Gefühle

Duncan rast im vollen Galopp über unseren Sommerreitplatz. Die Doppellongen wehen hinter ihm her, er ist in Panik. Ich rede beruhigend auf ihn ein und bete, dass er den Zaun wahrnimmt und rechtzeitig abdreht. Das tut er zum Glück und kommt nach ein paar Runden am Ausgang zum Stehen, rast aber wieder los bevor ich bei ihm bin. Nach weiteren zwei Runden stürzt er auf die Seite, rappelt sich wieder hoch und bleibt dann zitternd am Ausgang stehen. Diesmal bin ich näher dran, kann ihn einsammeln und mich entschuldigen. Wir waren lange nicht hier oben auf unserem abgezäunten Stück Wiese und ich hatte unterschätzt wie viele Bremsen und andere blutdurstige Tiere uns hier auflauern. Als ich es bemerkt hatte, dachte ich „bisschen Trab und dann gehen wir wieder“. Links herum war auch alles perfekt, dann kurz Pause. Und da hätte ich es wissen sollen, denn Duncan hat in der Pause kein Gras genascht,sondern meine Nähe gesucht und mich komisch angeschaut. Was er NICHT getan hat: doll mit dem Schweif schlagen, den Kopf schütteln oder sich unter den Bauch hauen, was mir deutlich gemacht hätte, wie schlimm er die Überfälle der Insekten findet. Statt dessen dieser Blick. Ich sage „komm, eine Runde rechts herum, im Trab geht es doch.“ Und kurz danach geht er mir durch. Es scheint seine einzige Option gewesen zu sein.

Gefühle sind im Moment sein Ding. Sie überwältigen ihn anscheinend einfach und er kann sie nicht managen. In einem Augenblick ist er sehr ruhig, im nächsten wieder flott und aufgeregt, oft ohne für mich ersichtlichen Grund. Häufig habe ich das Gefühl, er versucht viel zu lange, alles zu unterdrücken und explodiert dann. Und ich sehe viel zu spät, wie lange er schon mit sich kämpft. Schwierige Zeiten sind das und ich bin oft frustriert. Jedes dieser Erlebnisse – das Steigen auf dem Trailplatz und das Durchgehen auf dem Reitplatz – bleibt in mir haften, weil ich zwar die Ursache im Nachhinein erkenne aber befürchte, beim nächsten Mal wieder was zu verpassen. So beobachte ich ihn mit Argusaugen, werde aber nicht recht schlau aus seinem Verhalten. „Er ist komisch“ ist oft alles, was bei mir ankommt. Ich denke an Finlay, dem man nie irgendeine Gefühlsregung angesehen hat und ich fürchte, ein ähnlicher Lernprozess steht mir wieder bevor. Duncan ist eigentlich extrovertiert – aber anscheinend nur dann, wenn er kein Problem hat. Wenn wirklich etwas los ist, zeigt er es eben doch nicht so eindeutig. Ich kann nur hoffen, dass er lernt, mir deutlicher Bescheid zu sagen, während ich lerne, seine leisen Töne besser zu deuten. Ich höre sie, aber oft verstehe ich sie nicht.

Aber das Leben spielt mir in die Hände. Denn derzeit habe ich das Vergnügen, ein paar mal allein mit einem meiner Kundenpferde zu arbeiten, weil die Besitzerin gesundheitlich verhindert ist. Wir probieren allerhand aus und ich erkenne – mit Abstand von meinem eigenen Pony – ein paar hilfreiche Parallelen, die es für mich nun zu erkunden gilt.

Was ich derweil auch wieder erlebe ist etwas, was ich hier zu hause zum Glück mangels Einstellern nicht erdulden muss: Klugscheißer. Entschuldigt meine Wortwahl, aber es ist ja so. Was einem da rein geredet und an den Kopf geworfen wird, hat ja schon wirklich keine Art mehr. Und ich bin selbst herausgefordert, meine eigenen Gefühle nach solchen dummen Sprüchen wieder in den Griff zu kriegen und mich zu sortieren, damit ich vernünftig mit dem Pferd arbeiten kann. Und jetzt traue ich mich trotzdem wieder, hier öffentlich aufzuschreiben, was mir mit meinem eigenen Pony im Moment nicht gelingt. Ich hoffe, dass meine geneigten Leser verstehen, dass ich das nicht tue, weil ich wohlmeinende aber wenig hilfreiche Tipps aus der Ferne brauche, sondern weil ich teilen möchte, was zu wenig geteilt wird in unserer perfekten social-media-Welt. Weil ich mich nicht bei denen einreihen will, die immer nur über ihre Stärken und Erfolge sprechen und die damit (bewusst oder unbewusst) allen anderen das Leben schwer machen bei denen – oh Wunder! – nicht alles perfekt läuft. Wissen, dass andere auch ihre Schwierigkeiten haben, kann uns helfen, die eigenen Schwierigkeiten nicht über zu bewerten. In den letzten Wochen durfte ich diese Erfahrung immer wieder machen, wenn Menschen mir erzählt haben, was ihre Pferde im Alter von 3 oder 4 Jahren so angestellt haben. Pferde, die ich heute kenne, von denen ich weiß, dass sie gut zurecht kommen in der Welt. Menschen von denen ich weiß, dass sie sich viel Mühe geben, ihre Pferde gut auszubilden und Pannen zu vermeiden. Es passiert eben trotzdem, da müssen sowohl wir Menschen durch als auch die Pferde. Und wenn sogar meine Lieblingstrainerin erzählt, was für gravierende Fehler sie gemacht hat, dann macht mir das so viel Mut. Denn so blöde Fehler sind: man kann ja was draus lernen. Und mit viel Glück kann man sogar aus den Fehler der anderen lernen, dann muss man nicht alle selbst machen.

Duncan kann und weiß unfassbar viel für sein Alter und ist in aller Regel unglaublich toll in allem was wir anfangen. Jetzt steht offensichtlich die Regulation von Gefühlen im Vordergrund – nicht das Erlernen neuer Fähigkeiten sondern das Umgehen mit den eigenen Hormonen und der neu gewonnenen Kraft, die Frage nach der eigenen Position in der Welt. Dabei wird sich zwangsläufig auch unsere Beziehung noch einmal verändern, während mein Pony weiter geht auf dem Weg zum Erwachsensein. Ich kann den Weg nicht für ihn gehen, aber mit ihm. Was uns dabei hilft und was nicht gilt es jetzt zu erproben, zum Glück bekomme ich Ideen durch andere Menschen und andere Pferde. Und ich hoffe dass das, was wir jetzt lernen, uns nachher ein Leben lang hilft, mit schwierigen Situationen umgehen zu können ohne dass ein Desaster daraus wird.

Derweil freue ich mich mehr denn je über unsere tolle Herde hier, die meinem kleinen Hengst hilft, sich zu orientieren und mit seinen Gefühlen umgehen zu lernen. Besonders unser Diego, der so wunderbar mit sich und der Welt im reinen ist – ein wahrer Fels in der Brandung von Duncans Pubertät.

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