Aus dem Tagebuch des Sir Duncan Dhu 256

Dieses Jahr ist das Gras mal wieder mächtig gewachsen! Wir dürfen ja nie die ganze Weide auf einmal betreten, sondern bekommen immer ein Stück zugesteckt. Und das, was wir dann neu bekommen, ist jetzt so hoch, dass wir unseren kleinen Caruso darin gar nicht mehr finden! Wenn er seine Decke gegen die fiesen Mücke auf hat, aus der oben nur die Ohren raus schauen, dann sagt mein Mädchen immer, er sieht aus wie ein kleines Gespenst. Dann nennt sie ihn „Hui-Buh“ und irgendwie ist es ja auch ein bisschen gruselig, wenn so ein Pony einfach verschwindet, da kann man sich schon erschrecken wenn er plötzlich vor einem steht! Nein, tun wir natürlich nicht. Wir hören ihn ja, weil er genauso genüsslich Gras mampft wie wir. Oder wir hören ihn nicht, weil wir selbst so genüsslich laut Gras mampfen!

Wo ist Caruso bloß?
Da ist er ja, unser kleiner Hui-Buh!

Es ist paradiesisch, so im hohen Gras zu stehen und mein Mädchen sagt, sie fühlt sich dann immer ganz reich. Weil sie weiß, dass genug zu essen für uns da ist und wir bis weit in den Herbst hinein Gras essen können. Jetzt wartet sie, dass Heu geliefert wird, damit dann auch das Winterfutter gesichert ist. Das ist immer ein bisschen aufregend, wenn Heu kommt, ob das mit dem Wetter auch alles klappt! Dann darf es nämlich ausnahmsweise nicht regnen. Sonst darf es fast immer regnen, findet mein Mädchen, damit die Weide genug zu trinken hat.

Paradiesisch!

Der Mann läuft um diese Jahreszeit auch ganz viel auf der Wiese rum. Er sticht die Pflanzen aus, die hier nicht wachsen dürfen. Mit seinem Stecher, seinem Hut und seinem großen Sack über den Rücken sieht er immer sehr lustig aus, wenn er sich durchs hohe Gras kämpft. Dann verschwindet er darin, weil er sich nach fiesem Kreuzkraut bückt und wenn er wieder hoch kommt hält er das Kraut in der Hand und zwingt es in den Sack hinein. Sieg! Jedes Jahr sind es ein paar weniger Kreuzkräuter, sagt mein Mädchen, und das ist gut so. Sie hat auch eine Anleitung für Anfänger geschrieben, wie mit dem Kreuzkraut zu verfahren ist:

Weit übers Land schallt das Halali – das Jakobskreuzkraut ist wieder zur Jagd freigegeben!

Und überall schultern die Pferdebesitzer ihre Stecher und Gabeln und Spaten und ziehen los. Waidmannsheil! Dabei ist das JKK nicht leicht zu erlegen. Im Laufe seiner Evolution hat es einige Tricks entwickelt um den Jägern zu entgehen.

Anfänger merken sich einige einfache Regeln

1. Jedes JKK hat einen eigenen Verteidigungsstein bereitliegen. Sobald die Zinken des Stechers in den Boden eindringen, schiebt es diesen zwischen die Zinken. Geübte JKK können den Stein so platzieren, dass er nur mit schwerem Gerät wieder zu entfernen ist und danach die Zinken des Stechers bis zur Unbrauchbarkeit verbogen sind.

2. Sobald Du das erste JKK erlegt hast, lässt es einen markerschütternden Schrei fahren (zum Glück in Schallfrequenzen außerhalb der Wahrnehmungsfähigkeit des menschlichen Ohres). Dieser Schrei dient allen JKK im Umkreis als Warnung, sich sofort zu ducken um den Augen des Jägers zu entgehen.

3. Einige JKK gehen eine innige Beziehung mit Löwenzahn oder Spitzwegerich ein. Sie verhaken ihre Blätter ineinander und auch ihre Wurzeln, so dass es unmöglich ist, nur das JKK auszustechen. Zwangsläufig muss der Jäger auch die andere Pflanze entfernen – nur damit im entstandenen Loch wiederum neue JKK wachsen können.

4. Besonders gern siedelt JKK in gerade aufgelaufener Grassaat. So wird der Jäger bei der Entfernung des JKK die jungen Gräser, die ja noch kaum Wurzeln haben, mit ausreißen müssen und die Konkurrenz wird effektiv ausgeschaltet.

5. Gehe niemals an einem JKK vorbei in dem Gedanken „hier komme ich gleich wieder hin mit dem leeren Eimer dann bist du dran!!“ Vergiss es – auf dem Rückweg wirst du es nicht mehr finden auch wenn du einen Hektar Wiese umgräbst!

6. Freue dich nie zu früh! Wenn du das erlegte JKK an den Zinken deiner Forke in die Höhe reckst mit einem Urschrei des Sieges, wirst du die kleinen ein- bis zweiblättrigen Nachwuchs-JKK unter den Nachbarpflanzen nicht entdecken! Ein ausgiebiger Freudentanz würde Dich zu weit vom Ort des Geschehens wegbewegen! Finde nach deinem Urschrei sofort zurück in deine mentale Mitte, wirf dich demutsvoll auf die Knie, such mit einem Vergrößerungsglas die Jungbrut und bringe sie ebenfalls zur Strecke.

Nach Stunden des Stechens wird der Jäger schließlich erschöpft aufgeben. Kaum verlässt er die Wiese, kommen alle JKK, die sich geduckt hatten, wieder hoch und fangen binnen Stunden an zu blühen und auszusamen, so lange der Jäger noch in der Erholungsphase ist.

Na dann – Waidmannsdank!

So ist das auf unserer Weide. Ein bisschen helfen wir Ponys auch dabei, das Kreuzkraut zu finden: wenn wir eines sehen, fressen wir akribisch drum herum so dass die Menschen es finden und erlegen können. Wenn wir alle gut zusammenarbeiten, wird vielleicht eines Tages gar kein Kreuzkraut mehr auf unserer Wiese wachsen. Mein Mädchen glaubt das aber nicht, sie glaubt, dass immer eines seinen Weg finden wird. Aber eines oder zwei, das ist ja nicht schlimm.

So, jetzt muss ich aber Gras essen gehen, liebe Menschen!

Euer Sir Duncan Dhu of Nakel

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4 Kommentare

  1. genau so mach ich es auch in meinem Garten. Es könnte mir egal sein, ich esse kein Gras, aber aus Solidarität zu Pferden und deren Menschen und um es an der Ausbreitung zu hindern, beteilige ich mich an der Jagd!
    Kampf dem JKK! (und diversen anderen Grünlingen)

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    1. ach, fällt mir ein: es gibt ein Rauptier, das nur das JKK frisst, den lieben langen Tag und vielleicht auch noch nachts.
      Es ist schwatzgelb gestreift wie ein anständiger Dortmunder Fußballfan, und nach der Verpuppung ist es ein Falter in schwarz und rot. In jeder Farbkombi sieht es sehr gefährlich aus!
      Lustigerweise heißt es nicht Raupe oder Falter, sondern Bär: Jakobskrautbär.

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      1. Ja leider hat er sich bei uns als eher fauler Bär erwiesen und weder genug gefressen noch genug Kinder bekommen um unseren JKK ernsten Schaden zu zu fügen und so müssen wir die Arbeit eben doch selbst machen…..
        Danke dass du mit jagst!

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  2. Ich als gelernte Melkerin kenne das auch mit den stehengelassenen Stellen auf den Weiden. Bei uns handelte es sich meist um Sauerampfer, das wir bekämpfen mussten. Auf der Weide beim Abgrasen sind giftige Kräuter ja nicht ganz so gefährlich, weil die Tiere sie sehen und stehenlassen. Gefährlich wird es erst, wenn aus dem Grün Heu oder Silage für den Winter gemacht wird. Dann können die Tiere das Giftige nicht mehr von dem fressbaren Grün unterscheiden und können erkranken. Daher: immer fleißig vor der Blüte vernichten! So kann es sich nicht mehr so rasant verbreiten und Schaden anrichten.
    Lieben Gruß aus Berlin
    von (inzwischen längst nicht mehr Melkerin) vagabundinchen
    🙂

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