Mein junges Pferd

Da sind wir nun also: mitten in dem Lebensjahr, das mit Finlay das schwierigste war. Zwischen 2,5 und 3,5 Jahren war es mit Finlay wirklich kompliziert. Das entsprechende Kapitel in meinem (immer noch unveröffentlichten) Buch heißt „Ein böser Traum“. Allerdings beinhaltet dieser Titel auch, wie ich diese Zeit im Rückblick empfunden habe, nämlich so, wie man einen bösen Traum empfindet: ziemlich unwichtig. Ja, vielleicht ist man wie gerädert aufgewacht und hat noch ein paar Stunden länger gebraucht um wieder im richtigen Leben anzukommen. Aber es war eben nur ein Traum und das was das Gehirn einem da vorgegaukelt hat, ist nicht wirklich passiert. Und so ging es mir mit Finlays „Pubertät“ im Rückblick. Er war dann ja „erwachsen“ (natürlich war er mit 3,5 Jahren nicht wirklich erwachsen. Aber er war weitgehend zuverlässig, ruhte in sich, war mit dem Wachsen aus dem Gröbsten raus, hatte keine fiesen Stimmungsschwankungen mehr und unsere Beziehung war stabil.)

Und nun stehe ich also wieder da. Jeden Tag ist Duncan anders. Er sieht auch ständig anders aus. Mal ist alles ganz harmonisch, dann wieder hat er einen Karpfenrücken, drückt die Wirbelsäule nach oben raus, wackelt beim Gehen ganz gruselig mit dem Hintern und sieht insgesamt aus als würde ich ihn nie füttern. Drei Tage später schafft er es aber wieder, ganz gut bemuskelt auszusehen für sein Alter. So ist das mit den Teenagern nun mal.

Von der Laune ganz zu schweigen, denn die wechselt quasi im Stundentakt. Von friedlich und kuschelig zu aggressiv-genervt ist es nur ein klitzekleiner Schritt. Er hat aber auch wirklich bös mit sich selbst zu tun. Wenn ich ihm einen Keks gebe, dann schiebt er den harten Brocken im Maul von rechts nach links und von vorne nach hinten, teilweise schäumt er auch ordentlich beim Fressen. Anscheinend brechen hinten gerade die neuen Backenzähne durch und das ist eben einfach kein großer Spaß.

Ich merke, wie ich durch die Finlay-Erfahrung mit mehr Zuversicht an die Sache ran gehe. Gleichzeitig bin ich oft genervt, denn mit Finlay war ich da ja nun durch gegangen und Finlay war mit seinen 8 Jahren gerade so richtig erwachsen, als er dann starb. Jetzt fange ich von vorne an und ich weiß zwar: das geht vorbei. Aber ich weiß auch: da müssen wir durch. Es gibt nun mal nichts, was man dagegen tun könnte. Das Pony muss ja wachsen und Zähne wechseln bzw bekommen, da beißt die berühmte Maus keinen Faden ab. Und auch für noch so tapfere Ritter ist das kein Vergnügen, da kann die Laune schon mal schnell im Keller sein. Und darunter leidet dann nicht nur Duncan, sondern auch ich und ganz besonders die Herde. Die großen Ponys sind manchmal doch ziemlich entnervt, wenn Duncan so von einem zum anderen wandert und sie alle ärgern möchte, aber keine Lust auf ein richtiges, schönes Spiel hat. Zum Glück sind da 4 erwachsene Jungs, die es mit Gelassenheit ertragen aber zur Not auch eine klare Grenze setzen für den kleinen Rotzlöffel. Sie teilen sich die Arbeit sehr schön untereinander, so dass keiner übermäßig genervt wird.

Und ich denke derweil über junge Pferde nach. Ich war immer ein großer Fan davon, dass Pferdebesitzer, die schon ein bisschen Erfahrung haben, sich ein junges Pferd kaufen und mit Hilfe eines Trainers selbst ausbilden. Nun, da ich diesen Weg ein paar Mal mit Schülern und ihren Pferden gegangen bin, bin ich zunehmend weniger überzeugt davon. Es gibt im Großen und Ganzen zwei Optionen. Option 1 (ich werde oft gefragt warum ich es nicht so mache): man stellt das junge Pferd auf eine Aufzuchtweide und „lässt es in Ruhe“. Das wird dann oft beschrieben mit den blumigen Worten „ich lasse mein Pferd Pferd sein“ (sehr großzügig. Aber ein Pferd bleibt sowieso immer ein Pferd, völlig egal was wir tun). Was dabei de facto in fast allen Fällen herauskommt: der Jungspund steht mit anderen Jungspunden zusammen – mit viel Glück ist EIN erwachsenes Pferd dabei, dass dann den „Erzieher“ machen soll. Je nachdem um was für ein Pferd es sich handelt, wird es sich relativ wenig um die nervigen Teenager kümmern, während die Teenager aufeinander losgehen, schlecht gelaunt und rüpelig wie sie nun mal sind. Es gilt das Recht des Stärkeren und mangels Altersunterschied gibt es keine gesunde Herdenstruktur. Klar, die spielen auch viel. Nur dass es eben oft nicht so schön ist, wie es auf den ersten Blick aussieht. Denn auch harmonisches Spiel will gelernt sein und dafür braucht es Vorbilder und auch mal einen ordnenden Eingriff.

Der Mensch lässt sich kaum blicken und wenn er dann mal auftaucht, dann will er blöde Sachen, die das junge Pferd nicht gut kann: Hufe geben, Wurmkur rein drücken oder impfen. Das Pferd lernt schnell: Menschen wollen immer nur komischen Kram und den Rest der Zeit kommt man gut ohne sie klar. Umweltreize, mit denen es später sein Leben lang zu tun haben wird – vom Straßenverkehr bis zum Stallkater – sind in der Regel nicht da.

Natürlich gibt es wunderbare Jungpferdeaufzuchten, die total durchdacht sind, nur eben nicht so furchtbar viele.

Dann kommt dazu, dass – gerade hier in Norddeutschland – die Jungpferde in der Regel auf der Weide stehen. Und das ist nicht so toll wie es sich anhört, denn die Weiden hierzulande sind weich und das ist ein großes Problem. Ein Pferd das im Wachstum fast ausschließlich auf weichem Boden steht, wird sich nicht gut entwickeln. Die Knochen, Sehnen, Hufe und Bänder brauchen festen Boden um stabil zu werden. Das viel gepriesene Spielen und Rennen ist zwar auch wichtig, ersetzt aber eben den festen Boden nicht. Und so haben wir dann, wenn wir das Pferd zum Anreiten zu uns holen, ein „weiches“ Pferd. Und dann mag es wahr sein, dass dieses Pferd sofort Schaden nimmt, wenn man es etwas zu früh etwas zu stark belastet. Studien belegen, dass nicht so sehr das Alter des Pferdes beim Anreiten darüber entscheidet, ob es Schaden nimmt, sondern viel mehr die Art der Aufzucht und die Frage, ob mit dem Anreiten das Einsperren in eine Box einhergeht oder nicht.

Die Alternative zu dieser Art der Jungpferdeaufzucht ist das was ich mache: man nimmt das junge Pferd in eine ganz normale, altersgemischte Gruppe. Natürlich ist es wichtig, dass dort Pferde sind, die gern spielen, das Alter ist dabei aber egal. Gerade Wallache spielen oft bis ins hohe Alter sehr gern. Der Jungspund lernt dabei auch, mit jedem Pferd so zu spielen, dass es harmonisch bleibt – und das ist mit jedem ein bisschen anders. Von den „alten“ kann der Zwerg sich eine Menge abgucken und wird das auch tun. Ich würde also ein Jungpferd nicht zwischen Pferde stellen, die vor allem und jedem Angst haben, die weglaufen, wenn der Mensch mit dem Halfter kommt oder die dem Menschen gegenüber drängelig, rüpelig und unaufmerksam sind.

Und dann finde ich es schon angebracht, so einem jungen Pferd in altersgerechten Schritten zu zeigen, wie die Menschenwelt funktioniert. Denn das wird nun einmal die Welt sein in der es den Rest seines Lebens verbringt. Warum um Himmels Willen soll ich meinem Jungpferd weismachen, das Leben würde aus einer Weide mit Kumpels bestehen, wenn ich in Wirklichkeit später mit dem Tier ausreiten oder auf Turnier gehen möchte? Unseren Kindern erzählen wir doch auch nicht, der Spielplatz wäre die ganze Welt. Junge Pferde sind – wie alle jungen Tiere – darauf ausgelegt, schnell viel zu lernen. Als „Nestflüchter“ stehen sie (im wahrsten Sinne des Wortes) schnell auf eigenen Beinen und müssen dann lernen, wie die Welt funktioniert. Sie sind begierig auf Neues – mehr als sie es in jeder anderen Phase ihres Lebens je wieder sein werden. Und ich finde es schade, diese Zeit ungenutzt verstreichen zu lassen.

Aber jetzt kommt der Haken und der Punkt, der mich so nachdenklich macht. Ich habe in den letzten Jahren beobachtet, dass die meisten Pferdebesitzer, auch die schon etwas erfahreneren, eben doch überfordert sind mit der Ausbildung eines Jungpferdes. Denn gerade die Phase, in der Duncan jetzt ist – zwischen 2,5 und 3,5 Jahren – ist eine wirklich schwierige Phase. Woher weiß man, wie viel man verlangen kann, wenn das Pferd jeden Tag anders ist? Woher weiß man, ob der jetzt gerade einfach mal was ausprobiert oder ein körperliches Problem hat? Woher weiß man, wie viel man dem zumuten kann? Ganz zu schweigen von Klarheit, Beständigkeit und Timing bei denen so ein junges Pferd viel weniger Fehler verzeiht als ein schon erwachsenes, etwas abgeklärtes Modell. Letztendlich habe ich viele Pferd-Mensch-Paare gesehen, die große Schwierigkeiten hatten. Manchmal zu große. Manche sind dann auf einem niedrigen Ausbildungsniveau hängen geblieben, weil die Basis nie so recht stabil wurde. Das erwartete große Glück mit dem selbst ausgebildeten Zausel blieb aus. Und das, was ein junges Pferd in der Anschaffung weniger kostet, hat mancher dann in Unterricht investiert, um zurecht zu kommen. Das ist mit einmal alle 2 Wochen eben nicht getan, wenn wirklich Probleme da sind. Und ich wage zu behaupten: jedes junge Pferd hat und macht an irgendeinem Punkt Probleme. Und wenn wir es nicht auf eine Wiese „geparkt“ haben, müssen wir damit umgehen. Und wenn wir es auf einer Wiese geparkt haben, müssen wir auch damit umgehen – wenn der Hufschmied oder der Tierarzt kommt. Das ist dann zwar seltener, aber dafür überhaupt nicht witziger und fürs Pferd mehr oder weniger traumatisch.

Den Weg mit dem eigenen Jungpferd zu gehen ist intensiv, lehrreich und kann einen zur Verzweiflung treiben. Es ist nicht die rosarote Blümchenwelt, die wir uns vielleicht vorgestellt haben. Und auch wenn wir alles richtig machen würden (was wir natürlich nie tun): so ein junges Pferd wird immer schwierige Phasen durchmachen. Erwachsen werden ist harte Arbeit, so oder so. Beim einen mehr, beim anderen weniger. Und das steht nicht dran, wenn man den Absetzer oder Jährling kauft. Wie wird der in der Pubertät? Mir ist eine Pferdebesitzerin begegnet, die schon zwei Wallache völlig problemlos großgezogen hatte und dann sehr überrascht war, als ihre junge Stute in die Pubertät kam – und zwar heftig. Die Situation zwischen den beiden war schon reichlich verfahren als ich dazu kam. Letztendlich hatten die beiden Glück: die Pflegebeteiligung hat die Stute gekauft und ist bereit den Weg mit diesem Pferd zu gehen.

Ob ich so ein typischer „Influencer“ sei, der nur schreibt, was gut läuft, wurde ich neulich gefragt. Na ich will mal so sagen: ich liebe mein Pony abgöttisch und ich sehe die Dinge, die gut laufen und habe Herzchen in den Augen. Meistens.

Ich weiß im wesentlichen was ich tue, denn ich arbeite den lieben langen Tag mit Pferden und das seit 20 Jahren. Aber ja, natürlich gibt es auch diese anderen Momente. Und ganz ehrlich: dass die so selten sind, habe ich meiner Erfahrung zu verdanken und der Tatsache, dass ich mit einem Pferdetrainer verheiratet bin und eine wunderbare beste Freundin habe, die mich unterstützt. Ich habe es dem Umstand zu verdanken, dass wir die Ponys am Haus haben und ich viel beobachten kann, ständig im Stall herum wusel und mein Pony mich dabei natürlich auch beobachtet und wir viele ungezwungene Begegnungen haben und uns eben nicht nur zur „Arbeit“ treffen. Aber am allermeisten habe ich unseren erwachsenen Ponys zu verdanken, die nicht nur 90% der Erziehungsarbeit übernehmen, sondern mir durch ihr Verhalten auch genau anzeigen, womit ich rechnen muss und wie ich heute am besten mit Duncan umgehe – oder vielleicht nicht umgehe. Denn es gibt einfach Tage, da geht man sich besser mal aus dem Weg. Dann freue ich mich darauf, dass die Pubertät irgendwann vorbei ist. Wann – das weiß keiner. Aber ich hoffe, dass ich eines Tages, wie bei Finlay, sagen kann: es war nur ein böser Traum.

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