Die Methode der Wahl

Neulich war es wieder so weit. Passiert ja selten, aber da war diese neue Reitschülerin und ich frage sie was ich für sie tun kann und sie fragt zurück was ich denn so unterrichte. Ähhhh…. also…. und dann stammel ich mir was zurecht und weiß nicht was ich sagen soll. Nach der Reitstunde wusste ich, was ich ihr beigebracht habe: wir haben ein gigantisches Missverständnis zwischen ihr und ihrem Pferd entdeckt und aufgelöst. Und das war tatsächlich völlig Methoden-unabhängig. Ach nein, vielleicht auch doch nicht, denn auch da hätte es natürlich wieder viele Wege nach „Rom“ gegeben. Aber immerhin möchte ich behaupten dass in diesem Fall wohl alle Reiter nach Rom gewollt hätten. Denn allzu oft ist man sich ja noch nicht mal einig ob das Ziel, das der andere verfolgt, wohl überhaupt erstrebenswert ist.

Ich bin ein paar mal in meinem Leben in die Falle getappt. Es ist so wunderbar, wenn man glaubt, jemanden gefunden zu haben, der weiß, wie es geht. Der einem das alles erklären kann. Wo man einfach nur hingehen und nachahmen kann. Schön. Bis dann ein Pferd oder eine Situation oder ein Mensch kommt, der einen bummsbatz auf den Boden der Tatsachen zurück holt.

Soooooo viele tolle Methoden. Das gilt für die Hufpflege genauso wie fürs Reiten und die Bodenarbeit. Alle werben damit, wie viele „unheilbare“, „unreitbare“ und sonst wie verdorbene Pferde sie wieder hinbekommen haben. Und flugs folgt die logische, biomechanische, verhaltenstherapeutische oder sonst wie wissenschaftlich total fundierte Erklärung, wieso, weshalb und warum es so – und nicht anders – funktioniert. Und wenn man sich nur diese eine Erklärung anhört, ist die in sich so wunderbar schlüssig, dass man sie nur glauben kann. Ist doch alles logisch!

Und dann trifft man einen anderen Experten, der genauso viele Erfolge mit verkorksten Pferden vorzuweisen hat und eine genauso logische Begründung für seine unfehlbare Methode liefert – allerdings alles genau andersherum macht wie der andere. Oder man trifft einen Experten, der Erfolg ganz anders definiert (und auch das natürlich wieder trefflich begründen kann).

Was habe ich nun gelernt? Eine „logische“ Begründung ist etwas, was ich getrost in der Pfeife rauchen könnte wenn mir meine Lunge nicht zu schade wäre. Zum Glück geben die Pferde uns meist direkte Rückmeldung. Zum Beispiel eben jenes Pferd, das so ein gigantisches Missverständnis mit seiner Reiterin hatte. Nach 10 Minuten fing die Stute an, nicht mehr gegen das Gebiss zu gehen, sondern sich zu entspannen und sich selbst zu tragen. Sie wurde sichtlich zufriedener und die Muskulatur fing an besser zu arbeiten. Das war unübersehbar besser als vorher.

Natürlich ist es nicht immer so eindeutig. Verschiedene Menschen interpretieren Pferdeverhalten auch ganz gern mal gegenteilig und die tatsächliche wissenschaftliche Basis scheint mir an den meisten Stellen dünn – hauchdünn. Wir können uns da ganz bös vertun bei der Frage ob das Pferd gerade entspannt oder unterwürfig, aufmüpfig oder schmerzgeplagt, unverständig oder körperlich verhindert ist. Und das macht alles noch komplizierter. Aber wenn ich mich dann frage, ob ich gerade etwas total falsch mache, dann schaue ich auf meinen alten Merlin. 28 Jahren hat er jetzt auf dem Buckel. Auf unserem letzten Kurs vor 2 Jahren piaffierte er halbwegs anständig und sprang fliegende Wechsel. Und das nicht nur in seinem fortgeschrittenen Alter sondern auch mit einem absolut ungeeigneten Körperbau. Seit 20 Jahren ist er nun bei mir und die Liste an Fehlern die ich gemacht habe, ist lang. Unendlich lang. Merlin hat sie mir anscheinend alle verziehen. Und auch jetzt, wo er wirklich alt wird, nicht mehr gut galoppieren kann und deutlich Muskulatur verliert, arbeitet er dennoch gerne mit und möchte keineswegs aufs Abstellgleis oder Altenteil. Im Gegenteil: Seine Piaffe wird durchaus noch besser. Merlin zu sehen macht mir Mut, dass wir auch Fehlerspielraum haben. Wenn es den nicht gäbe, könnten wir ja auch niemals Kinder erziehen oder Hunde ausbilden. Fehler machen wir immer und sicherlich wählen wir manchmal die „falsche“ Methode für unser Pferd. Aber so lange wir liebevoll bleiben und hinschauen, ob unser Pferd Freude hat am gemeinsamen Tun, können wir wohl ganz entspannt ausprobieren, was zu uns und unserem Pferd passt. Und lernen, lernen, lernen.

Die Auswahl ist groß. Viele Wege führen nach Rom und wer da nicht hin will kann auch Wege finden, die woanders hin führen. Nur die „biomechanische“ und streng logische Begründung, die darf meines Erachtens mit Skepsis betrachtet werden. Denn wie auch immer sie lautet: ihr werdet jemanden finden, der gegenteilig argumentiert und auch tolle Erfolge vorweisen kann. Ich bin sicher, dass es für jeden Menschen und jedes Pferd da draußen irgendwo die richtige Herangehensweise gibt. Und ich bin auch sicher, dass es Sinn macht, sich erst mal an einer Methode zu orientieren und nicht ständig hin und her zu springen. Aber die Akzeptanz der Tatsache, dass es nicht nur den einen Weg zum Erfolg gibt und dass es noch nicht mal nur die eine Definition von der Erfolg gibt – diese Akzeptanz gilt es jeden Tag zu üben. Und wenn wir dann Lust haben, mal einen anderen Weg zu probieren, dann mache ich immer wieder die Erfahrung, dass die Pferde damit weniger Probleme haben als die Menschen. Und oft bedeutet ein Wechsel der Methode ja auch, dass man vorher nicht ganz zufrieden war (sonst wäre man ja dabei geblieben) und dass die neue Methode besser passt als die alte, also verbessert sich meistens was fürs Pferd.

Die Menschen, die ich unterrichten und begleiten darf, wollen in der Regel einfach Freude haben mit ihrem Pferd. Dass dabei die Gesunderhaltung des Partners Pferd wichtig ist, stellt in meinem Kundenkreis niemand in Frage. Und so habe ich den Luxus, mit jedem ein bisschen anders arbeiten zu können. Dabei breche ich ganz sicher immer mal mit der bisher gelernten Methode, aber man muss nicht alles gleich auf den Kopf stellen. Das habe ich selbst oft genug getan um zu wissen, dass es unnötig Kraft kostet. Man kann sich auch Schritt für Schritt heranarbeiten an eine Methode die für dieses Pferd-Mensch-Paar gut passt.

Richtig reiten lernen ist übrigens in keiner Reitweise leicht – geschenkt gibt es da nix. Und es scheitert sehr viel öfter an körperlicher Fitness und Beweglichkeit der Reiter als am Unverständnis oder der „falschen“ Methode.

Mein Merlin kann ein Lied singen davon wie es ist, 20 Jahre mit einem Menschen zu verbringen, der gern mal alles in Frage stellt und immer neue Ideen mitbringt. Aber ich glaube ich kann auch mit Fug und Recht behaupten, dass ich mich in diesen 20 Jahren verbessert habe und damit Merlins Leben erleichtert und bereichert habe. Und ich glaube, dass ist der Grund, warum er immer noch so gern mitmacht und immer bereit ist, etwas neues zu probieren, auch noch im fortgeschrittenen Alter. Ich bin sicher, dass Merlin weiß, dass ich mich immer bemühe, die Dinge zu verbessern und ich glaube, darauf kommt es an – Methode hin oder her.

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