Zwei Jahre

Zwei Jahre ist es jetzt her, dass mein Finlay gestorben ist.

Diesen Text habe ich schon mindestens 3 mal angefangen. Ich habe über meine beiden besten Ponys geschrieben, ich habe über die Wochen vor Finlays zweitem Todestag geschrieben, ich habe darüber geschrieben, dass Finlay in den Hintergrund rückt und dass das einerseits mein Leben leichter macht und andererseits wieder neue Trauer auslöst. Ich wollte Euch schreiben, wie es mir geht, heute, an diesem Tag und hier und jetzt in meinem neuen Leben, das vor zwei Jahren anfing. Aber es ist sehr schwer in Worte zu fassen, wie es mir geht. Es ist ja nicht nur mein Pony gestorben. Mein Leben war davor schon ein bisschen durcheinander gepurzelt und dann kam dieser schreckliche Unfall, diese Absurdität und Gemeinheit des Lebens, diese Unerklärlichkeit. Mein Pony war 8 Jahre alt und quicklebendig – und dann war es plötzlich tot. Im Gegensatz zu meinem alten Hund, der nun seit gut einem Jahr tot ist und der mich ohne Trauma und sogar fast ohne Trauer mit so vielen guten Erinnerungen und Gefühlen zurückgelassen hat, hat Finlays Tod mein Leben auf den Kopf gestellt, meine Glaubenssysteme erschüttert und eine Million Fragen aufgeworfen, die mir niemand beantworten kann. Ich bin manchmal ein bisschen neidisch auf all jene, die eine feste Vorstellung davon haben, wie Leben funktioniert oder die einen Glauben haben an eine höhere Macht, an einen Sinn, einen Plan oder so etwas. Manchmal habe ich versucht, so etwas zu glauben, aber es fühlte sich nie richtig an. Und wann immer ich meine Fragen formuliert habe, konnte mir niemand eine zufriedenstellende Antwort geben.

Ich habe gelernt, damit zu leben. So wie ich gelernt habe, mit all den unformulierbaren Zuständen und Gefühlen zu leben, die dieser Todestag in mir auslöst. Ambiguitätstoleranz heißt das, hab ich im Trauerpodcast gelernt. Die Fähigkeit, sich scheinbar widersprechende Gefühle nebeneinander und gleichzeitig auszuhalten.

Und als die Erdbeerverkäuferin mich heute gefragt hat, was sie mir Gutes tun kann, da habe ich kurz überlegt, ob ich sie bitte, die Zeit zwei Jahre zurück zu drehen. Den Unfall verhindern und weiter leben mit meinem Finlay. Aber auch da ist die Ambiguität, denn dann hätte ich meinen geliebten Finlay wieder, aber ich hätte nicht Duncan hier, jenen kleinen, ganz anderen Glücksgenerator, dieses wunderbare Pony das ich jeden Tag mehr liebe und den ich nie, nie wieder hergeben mag (es sei denn er ist uralt und steif und müde und hat sein Leben gelebt, so wie mein Hund letztes Jahr…..)

Letztes Jahr zu dieser Zeit hatte ich für mich selbst beschlossen, mir noch ein Jahr Zeit zu geben. Noch ein weiteres Jahr zu akzeptieren, dass ich im Ausnahmezustand bin. Ich hatte gerade eine Trauma- Therapie angefangen und gemerkt, wie sehr ich noch immer neben der Spur war. Es tat mir gut, für mich selbst diesen Entschluss zu fassen: ein weiteres Jahr in dem ich nicht erwarte, dass ich so zurecht komme wie vorher. Das hat mir den Druck genommen. Und Anfang diesen Jahres fing es an, deutlich besser zu werden. An den allermeisten Tagen bin ich normal, zufrieden und glücklich mit der Situation wie sie jetzt ist. Duncan ist das neue Normal geworden. Dass Finlay nicht mehr hier ist, ist das neue Normal geworden. Und das neue Normal ist auch gut.

In den letzten Wochen, wo dieser Tag mir so bevorgestanden hat, sind viele Erinnerungen hoch gekommen und ich habe viele alte Texte gelesen. Ich sehe: meine Vorstellung davon, wie Duncan ist und wie es mit Duncan ist, war weit entfernt von der Realität. Duncan ist ganz, ganz anders. Und ich habe gelernt, ihn so zu lieben wie er ist. Seine Macken sind nicht besser oder schlechter als die von Finlay, nur anders. In so vielen Punkten ist Duncan das Gegenteil von Finlay. Manchmal, wenn mein kleiner Hengst mit seinen überbordenden Gefühlen, seiner extrovertierten Art, seiner schier endlosen Energie und seinem beständigen Hunger nach Abenteuer mich an meine Grenzen bringt, dann denke ich an meinen Bummelanten. Meinen verträumten Finlay, immer gemütlich unterwegs. Nie eilig, nie zu viel Energie. Und ich trauere der Entspannung nach, die er so sehr in sich trug.

Manchmal ist es aber auch umgekehrt. Mit Finlay unterwegs zu sein bedeutete, immer hinter den anderen her zu dackeln. Immer das langsamste Team zu sein. Mit Finlay zu arbeiten bedeutete immer, ihn dazu zu motivieren, sich zu bewegen und sich anzustrengen. Ich fühlte mich immer wie ein personal trainer. Das ist mit Duncan nicht so. Duncan ist ja eher mein personal trainer.

Jetzt, in diesem pubertären Jahr, in dem Duncan sich (erwartungsgemäß) sehr verändert, das Jahr in dem ich mir nie sicher sein kann, welche Laune mein Pony hat – in diesem Jahr trauere ich vor allem all dem hinterher, was ich mit Finlay schon erreicht hatte. 8 Jahre. Und mein Pony war so richtig schön erwachsen und verlässlich. Er ruhte in sich – davon kann bei Duncan häufig noch keine Rede sein und das ist ja auch normal. Kinder wachsen nicht schneller wenn man dran zieht und auch so eine Pubertät dauert eben so lange sie dauert. Mir bleibt nur zu hoffen, dass am anderen Ende das wunderbare Pony herauskommt das ich in Duncan sehe und dass dieses Pony mir viele Jahre erhalten bleibt.

Trauer vergeht nicht, aber sie verändert sich. Das riesengroße Loch, das Finlay in meinem Alltag hinterlassen hat, füllt Duncan gut aus: er hält mich auf Trab. Er lässt nicht zu, dass ich Leere fühle und das hilft mir. Und weiterhin, immer wieder, bin ich enorm dankbar, dass er so anders ist als mein Finlay. Dass vergleichen gar nicht möglich ist. Dass auch hier einiges anders ist als zu der Zeit als Finlay so alt war wie Duncan jetzt.

Heute werde ich Duncan mitnehmen auf den Spaziergang. Wir werden gemeinsam in die Nähe der Stelle gehen, an der mein Finlay sich tödlich verletzt hat. Die letzten Meter aber gehe ich allein, denn kein Pferd wird mit mir zusammen jemals wieder dort hin gehen. Rational ist das nicht logisch. Aber ich glaube, Ihr könnt das verstehen. Ich werde – wie letztes Jahr – ein kleines Geschenk für Finlay mit haben, einen Strauß von Gräsern und ein paar Möhren. Irgendein Tier wird sich daran erfreuen, das ist ok. Für mich ist diese Stelle so etwas wie Finlays Grab, obwohl es das natürlich nicht wirklich ist. Ich gehe nie dort hin, nur an seinem Todestag. Und ich denke daran, wie dankbar ich ihm bin, dass er andere vor Schaden bewahrt hat. Auch als er selbst tödlich verletzt war, hat er auf uns Menschen noch aufgepasst. Noch in seiner letzten Stunde war er mein großer grauer Held.

Ich bin dankbar, dass es keine Wahl gab. Ich musste keine schreckliche Entscheidung treffen, die ich im Nachhinein hätte anzweifeln können. Und ich bin dankbar für alles, was er mich gelehrt hat.

Ich liebe Dich für immer, mein wunderbarer Finlay

Finlay hat mich gelehrt, dass das Leben nicht so läuft, wie wir es erwarten – schon zu Lebzeiten hat er stets und ständig alles in Frage gestellt was ich zu wissen, zu können und zu wollen glaubte. Und sein Tod hat meine Sicht auf das Leben nachhaltig verändert.

Im letzten Jahr gab es für mich viele Tage an denen mein Leben „normal“ war. Viele Tage ohne übertriebene Angst, viele unbeschwert fröhliche Tage voller Zukunftspläne und Vorfreude. Dann, in den letzten Wochen, ist ein bisschen von dem Horror zurückgekehrt der mich das ganze erste Jahr nach Finlays Tod begleitet hat. Die Erinnerungen lassen die Angst zurückkehren. Aber ich weiß: wenn der Todestag geschafft ist wird das wieder besser. Finlay wird dann ein Stück weiter in den Hintergrund rücken und das ist gut so. Ich werde mich wieder mehr mit dem auseinandersetzen was hoffentlich kommt als mit dem was war. Morgen kann alles anders sein, aber darüber endlos nachzugrübeln macht das heute dann auch nicht besser….

So gehe ich dann jetzt ins dritte Jahr. Und genau wie letztes Jahr frage ich mich, wie es wohl nächstes Jahr sein wird. Wie wird Duncan dann sein, was werden wir erleben, über welche Stolpersteine werden wir fallen, uns die Nasen stoßen, wieder aufstehen und die Rüstung zurechtrücken und wie sehr werden wir zusammenwachsen und zusammen wachsen? So lange er nur bei mir bleibt, werden wir Wege finden, zusammen glücklich zu sein, da bin ich mir sicher.

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6 Kommentare

  1. Trauer ist wie die Angst kein negatives Gefühl, auch wenn es wie die Angst schmerzt. Ich kann dich gut verstehen und deine Gefühle nachvollziehen. Dein Verlust ist nicht auszugleichen und Worte des Trostes greifen nicht wirklich. Und wer jetzt vom glücklichen Tierhimmel anfängt zu palavern, der hat nix verstanden. Ich send dir ein wenig von meiner Kraft, ein wenig von meiner Zuversicht und ein wenig von meiner Liebe. Mehr kann ich nicht für dich tun. Mach was draus ❤

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  2. Der 22.06. seit 2 Jahren erinnerst du mich lieber Finlay jeden Tag an mein Dumdidum. Unvergessen bist Du und deine wundervolle Besitzerin, ihr seid beide ganz tief in meinem Herzen. ❤
    Ich wünschte, ich könnte alles ungeschehen machen.

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  3. dein text bewegt mich sehr!
    ich kann deine trauer so sehr gut nachvollziehen; auch wenn ich noch nie ein Pony hatte…(nur Hunde).
    darf ich fragen, ob du je irgendwo beschrieben hast, was finlay passiert ist?

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    1. Klar darfst Du fragen. Nein ich habe es nirgendwo geschrieben und werde das auch nicht tun. Zum einen möchte ich es nicht erklären müssen, denn dafür müsste ich die Erinnerungen im Detail wecken und danach womöglich noch Reaktionen und Kommentare aushalten die wiederum Erinnerungen wecken. Das ist nicht hilfreich. In der Therapie habe ich das deutlich erfahren: meine Therapeutin weiß bis heute nicht was passiert ist und konnte mir trotzdem wunderbar helfen. „Drüber reden“ ist nicht immer der richtige Weg.
      Zum anderen möchte ich niemandem die Bilder im Kopf antun. Es gibt Unfälle, die passieren obwohl niemand etwas falsch gemacht hat. Man kann nichts daraus lernen und man kann sie nicht verhindern. Und ich finde, Menschen Angst zu machen vor Situationen die eigentlich völlig ungefährlich sind ist nicht fair. Einmal in hundert Jahren passiert so etwas, hat mein Tierarzt damals gesagt. Es macht also gar keinen Sinn, darüber zu reden und fällt unter die Kategorie „auf dem Klo vom Blitz getroffen“ (wobei ich gar nicht weiß wie oft das passiert, vielleicht eher „vom Meteorit erschlagen“).

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      1. danke für deine auskunft.
        ich fragte eigentlich nur, weil ich selbst ja hier noch nicht sooo lange dabei bin; aber ich konnte mir – nach deinem beitrag – schon vorstellen, dass du das nicht (niemals) schreiben könntest….
        danke dass mir trotzdem so ausführlich geantwortet hast!

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  4. Es ist wie es ist und es ist schwer genug. Ich bin dann mal wieder weg. Dir geht es besser und das ist die Hauptsache. Ich schwing mich dann wieder zurück auf meinen Gedichteblog. Wenns Probleme gibt, bin ich da für dich .. Alles Gute, PP (Prinz Prospero, der leise Rächer)

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