Neulich habe eine Einladung ausgeschlagen. Man hatte mich eingeladen, kostenlos an einem Seminar teilzunehmen, das normalerweise viel Geld kostet. Und dann war man ziemlich schockiert, dass ich diese Einladung ausgeschlagen habe. „Jomo“ nennt sich das, habe ich gelernt. „Jomo“ ist das Gegenteil von „Fomo“. Wobei ich glaube ich beide Begriffe hier etwas neben dem eigentlichen Gebrauch verwende. „Fomo“ ist „Fear of missing out“, die Angst, etwas zu verpassen. Wenn das Handy aus ist zum Beispiel. „Jomo“ ist das Gegenteil „Joy of missing out“. Und dieser Begriff gefällt mir so gut, dass ich ihn für mich selbst als Entscheidungshilfe verwende in genau solchen Momenten. Ich verpasse – ganz bewusst – eine Gelegenheit und freue mich daran. Eine Gelegenheit, die mir als „Chance“ verkauft wird, die man auf keinen Fall verpassen darf. Doch doch, ich darf. Denn das Seminar ist natürlich nicht ganz kostenlos – es kostet mich Lebenszeit. Worum ging es? Ein Seminar über Führungskräftetraining mit Pferden. Wovon ich sowieso nicht sehr viel halte. Da könnte ich eine lange Abhandlung drüber schreiben aber ich erspare uns das. Das Video, mit dem diese Veranstaltung beworben wurde, war in den kurzen Szenen, in denen Pferde gezeigt wurden, voller „cheap tricks“. Diese „billigen Tricks“ sind die Dinge, die jeder, der einigermaßen über Lernverhalten Bescheid weiß und ein halbwegs gutes Timing hat, seinem Pferd problemlos in kürzester Zeit beibringen kann. Komischerweise sind das immer noch die Tricks, mit denen man anscheinend unendlich viele Leute beeindrucken kann. Wenn das Pferd rückwärts auf einen zu kommt. Oder ohne Seil um einen herum läuft. Spanischen Schritt zeigt oder steigt. Oder oder oder.
Das Video veranlasste mich, darüber nachzudenken, was die schwierigsten Dinge sind, die Duncan kann. Die, die mich am meisten Gehirnschmalz, Aufmerksamkeit und Fehlversuche kosten. Und da fiel mir ein: Fressen aus der Schüssel. Jawohl. Fressen aus der Schüssel ohne mit dem Fuß darin herum zu dengeln. DAS ist unsere Meisterübung im Moment. Daran arbeiten wir am längsten, am intensivsten und ich denke darüber am meisten nach, probiere am meisten aus. Spektakulär, oder?
Noch etwas anderes spektakuläres hat Duncan neulich geschafft: Wir waren auf dem Reitplatz und mit uns war dort auch sein Spaziergehkumpel, der an der Longe herum galoppierte und Arnulf mit Diego, die mit der großen Fahne spielten. Trotzdem konnte Duncan sich total auf mich konzentrieren und wir konnten etwas neues üben. DAS war spektakulär in meinen Augen. Wie er immer mal zu den anderen kurz rüber geschaut hat und sich dann ganz selbstverständlich wieder mir zugewendet hat um weiter zu machen.
Und natürlich auch: Wir verladen Duncan und seinen Spaziergehkumpel, fahren in fremdes Gelände, gehen dort spazieren und fahren wieder nach hause. Auch das finde ich jedes Mal wieder spektakulär. Weil es so unspektakulär ruhig und entspannt abläuft. So selbstverständlich und weil die Ponys sich wirklich immer freuen wenn es los geht.
Anstatt mir ein Seminar anzutun mit einem Herrn der – so ist aus dem Video ersichtlich – unglaublich von sich überzeugt ist und vermutlich seine Pferde hauptsächlich nutzt um sein Ego zu polieren, habe ich dann lieber Zeit mit meinen Ponys verbracht. Und unspektakuläre Dinge gemacht, die für mich so wertvoll sind. Jomo!
Jeder kann ja mit seinem Pferd machen was er will. Die billigen Tricks schaden den Pferden meistens nicht. Was ich ärgerlich finde ist, dass so viele Menschen – auch Pferdemenschen – sich davon blenden lassen. Sie glauben, weil sie so etwas sehen, DAS sei ein richtig guter Pferdetrainer. Aber billige Tricks sind kein Beweis dafür dass jemand ein guter Pferdetrainer ist. Und die billigen Tricks zu lernen macht auch keine besseren Pferdemenschen aus uns. Und deswegen finde ich nichts spektakulär daran.
Spektakulär war für mich zum Beispiel der Besuch bei der Pferdewaage. Dass mein kleines Hengstchen sich in Anwesenheit so vieler fremder Pferde so gut benehmen konnte, war für mich ein Hit. Und dass er auch dann, als ich nachher ziemlich groggy war, zwar etwas nervig, aber nicht doof wurde, das rechne ich ihm hoch an.
Noch ein Stück spektakulärer fand ich zum Beispiel die Begegnung mit dem Trecker an diesem Tag. Es kam von hinten ein gigantischer Trecker mit monströsem Anhänger. Duncan hat sich diesmal dann doch erschreckt, wahrscheinlich einfach weil die Grundspannung so hoch war. Springt neben mir in die Luft, will nach vorne, fühlt das Halfter und stoppt, obwohl der Trecker noch neben uns ist. DAS sind für mich spektakuläre Momente. Sich NICHT erschrecken ist nämlich das eine, aber im Moment des Erschreckens MICH noch wahr- und ernst nehmen, auf mich achten und sich dann in letzter Konsequenz darauf einlassen, dass ich sage es ist ok und nicht gefährlich, DAS ist spektakulär.
Und es wird noch spektakulärer. Als ich auf der Tonne stand am Dienstag und mein Pony mir das Einparken fast schon geschenkt hat. Was daran spektakulär war, war nicht das Einparken. Es war die Tatsache, dass er so lang nicht begeistert war von der Idee, dass ich meinen Arm auf seinen Rücken legen könnte. Und dass er jetzt das Zutrauen hat, einzuparken, in der Gewissheit, dass ich nichts tue, was er doof findet. Für mich ein großer Vertrauensbeweis, der von außen völlig unsichtbar ist. Viele Menschen finden es erstaunlich, wenn ein Pferd an der Aufsteigehilfe einparkt. Für mich ist das eine Basis-Übung und ich würde auf mein Pferd gar nicht aufsteigen, so lange es diese Übung nicht beherrscht. Aber die Tatsache, dass er es nicht nur getan hat sondern unglaublich bemüht war, selbst herauszufinden, wie es richtig geht – offensichtlich eben bei den anderen abgeschaut – diese Tatsache lässt mir das Herz in der Brust hüpfen. Er WOLLTE da einparken obwohl er weiß, dass ich dann theoretisch aufsteigen könnte (was er schrecklich finden würde, da bin ich überzeugt).
Gleichzeitig ist das für mich auch noch auf anderer Ebene spektakulär. Denn offensichtlich hat der das Verhalten bei den anderen gesehen und dann für nachahmenswert empfunden. Was heißt das? Dass die anderen Ponys ausstrahlen, dass es gut ist, wenn der Mensch aufsteigt. Es ist nicht „oje, jetzt muss ich arbeiten“. Denn wenn sie das ausstrahlen würden und er das beobachtet, würde er es nicht freiwillig versuchen. Behaupte ich mal so.
Ach, mein Ritter hat mir schon so viele erstaunliche, wundervolle, spektakuläre Momente geschenkt. Die meisten davon hätte ein Außenstehender nicht als solche erkennen können. Aber wir haben sie erlebt, Duncan und ich, und darum geht’s.