Ich unterrichte fast ausschließlich Frauen. Und so habe ich in den letzten Jahren viel über Frauen gelernt – vor allem dass sie sich anscheinend nie gut genug finden. Selbst die, die nach außen eine große Klappe haben, sind im inneren oft unsicher.
Da Pferde so fein sind in ihrer Wahrnehmung und da es in meinem Unterricht so oft darum geht, wie wir die Beziehung zu unserem Pferd gestalten und weniger um Technik, kommt früher oder später mal das eine oder andere Thema zur Sprache. Manche Frauen erzählen mir dann viel und wollen alles mal los werden. Manche deuten nur an und lassen viel Interpretationsspielraum. Bei manchen sage ich mal was, was ich anhand des Verhaltens ihres Pferdes so vermute – immer mit der deutlichen Ansage, dass ich nur vermute und völlig falsch liegen kann. Dann entsteht daraus ein Gespräch. Viele dieser Frauen scheinen zu glauben, dass sie die einzigen sind, die sich selbst nicht gut genug finden. Und das stört mich persönlich fast mehr, als dass sie sich selbst nicht gut genug finden (das kann ja auch erst mal ein Ansporn zur Verbesserung sein). Liebe Frauen: nach meiner Erfahrung finden sich fast alle Frauen nicht gut genug. Ihr seid damit nicht allein, es wird nur nicht offen darüber gesprochen (weil alle glauben, damit allein zu sein – ein klassischer Teufelskreis).
Ein besonders sensibler Tinker in meinem Kundenkreis, der ein paar merkwürdige Verhaltensweisen zeigte (z.B. dass Lektionen, die er eigentlich konnte, plötzlich „verlernt“ waren) lehrte mich die volle Bedeutung dessen, was wir Menschen neben dem Pferd so denken und fühlen. Ich wunderte mich nämlich, warum bei diesem Pferd so schnell eine Art Verzweiflung eintrat, wenn etwas nicht 100% klappte. Er gab dann auf und hörte auf, es zu versuchen. Nach etwas Forschungsarbeit konnte ich den Zusammenhang dann ergründen: der Tinker fühlte sich kritisiert, wenn seine Besitzerin sich selbst in Gedanken kritisierte, so dass ich am Verhalten des Pferdes ablesen konnte, wie die Besitzerin mit sich selbst spricht. Ich bat sie – wenn sie es schon nicht für sich selbst tut – wenigstens ihrem Pferd zuliebe die Selbstkritik beiseite zu lassen und das Pferd fing sofort an, motiviert mit zu machen.
Eine andere Schülerin sagt mir „es reicht nicht“. Das ist ihr Satz, mit dem sie sich selbst kommentiert „es ist nicht genug“. Die Frauen, die sich jetzt hier wieder erkennen (ich tippe mal, es sind ziemlich viele!) dürfen sich mal folgendes fragen: wann wäre es denn „gut genug“? Meistens wenn ich diese Frage stelle gibt es zwei Versionen von Antwort: die eine ist (wenn auch oft versteckt formuliert) dass es „gut genug“ ist, wenn es perfekt ist. Tja, liebe Damen, da möchte ich an den kürzesten Reiterwitz erinnern: Ich kann’s. Mit reiten lernen ist man nämlich nie fertig und das bezieht auch all die anderen Dinge rund ums Pferd mit ein. Also schminkt euch das ab mit der Perfektion. Dazu kommt: der Trainer oder „Star“ den ihr vielleicht bewundert, verbringt sein ganzes Leben mit Pferden und arbeitet jeden Tag mit verschiedenen Pferden. Die Freizeitreiterin hat aber ein, vielleicht zwei Pferde und für die hat sie ein paar Stunden in der Woche Zeit. Dieser Vergleich wird immer zugunsten des Trainers oder der Ausbilderin ausfallen und deswegen ist sie ja die Ausbilderin!
Andere Antworten auf die Frage wann es „gut genug“ ist, sind oft so wischiwaschi formuliert, dass klar ist: „gut genug“ ist ein völlig undefinierter Begriff. So etwas wie „gleich“ oder „später“. Damit drückt frau sich offensichtlich davor, sich vielleicht mal eingestehen zu müssen, dass sie an vielen Stellen längst „gut genug“ ist. Oder Frauen glauben, sie seien „gut genug“ wenn sie die nächste Stufe erreicht hätten (also wenn z.B. das Schulterherein mit dem Pferd endlich klappt). Das ist aber natürlich Selbstbetrug, denn bei all den Stufen davor hat es ja auch nicht funktioniert – sie fühlte sich nicht „gut genug“ als das Pferd mit Reiter traben konnte und nicht „gut genug“ als das Pferd mit Reiter galoppieren konnte, also wird sie sich auch nicht „gut genug“ fühlen wenn das Schulterherein klappt und sogar dann nicht wenn das Pferd piaffiert, passagiert und fliegende Wechsel springt.
Was in unserer Gesellschaft irgendwie immer so falsch verstanden wird: „gut genug“ bietet trotzdem Spielraum für Verbesserung. Nur eben ohne Drama, ohne Kritik, ohne Selbstgeißelung. Dafür mit Spaß an der Sache. In einem interessanten Umkehrschluss finden viele Frauen übrigens, dass ihr Pferd alles ganz wunderbar macht. Da ist es ganz schnell „gut genug“, wie halbseiden das Angebot des Pferdes auch gewesen sein mag. Kritisieren tun sich die Menschen viel mehr selbst. Aber hier ist das Problem: nach meiner Erfahrung unterscheiden die Pferde nicht, ob der Mensch sich selbst kritisiert oder das Pferd. Sie fühlen die Kritik und fühlen sich kritisiert. Und daher, liebe Frauen, hier meine Bitte: tut es doch für eure Pferde. Glaubt doch mal daran, dass das, was ihr tut, gut genug ist. Und noch besser werden kann – ein Leben lang.
Die perfekte Reiterin gibt es nicht, genauso wenig wie den perfekten Stall und das perfekte Gesundheitsmanagment mit dem Euer Pferd nie krank wird und sich nie verletzt (und am besten niemals stirbt). Ich bin sehr dafür, dass wir uns alle stetig verbessern. Ich bin auch dafür, dass wir das mit Spaß und Freude tun und uns gegenseitig dabei unterstützen, anstatt uns noch anzuzicken und uns das Leben schwer zu machen. Und ich glaube die Basis dafür ist der Punkt an dem wir sagen „es ist gut genug“.
Ich bin keine Psychologin. Ich habe das – wie immer – von den Pferden gelernt. Immer, wenn ich einem ängstlichen, überforderten oder verwirrten Pferd vermitteln kann „das was du da anbietest ist gut genug“ geschieht eine wundersame Wandlung. Und ausnahmslos alle diese Pferde haben sich danach massiv verbessert. Wegen zwei kleiner Worte: GUT GENUG.
wahrscheinlich ist dem Wörtchen „gut“ dasselbe passiert wie dem Wörtchen „nett“.
Es ist zu seiner eigenen Karikatur gemacht worden.
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Vielen Dank für diesen Text!
Er kommt genau zur richtigen Zeit….
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