste Horror: Am Donnerstag hat mein alter Merlin eine Kolik. Das Chaos der letzten Tage war wohl zu viel für ihn. Es sieht nicht gut aus, der Tierarzt macht uns wenig Hoffnung. Wir könnten in die Klinik fahren, aber die dort möglichen Behandlungen kommen für ein 30jähriges Pferd in meinen Augen nicht in Frage. Wir verbringen den ganzen Tag mit Merlin, laufen viel mit ihm, so lange das Schmerzmittel wirkt. Der arme Kerl muss an der Longe ordentlich traben, das kennt er ja alles gar nicht und seine Fitness ist natürlich auch altersentsprechend, aber er macht mit. Trotzdem hören wir bis nachmittags keine Darmgeräusche und wir nehmen schon Abschied. Aber Merlin möchte grasen, was er natürlich auch darf – wir haben nichts zu verlieren. Als der Tierarzt dann kommt, die große Erleichterung: der Darm ist wieder in Gang gekommen. Merlin erholt sich unfassbar schnell für sein Alter. Kolik? Welche Kolik? Gib mir einen Eimer, ich hab Hunger! Wir brauchen länger, um uns zu erholen.

Jetzt endlich scheint alles wieder ins Lot zu kommen. Duncan ist fit, keine Schwellung, kein Fieber. Seine Nähte sehen sie perfekt verheilt aus und wir können dieses Thema abhaken. Er läuft jetzt schon mit Merlin und Caruso in einem kleinen Paddock herum, am Wochenende wollen wir die ganze Herde zusammen führen. Da werde ich nochmal stabile Nerven brauchen, denn das wird sicher nicht ohne Geschrei und Gehabe ablaufen. Noch immer fühlt Duncan sich ja als Hengst und bis sich das ändert, gehen auch noch ein paar Wochen ins Land. Ich hoffe einfach, dass unsere Jungs ihre Freundschaft in den Vordergrund rücken und sich nicht weh tun. Etwas anderes bleibt mir nicht übrig.

Alle Ponys sind genervt, der Alltag ist gestört, die Abläufe stimmen nicht mehr, ihre Freiheit ist beschnitten. Ich freue mich auf den Tag, an dem ich auch den Rundlauf wieder auf mache, aber damit warte ich, bis ich merke, dass Duncans Hormonspiegel sich reguliert hat und er wirklich – auch gefühlt – Wallach ist.

Möge der Frühling uns Entspannung bringen.

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