Duncan und ich laufen nebeneinander her. Duncan gibt sich wahnsinnig viel Mühe – heute. Er versucht, sich genau an mich anzupassen und synchron mit mir zu laufen. Er nimmt genau wahr, wie ich meine Füße setze und setzt seine genau so – wenn es ihm gelingt. Gelegentlich rummst er gegen mich, da ich in Reitposition neben ihm bin, donnert sein Bauch gegen meine Seite wenn er das Gleichgewicht verliert oder den Weg nicht verstanden hat, den ich gehen will. Manchmal wird es auch knapp für meine Füße, wenn sein Huf sich verirrt. Aber sonst ist er fabelhaft. Ganz im Gegensatz zu gestern, wo er einfach nur nervig war und pubertär. Wobei: es ist mir gelungen, das nervig pubertäre in gute Bahnen zu lenken und genau das zu üben (wenn auch in anderen Versionen) was wir heute tun: achte auf mich und ahme mich nach. Gestern war das anfangs nicht nach seinem Geschmack, aber heute ist er voll dabei. Sieh einer an!
Pferdeausbildung – und besonders Jungpferdeausbildung – läuft auf einem sehr schmalen Grat ab. Wann darf ich was verlangen? Gute Trainer sagen von sich, sie fragen nur nach Dingen, die das Pferd mit höchster Wahrscheinlichkeit dann auch tun wird. Sie vermeiden „nein“-Antworten vom Pferd. Schöner Plan, ich stimme zu. Woher ich bei meinem Teenager allerdings im Voraus weiß, wozu er ja oder nein sagt, weiß ich nicht genau. Indizien gibt es schon, aber manchmal lässt es sich ja auch gar nicht vermeiden, dass ich diskutieren muss. Er kann nun mal draußen beim Spazierengehen nicht beliebig lang und schnell traben, da komme ich nicht mit. Da gibt es keinen Spielraum. Das Leben setzt uns allen irgendwo Grenzen und mit denen müssen wir zurecht kommen.
Aber klar: besser ist es, wenn ich möglichst viele „JA“- Antworten bekomme. Mir persönlich ist es aber nicht immer möglich. Und so muss ich ständig ausbalancieren: wie viel Druck mache ich, was verlange ich, wo sind die Grenzen, welchen Konflikt vermeide ich und wo diskutiere ich Dinge zu Ende?
Und wieder finde ich, dass junge Pferde hier eine besondere Herausforderung bieten. Denn Sir Duncan schwankt nicht nur körperlich gelegentlich ganz schön, er ist auch jeden Tag unterschiedlich drauf. Der kleine Racker, der da eben auf Teufel komm raus Diego ärgern musste, ist das der selbe, der jetzt so zart mit mir umgeht? Der Rüpel, der mich vor 5 Minuten herzhaft gekniffen hat, ist das der selbe, der jetzt so engagiert zuhört und mitmacht? Und der Zappelphilipp der nicht still stehen kann, ist das der, der gestern artig gewartet hat obwohl um ihn herum so viel los war?
Auf einem Kurs im November hatte ich das Vergnügen mit einem Spanier zu arbeiten, der in einer, sagen wir mal, wenig hilfreichen Stimmung war. Ich konnte ihn zur Ruhe bringen und wieder in die Konzentration führen, was die Besitzerin überrascht hat: für sie war es immer so, dass diese Stimmung das Ende der Konzentration markierte – nichts geht mehr, jetzt können wir nicht mehr vernünftig miteinander arbeiten. Ich durfte ihr zeigen, dass das Blatt sich auch wieder wenden kann – und zwar recht schnell in ca 5 Minuten. Diese Wendung zu schaffen übe ich auch mit Sir Duncan immer öfter. Es mal drauf ankommen lassen, dass die Stimmung kippt, aber sie dann wieder zurück-kippen. Gelingt halt nicht immer, aber wenn es gelingt, ist es um so besser. Wie die Antwort eines berühmten Reiters, dem man bewundernd sagte, dass er ja nie die Balance verliere: „ich verliere die Balance ständig, ich finde sie nur sehr schnell wieder“.
Sicher werden Sir Duncan und ich noch sehr oft die Balance verlieren. Aber wenn wir das nie riskieren, wissen wir auch nicht, wie wir zurück kommen können. Und so sehr ich es gern können würde, jeden Konflikt zu vermeiden und immer nur „JA-Fragen“ zu stellen so sehr muss ich mir eingestehen, dass das in meinem Fall unrealistisch ist. Nichts desto trotz baut das Balance-wiederfinden natürlich genau darauf auf, dass mein „Konto“ bei Duncan gut gefüllt ist mit positiven Erlebnissen. Zu wissen, wie mein Kontostand derzeit ist, stellt also die erste Herausforderung dar. Zu wissen, wie „teuer“ eine geplante Aktion ist, ist eine große Unbekannte: wird er das, was ich vorhabe als Abenteuer empfinden, so kann ich etwas einzahlen. Wird er es blöd finden, so hebe ich etwas ab. Wie viel? Naja, all das sind eben Erfahrungswerte die wir sammeln. Und je mehr wir sammeln, desto besser wird unsere Balance. Bis es eines Tages so aussieht, als ob wir sie nie mehr verlieren.