Duncan und ich kommen aus der Stalltür. Duncan stutzt: auf dem Hof steht ein Wäscheständer über den ich Diegos frisch gewaschene Zebra-Fliegendecke gehängt habe. Alles glitzert etwas im Sonnenlicht. Duncan findet das gruselig. Wir gehen gemeinsam zur Decke, er hält die Nase dran und versteht, was das ist. Und dass es natürlich nicht gruselig ist.
Je mehr solche Situationen wir erleben, desto mehr kuriose Dinge hat Duncan gesehen, desto gelassener geht er mit Dingen um, die er noch nie gesehen hat. Gerade im Moment kann ich das stark wahrnehmen. Wenn wir so durch die Gegend wandern, kommen wir an allerhand Dingen vorbei, die in mir den Gedanken auslösen, dass er das gruselig finden könnte. Ein Umspannwerk war es neulich. Aber mehr und mehr sehe ich, wie er nur noch interessiert hinschaut, aber keine Sorgen mehr hat. Und so haben auch die seltsamen Gebilde dort ihn nicht beeindruckt.
Ich habe gelernt, wie ich ihm Dinge so zeigen kann, dass er sie nicht mehr gruselig findet und er hat gelernt, wie der Ablauf ist und dass er sich auf mich verlassen kann. Jeder hat ja so seine eigene Herangehensweise an Gespenster. Als wir auf dem Trailplatz den Duschvorhang bezwingen wollten, hatten wir ein gut eingespieltes Programm um ihn zu entgruseln. Ich glaube jetzt den Unterschied zwischen Neugierde und echter Angst klar zu sehen (wir werden sehen ob ich da jetzt immer richtig liege).
Natürlich macht Duncan es mir leicht, er hat ja so wenig Angst und so viel Neugierde. Manchmal sind das allerdings auch die Pferde, bei denen man dann plötzlich Probleme hat, wenn sie doch mal Angst haben, weil man das ja gar nicht kennt.
Für mich ist es einfach nur spannend zu beobachten, wie Duncans „Landkarte“ größer wird. Ich stelle mir vor, wie in seinem Gehirn ein immer größer werdender Bereich mit Informationen zu „Gespenstern“ entsteht. Und dann wird abgeglichen: das Dings da was ich noch nie sah, wem sieht das ähnlich? Dieser riesige Trecker mit dem großen Anhänger ist ja doch nur eine großer Version von dem harmlosen Trecker für den es vorhin einen Keks gab. Der Duschvorhang, den man in Streifen geschnitten hat ist so ähnlich wie die Plane über die ich mal rüber gelaufen bin. Als ich auf den Gullideckel getreten bin, machte es „klong“, ganz ähnlich wie beim Laufen über den Holzsteg. Die Dualgasse auf meinem Rücken ist so ähnlich wie die am Pad befestigte Jacke.
Vor langer Zeit habe ich mal im Radio ein Gespräch gehört in dem eine Dame gefragt wurde „was ist schön daran, 40 zu sein“ und die Antwort war „man regt sich nicht mehr über alles so auf“. Ich hatte damals noch ein paar Jahre hin zur 40 und dachte „ach ja das wäre gut“. Früher, wenn mein Auto mal kaputt war, da ging für mich schon fast die Welt unter. Heute kenne ich den Ablauf und weiß: irgendwas geht ja immer. Und ich weiß auch von vornherein: das wird teuer, wird es bei Autos nämlich immer. Da braucht man gar nicht auf was anderes hoffen. Früher, wenn Kunden komische Sachen gemacht oder gesagt haben, fand ich das unendlich schrecklich und es hat mich oft tagelang beschäftigt. Heute erzähle ich Arnulf davon und dann kann ich es abhaken. Früher, wenn ich mit meinem Pony auf ein Problem gestoßen bin, das ich nicht gleich lösen konnte, habe ich mir den Kopf zerbrochen was zu tun ist. Heute bin ich da entspannter, es gibt so viele Möglichkeiten und Dinge die man probieren kann. Und so viele Trainer, die tolle Sachen dazu zu sagen haben wenn man es allein nicht schafft. Irgendwas geht eben immer.
Und obwohl Duncan von der 40 noch ein paar Jahre entfernt ist (selbst wenn man es auf Pferdejahre umrechnen würde), ist er doch klar auf dem Weg zu dieser Gelassenheit durch Lebenserfahrung. Meistens ist es nicht so schlimm wie es am Anfang aussieht. Wenn eine Übung beim ersten Mal nicht klappt, dann vielleicht beim zweiten Mal. Nicht schlimm. Wenn es beim zweiten Mal nicht klappt, dann eben beim dritten Mal. Oder beim vierten Mal. Man muss sich darüber nicht aufregen und verzweifeln, man kann sich da so durch-probieren. Und auch wenn man jetzt gerade keinen Keks bekommt, muss man dem nicht endlos nachweinen. Einfach in ein paar Minuten nochmal fragen. Inzwischen ist es aber auch so, dass ich ihm den Keks geben kann für „es ist toll dass Du es so tapfer weiter probierst“ und er versteht, dass das eine reiner Motivationskeks war und er bisher gar nichts „richtig“ gemacht hat.
Ach, was für ein wunderbar gelassenes, erwachsenes Pony. Fragt mich wieder, wenn der nächste Pubertätsschub kommt…..
Lebenserfahrung wächst nicht durch die Wiederholung des ewig gleichen. Sie wächst durch Varianten, durch Ähnliches, Vergleichbares. Duncan ist da im Vorteil, denn wir fahren fast jede Woche mit dem Anhänger los in fremdes Gelände, sind mal hier und mal dort, mal im Wald oder durch die Felder unterwegs. Alles ist ähnlich aber nie gleich. Und genau so versuche ich auch unser anderes Programm zu gestalten. Wir wippen mal längs und mal quer. Manchmal üben wir das Füße sortieren am Steg, manchmal mit Dualgassen. Roundpen, Halle, Reitplatz und neuerdings unser Sommerreitplatz, auf dem wieder alles erstaunlich anders ist. Ich gebe mir Mühe, einen stabilen Rahmen zu erschaffen, innerhalb dessen wir dann erkunden, wie viele Varianten dessen, was wir da tun, es eigentlich geben könnte. Und so weiß ich auch schon, wie wir das Zusammensein mit fremden Pferden in Varianten üben werden, sobald meine Zeit und Energie es zulässt. Mir sind schon so viele Möglichkeiten dazu eingefallen und alle zusammen werden der Schlüssel zum Erfolg sein.
Ich glaube, dass wir darüber viel zu wenig sprechen im Pferdetraining. Da ist immerzu die Rede von kleinen Schritten und von klaren Regeln und von Verlässlichkeit – und das ist alles total richtig und wichtig. Aber wenn wir keine Varianten finden und üben, wird nichts davon echte Lebenserfahrung werden. Es werden immer nur Übungen und Lektionen bleiben, losgelöst in Raum und Zeit und ohne Bezug zum echten Leben. Mit Finlay war ich mir so sicher, hatte so feste Pläne und Ziele. Mit Duncan erkunde ich die Möglichkeiten und ich sehe, wie seine Persönlichkeit sich viel leichter und schneller entwickelt. Kann am Pony liegen. Oder halt am Konzept. Wahrscheinlich an beidem. Fest steht: Lebenserfahrung gibt es nicht zu kaufen, man kann sie niemandem überstülpen oder aufzwingen. Lebenserfahrung muss gesammelt werden – und zwar von jedem selbst, auch von kleinen Ponys.