Ich bin gebeten worden etwas zu schreiben über Pferde, die Menschen bedrängen. Solche Pferde gibt es haufenweise. Es ist fast schon Standard, dass Pferde ihre Menschen in irgendeiner Form bedrängen. Bei der Hufpflege könnte ich schier ausflippen, wenn es Menschen nicht möglich ist, das Pferd daran zu hindern, „durch sie durch“ zu laufen. Es ist enorm nervig und anstrengend, einem Pferd die Hufe zu bearbeiten, das ständig in Diskussion mit dem Menschen ist und keine Grenze akzeptiert, das ständig den Arbeitsplatz verlassen möchte und dadurch alle in Gefahr bringt. Warum ist das so? Einfache Antwort: weil das Pferd das gelernt hat.
In meinen Augen geht das lange vor dem Zusammensein mit dem Menschen los. Ich sehen so viele Herden in denen ständiger Wechsel ist. Pferdebesitzer wechseln den Stall wie die Unterhose und die Pferde ziehen von A nach B. So kann sich keine vernünftige Herdenstruktur entwickeln und es gilt das Recht des Dreisteren. Wer selbstbewusst genug einfach da hin geht wo er hin will und Drohgebärden der anderen Pferde ignoriert, kommt am besten durchs Leben. Denn in der Regel sind Pferde sozial genug um es beim Drohen zu lassen – da wird vielleicht mal gebissen, aber nicht so schlimm, dass der Gewinn nicht höher wäre.
Eindrucksvoll beobachten konnten wir das, als Gatsby, das Pony unserer Mieterin, hier eingezogen ist. Der kam aus einem großen Bewegungsstall und hatte hier bei uns ein ganz komisches Verhalten (fanden wir und unsere Pferde). Er kommunizierte ganz wenig mit unseren Ponys – er wollte zwar dabei sein, ging aber irgendwie doch seiner Wege ohne Rücksprache zu halten.
Von unseren Ponys kenne ich das ganz anders. Auch Duncan musste das erst lernen. Wenn man irgendwo hin gehen möchte wo schon ein anderes Pony ist, findet ein „Gespräch“ darüber statt. Man deutet an, wo man hin möchte, bekommt eine zustimmende oder ablehnende Antwort, wenn man trotz Ablehnung weiterhin dort hin möchte, kann man warten und etwas später wieder nachfragen (das sind je nachdem ein paar Sekunden oder mal ein, zwei Minuten), man kann in der Wartezeit freundliche Beschwichtigungssignale senden (am Boden schnüffeln ist bei unseren Ponys dafür gern genommen, aber auch wegschauen) und hat dann eine gute Chance, doch noch dort hin zu dürfen wo man hin möchte. Wenn nicht kann es schon mal sein, dass es zu einem kleine Disput kommt, das hängt dann von der Situation und den beteiligten Ponys ab. Allerdings sehe ich häufig, dass in solchen Diskussionen sich dann eben der durchsetzt, der stoischer ist – nicht unbedingt der ranghöhere und schon gar nicht der, der in der Situation aggressiver agiert.
Wenn aber so ein Verhalten nicht in der Herde tagtäglich ganz selbstverständlich angewendet wird, weil in den ständig neu zusammengewürfelten Gruppen niemand höflich kommuniziert, dann kann ich von meinem Pferd wohl kaum erwarten, dass es sich mir gegenüber von selbst höflich verhält.
Andererseits: wenn mein Pferd sich mir gegenüber höflich verhält, ich aber die Anfragen und Signale nicht erkenne, findet das Pferd mich wahrscheinlich so unhöflich, dass es beschließt, die Kommunikation zu „vergröbern“ oder einzustellen und einfach seiner Wege zu gehen. Und leider bekommen wir Menschen ja so vieles nicht mit. Und dann ist da auch noch der umgekehrte Weg: wenn ich selbst ständig zu schnell, zu unhöflich und ungefragt in den Raum des Pferdes eindringe, wird mein Pferd wenig Anlass sehen, mir gegenüber höflich zu sein. Und auch das ist etwas, was viel zu oft passiert und wo wir Menschen noch viel zu lernen haben.
Die Bitte für den Blogartikel bezog sich darauf, wie man ein solches Verhalten korrigiert – abseits von reiner Bestrafung. Ich möchte mal so sagen: wenn ein Pferd meint, es könnte mich anrempeln, dann „rempel“ ich zurück (mangels Körpermasse nehme ich dann Gerte, Strick, Stimme oder was eben gerade da ist zur Hilfe). Das sehe ich nicht unbedingt als Strafe an, denn ich verteidige nur meinen Raum, aber lerntheoretisch gesehen ist es eine Strafe.
Viel wichtiger ist aber, das unerwünschte Verhalten des Pferdes nicht mehr zu belohnen. In der Regel tun Menschen das nämlich jeden Tag. Das drängelnde Pferd kommt hin wo es hin will, wird gekratzt wo es gekratzt werden will, bekommt Aufmerksamkeit aller Art. Hält das Pferd aber Abstand, wird es meist ignoriert, denn meistens bemerken wir es nicht, wenn ein Tier sich unauffällig verhält. Oder sollte ich sagen: wir bemerken das Tier nicht, wenn es sich unauffällig verhält? Nicht bemerkt zu werden, nicht integriert zu sein in eine Situation ist für ein soziales Lebewesen gar nicht schön und deswegen werden viele Pferde alles tun, um das zu ändern und sogar Strafen in Kauf nehmen, nur um nicht ignoriert zu werden. Und genau das können wir uns umgekehrt zu Nutze machen.
Leicht zu verändern ist das Verhalten zum Beispiel in Futtersituationen. Ob ich mit Heu, den Futterschüsseln oder Keksen in der Tasche komme: ich achte darauf, immer das Pferd zuerst zu füttern, das sich am höflichsten zurückhält. Dadurch belohne ich nicht nur das höfliche Pferd, sondern bestrafe auch das drängelnde (negative Strafe, es gibt in dem Moment kein Futter). Da Pferde sich Verhalten voneinander abschauen (mindestens vom ranghöheren Kumpel) können sie so schnell lernen, wie es besser geht.
Wenn ich bei der Stallarbeit bin und ein Pferd möchte einen kleinen Schnack mit mir halten, habe ich es noch einfacher: so lange das Pony höflich und freundlich ist, schnacken wir. Wenn es mich bedrängt, gehe ich kommentarlos weg. Manche Ponys – Finlay war da so ein Kandidat – sind so eine Art „Kampfkuschler“. Sie wollen unbedingt nah sein, sie wollen auch wirklich angefasst werden, kleine Maulspiele machen oder man soll ihnen die Ohren durchkneten. Auch bei diesen Modellen gibt es elegante Wege um Regeln klar zu stellen und gleichzeitig das Bedürfnis nach Nähe zu befriedigen. Von meinen Ponys habe ich gelernt, dass ich zum Beispiel die Oberlippe des Pferdes festhalten kann. Die entsetzten Blicke neuer Schüler sind sehr amüsant, noch amüsanter ist der Blick danach, wenn sich zeigt, dass das Pferd das toll findet und immer wieder kommt um mehr davon zu bekommen. Bei solchen Pferden fühle ich mich nicht so stark bedrängt, weil ich weiß, dass sie aus einem echten Nähebedürfnis heraus so handeln. Sollte es mir doch zu viel werden, kann ich aber jedes Kuscheln so steigern, dass das Pferd es irgendwann doch etwas zu viel findet und von selbst Abstand hält. So zeige ich dem Pferd mit meinem Verhalten, wie es sich anfühlt, wenn jemand einen Hauch zu aufdringlich ist.
Wenn ich mit dem Pferd arbeite, darf ich noch genauer hinschauen: warum bedrängt das Pferd mich? Häufig ist es ein Gleichgewichtsproblem. Schlecht ausbalancierte Pferde suchen „Anlehnung“ beim Menschen. Schickt man sie weg, fallen sie oft ins andere Extrem, driften nach außen und ziehen schlimmstenfalls am Strick. Hier hilft keine Erziehung, sondern nur Gymnastizierung.
Oder es ist ein Aufmerksamkeitsproblem. Duncan schiebt in genau einer Situation mit der Schulter gegen mich: wenn er nach fremden Pferden schaut. Dagegen hilft das üben der Gegenbewegung (Schulter von mir weg) in ruhigen Situationen, so dass es auch unter Aufregung besser abrufbar wird. Es ist aber auch meine Aufgabe, mein Pony nach Möglichkeit nicht in eine Situation zu bringen in der ich sehr deutlich werden muss um seine Aufmerksamkeit zurück zu gewinnen. Das gelingt nicht immer, aber mit etwas Umsicht jedenfalls sehr oft.
Manchmal ist es auch Angst, die unsere Pferde drängeln lässt. Darum gehe ich immer auf der (potentiell) gefährlichen Seite, so lange mein Pferd unsicher ist. Ich bin auf der Seite, auf der die gruselige Plane liegt, das Motorrad längs donnert oder der Hund hinter dem Zaun bellt. So springt das Pferd im Zweifel von mir weg und – noch wichtiger – ich übernehme die Verantwortung im Angesicht der (vermeintlichen) Gefahr.
An Duncan, der ja schon mit 1 Jahr hier eingezogen ist, kann ich gut beobachten, wie höflich ein kleiner Hengst wird, wenn er es von klein auf lernt. Wenn er sich mal nicht im Griff hat und doch mal drängelt, muss ich nur kurz erstarren, dann besinnt er sich und nimmt sich zurück. Ich war aber auch deswegen mit Duncan von Anfang an so konsequent und umsichtig, weil ich eben wusste, dass er Hengst bleiben soll. Der Gedanke flößt mir genug Respekt ein, um noch mehr darauf zu achten, wie ich mit ihm umgehe. Strafen, damit er nicht drängelt, musste ich ihn nur selten, das meiste hat sich durch entsprechende Aufmerksamkeit im Alltag ergeben. Mein Merlin, der ja nun auch noch den Altersbonus hat, benimmt sich hingegen wirklich schlecht. Wie kann ich ihm das übel nehmen, wenn ich es ihm dauernd durchgehen lasse, ihn zauberhaft finde und er ja auch nie etwas gefährliches tut? Sein extra Futter fordert er vehement ein und ich habe nur die rudimentärsten Regeln eingeführt, an die er sich knapp hält. Und wenn sein Verhalten mich ärgert, schaue ich in den Spiegel und weiß: das hat er so von mir gelernt und es liegt an mir, Wege zu finden um besseres Verhalten zu bekommen anstatt das, was ich ihm beigebracht habe, jetzt unter Strafe zu stellen.