Ich wandere durch die Gänge des Supermarkts und überlege, was ich wohl mal zu essen machen könnte. Nudelsalat! Den hatten wir ja ewig nicht! Im Kopf gehe ich durch, welche Zutaten ich brauche, welche ich zu hause habe und was ich noch kaufen muss.
Plötzlich kommt eine messerscharfe Erinnerung hoch und ich muss schlucken. Es würde nicht so viel Sinn machen, jetzt im Supermarkt los zu heulen, das würde meine Situation nicht verbessern, wenn dann mitfühlende Menschen auch noch fragen was los ist. Was hätte ich auch sagen sollen? Dass mein Pony nun bald drei Jahre tot ist und dass es an jenem beschissenen Tag auch Nudelsalat gab? Als ich den Nudelsalat gemacht habe, war meine Welt noch heile. Als ich ihn gegessen habe, war sie kaputt. Und ich steckte in dieser Situation, die man Trauer nennt, in der alles falsch ist und man so gar nichts dagegen machen kann das alles falsch ist. Dieses Gefühl, dem man ausgeliefert ist, diese Scheiße (Entschuldigung) in der man steckt, gegen die es nichts zu unternehmen gibt. Bei den meisten anderen blöden Dingen die einem so passieren, gibt es ja Handlungsoptionen. Bei Trauer nicht. Mein geliebtes Pony war tot – einfach so – und daran war und ist nichts zu ändern.
Damals hatte ich oft solche Momente. Jetzt sind sie selten geworden. Normalerweise sind Erinnerungen an Finlay zwar traurig und wehmütig, aber nicht mehr so extrem schmerzhaft und überwältigend. Aber in den letzten Wochen sind so ein paar blöde Dinge passiert, die in der Summe dazu geführt haben, dass meine seelische Widerstandskraft nicht so gut ist. Dazu kommt, dass der eigentlich ja freudige Umstand, dass ich anfange Duncan zu reiten, dazu führt, dass ich wieder mehr an Finlay denke, an unsere gemeinsamen Ritte. Und am kommenden Sonntag hat Finlay Geburtstag. 11 Jahre alt wäre er geworden. Ich hoffe, der Ritter ist bis Sonntag wieder fit und hilft mir mit einem Ausflug durch den Tag.
Nun also Nudelsalat. Verdammt. Ich beschließe, trotzdem Nudelsalat zu machen, verwende aber andere Nudeln, ein bisschen andere Zutaten und – ganz wichtig – eine andere Schüssel als damals. Warum das so wichtig ist – ich weiß es nicht. Ich habe gelernt, solche Dinge so hinzunehmen, es tut ja niemandem weh und mir hilft es.
Und dann frage ich heute morgen nach Wunschthemen für den Blog und es kommt „Routine“. Man übt etwas 100mal und trotzdem klappt es nicht zuverlässig.
Manchmal übt man ja falsch. Zum Beispiel lernen viele Pferde, Dinge nur auszuhalten und sich nicht wirklich zu entspannen. Manchmal übt man auch einfach mit zu wenig Abwechslung. Dein Pferd steigt gut in den Anhänger, aber tut es das auch noch wenn Du einen Haufen Dualgassen kreuz und quer vor den Anhänger schmeißt? Manchmal braucht es einfach mehr Wiederholungen als gedacht und auch Rückschritte sind ja total normal.
Aber heute denke ich an Nudelsalat. Und an die unzähligen Pferde, die zu hause sehr gut in den Anhänger steigen, aber dann am Ende eines Kurstages, eines Ausrittes oder gar eines Klinikbesuches nicht mehr einsteigen wollen (obwohl man meinen könnte, sie wissen, dass es nach hause geht). Ihre seelische Widerstandskraft ist aufgebraucht und reicht einfach nicht mehr, um noch einzusteigen. Merlin zum Beispiel war so ein Kandidat. Er ist immer eingestiegen, aber ich wusste, dass er nach einem Kurstag eben seine 15 Minuten dafür braucht: ein Schrittchen vor, Pause machen. Atmen, entspannen. Noch ein Schrittchen vor. So hatten wir unseren Weg gefunden. Merlin hat ja auf Kursen immer alles gegeben, alles möglich gemacht, sich wahnsinnig ins Zeug gelegt. Und dann war der Akku einfach leer.
Unsere Pferde können es uns nicht sagen. Ich kann genau erklären, warum der Nudelsalat mich diesmal so viel mehr raus gehauen hat als sonst. Aber was unserem Pferd so zustößt in den 23 Stunden am Tag, die wir es nicht sehen, das wissen wir nicht. War die Stimmung in der Herde blöd? Hat das Wetter genervt? Zwickt es vielleicht irgendwo – nicht so schlimm dass wir Menschen das sehen würden, aber schlimm genug um zu nerven und Kraft zu kosten? Spielen die Hormone verrückt? Bei Wallachen vielleicht nicht so (wobei das auch nicht für alle Wallache gilt) aber bei Stuten und Hengsten ja durchaus normal. Vielleicht ist der Seelenakku schon fast leer und wir wissen es nicht. Und dann verhalten wir uns aus Sicht des Pferdes vielleicht auch noch ein bisschen doof – kommen zur falschen Uhrzeit mit den falschen Leckerlies oder so und schon ist Ende.
Routine ist das eine. Das andere ist, die Seele so zu stärken, dass genug Reserven da sind. Routine kann die Seele natürlich wiederum auch stärken. Aber vielleicht können wir aufhören, zu glauben, dass unsere Pferde nicht auch mal so etwas erleben wie ich mit dem Nudelsalat. Fast jedes Pferd trägt mindestens ein mehr oder weniger großes Trauma mit sich herum. Je älter das Pferd war als es zu uns kam, desto weniger wissen wir darüber. Und was so ein Trauma triggert, wissen wir in den seltensten Fällen.
Und auch ohne Trauma hat halt jeder seine Themen. Angst vor Spinnen beim Menschen, Angst vor fließendem Wasser bei Duncan.
Als ich neulich ein Stück geritten bin, kamen wir über einen kleinen Bach. Ich wusste, dass Duncan im Kopf schon viel getan hatte und schon ein bisschen „durch“ war im Kopf. Und dann glitzerndes Wasser. Duncan guckt besorgt, ich rede ihm gut zu. Dann macht es „klick“, er bleibt stehen schaut ganz entspannt das Wasser an (es gibt bei ihm einen ganz deutlichen Unterschied in der Art wie er schaut wenn er sich fürchtet oder nicht fürchtet). Demonstrativ schaut er hin und dreht sich dann zu mir um „das habe ich toll gemacht und deswegen bekomme ich jetzt einen Keks“. Ich wäre vor Lachen fast runter gefallen, aber natürlich hat er seinen wohlverdienten Keks bekommen. Der stärkt nämlich die Seelenkräfte ungemein und so konnten wir danach auch noch die Horden von Spaziergängern bewältigen.
Nach meinem Supermarkt-Nudelsalat-Erlebnis habe ich keinen Keks gegessen, aber mir anderweitig neue Seelenkraft geholt. Weil es einfach nötig war. Viel nötiger als Routine und Übung.