„Ich hatte als Kind einen Esel“, sagt die Trainerin in dem Video „der hat auch irgendwann klein beigegeben“. Mich gruselt. „klein beigeben“ als Trainingsziel – echt jetzt? Dabei wurde mir erzählt, sie würde so pferdegerecht arbeiten, mit Körpersprache und so.
Immer wenn ich so etwas höre, nutze ich das als Anlass, nochmal darüber nachzudenken was wir da tun. „Wir tun so komische Sachen mit Pferden“ sagte eine Schülerin neulich „je älter ich werde, desto komischer finde ich das alles“. Ich konnte das total gut nachvollziehen aber meine Antwort hatte ich parat. Ich bin der festen Überzeugung dass es nur sehr, sehr wenige – vielleicht gar keine – Pferde in Deutschland gibt, die in einer Umgebung leben, die ihnen genug Anreize und Abwechslung bietet um nicht in Langeweile zu leben und geistig wie körperlich zu verkümmern. Und deswegen bin ich auch überzeugt davon, dass die komischen Dinge die wir tun für die Pferde bereichernd sein können.
Und ich glaube da geht es gar nicht so sehr um das, WAS wir tun. Ich glaube, es geht um das WARUM. Oder sollte ich sagen: das was ergibt sich aus dem warum? Tun wir etwas, damit unser Pferd sich „unterwirft“ so ist das in meinen Augen eben nicht pferdegerecht. Tun wir etwas ähnliches, um eine Kommunikation zu ermöglichen aus der wir dann eine gemeinsame Sprache entwickeln können, so ist das pferdegerecht – auch wenn beides von außen ähnlich aussehen mag.
Reiten wir Dressuraufgaben, weil der Richter sie sehen will oder reiten wir jene Aufgaben, die unser Pferd beweglicher und stärker machen (wodurch es sich automatisch wohler fühlen wird)?
Ziehe ich meinem Pferd ein Kopfstück an, weil es sonst nicht bei mir sein möchte, oder verwende ich das Kopfstück um meinem Pferd zu vermitteln, wie es seinen Körper besser verwenden kann?
Letztendlich: Übernehmen wir die Führung, weil wir so gern den Chef raus hängen lassen und einfach nur wollen dass der blöde Gaul das tut was wir sagen oder übernehmen wir Führung und Verantwortung um unserem Pferd Stress zu nehmen und es sicher durch die Menschenwelt bringen zu können? Ich bin überzeugt davon, dass die Pferde unsere Absicht spüren.
Und genau diese Absicht kann für uns der Kompass sein, für welche Art des gemeinsamen Tuns wir uns entscheiden. Für mich bedeutet pferdegerechtes Training, dass mein Pferd sich besser fühlt, größer, schöner, stolzer. Dass sein Selbstbewusstsein steigt, nicht sinkt. Und das tut es vor allem dann, wenn wir lösbare Aufgaben stellen mit dem richtigen Maß an Herausforderung für dieses Pferd hier, heute und jetzt. Wenn wir unser Pferd unterstützen und ihm helfen. Wenn wir erkennen, wie schwierig eine Aufgabe wirklich ist (da täuschen wir Menschen uns ganz schnell) und unser Pferd Schritt für Schritt befähigen, diese (schwierige) Aufgabe zu bewältigen.
Interessanterweise werden oft diejenigen für die besten Pferdetrainer gehalten, die ein Pferd dazu bringen können, etwas zu tun, was es eigentlich nicht möchte. Die Trainer von denen ich lernen möchte, sehen das umgekehrt: der Mensch muss es schaffen, das gewünschte so attraktiv für das Pferd zu machen, dass das Pferd es selbst auch will. Das ist die Kunst. Und genau wie das bei uns Menschen nicht nur über Geld erreichbar ist, sondern ein guter Job aus viel mehr besteht, so geht es beim Pferd auch nicht nur um Futter oder Pause.
Natürlich ist das mit dem „klein beigeben“ für den Menschen einfacher. Wenn man jedes Problem darauf zurückführt, dass das Pferd zu „dominant“ ist, braucht man auch nur eine einzige Lösung für alle Probleme. Und letztlich ist ein Pferd das „klein beigegeben“ hat vielleicht auch einfacher zu dirigieren. Ein starkes, stolzes und selbstbewusstes Pferd wird uns eher mal sagen, dass wir gerade auf dem Holzweg sind. Es wird unsere Kompetenz auch mal in Frage stellen. Es begegnet uns auf Augenhöhe und hat eine eigene Meinung. Das kann unbequemer sein und erfordert die Fähigkeit zur Selbstreflexion. Ein selbstbewusstes Pferd wird sich auch führen lassen und gern Verantwortung abgeben, aber eben nur dann, wenn es sich fair behandelt fühlt und den Menschen als kompetente Führungspersönlichkeit sieht.
Und was in der Theorie so einfach zu unterscheiden ist, geht in der Praxis natürlich mal wieder fließend ineinander über. Die Frage, wie viel und welche Art von Führungsanspruch ich als Mensch stelle, muss letztlich jeder für sich selbst klären (und mit seinem Pferd). Viele Faktoren spielen da eine Rolle. Nur eins steht für mich fest: wer darauf abzielt, dass das Pferd „klein beigibt“ ist nicht der Trainer MEINER Wahl. Und so lerne ich wieder: nicht überall, wo „pferdegerecht“ drauf steht, ist auch meine Definition von pferdegerecht drin. Und es lohnt sich, Ausbilder mal nach dem „warum“ zu fragen und da auch mal nachzuhaken.