Angst

„Sie sehen gar nicht aus, als hätten Sie Angst“ sagt die Zahnarzthelferin lächelnd zu mir. Ja, ich weiß, und das ist ja auch genau das Problem. Aber ist es überhaupt Angst, die ich da habe? Ich bin nicht mehr so sicher. Was denn das Problem wäre, hat schon mancher Zahnarzt mich freundlich gefragt und meine Antwort ist immer die gleiche: alles, was vibriert. Und natürlich alles, was fiese Geräusche macht. Was übrigens dann auch fast alles einschließt, was bei einer Zahnreinigung stattfindet, die ich deswegen ungleich schlimmer finde als z.B. eine Wurzelbehandlung, bei der von diesen Dingen viel weniger passiert. Nein ich habe keine Angst vor der Spritze und natürlich auch nicht vor meiner Zahnärztin. Ich weiß ja, dass sie mir hilft. Ich weiß nur auch, was mich erwartet. Nach einer Zahnreinigung, 45min oder länger vibrieren und Ultraschallgeräusche, erwarten mich stundenlange Kopf- und Gliederschmerzen und tagelang wahnsinnig empfindliche Zähne. Ist es Angst, wenn ich mich in Anbetracht dieser Zustände unwohl fühle? Was ist Angst überhaupt?

Als wir neulich durch den Wald marschierten – meine Freundin auf ihrem Pony und ich beim Fahren vom Boden hinter Duncan her, trafen wir auf ein Pärchen mit Hund. Der Hund stand in einem kleinen Tümpel am Wegesrand und just als wir direkt daneben waren, warf Frauchen ein Spielzeug ins Wasser. „Flump“ machte es ziemlich laut und die Ponys sprangen 2 Meter zur Seite. Der Mann schaut mich an und sagt „schwer erziehbar oder was?“ Ich bin leicht gestresst, muss mein Pony im Auge und die Leinen im Griff behalten, habe aber noch genug Hirnkapazität um zu antworten „neee aber das ist das einzige wo er wirklich Angst hat – Dinge, die ins Wasser fallen.“ „Angst?“ fragt der Mann zurück und schaut ungläubig. Aber ich bin jetzt ehrlich gesagt raus. Mein Pony soll lernen, wenn man sich an der Kutsche erschreckt, darf man zur Seite springen und stehenbleiben, aber danach geht man gesittet weiter geradeaus. Und ich glaube, mein Pony kann in dieser Situation mehr lernen als der Typ, der da steht und wirklich überhaupt keine Ahnung von nix hat. Meine Freundin versucht, ihm freundlich zu erklären, dass Pferde nun mal Fluchttiere sind und sich erschrecken. Das sei ja voll gefährlich und dann müsse man das eben üben kommt als Antwort – aha. Was glaubt er was wir tun? Na auch egal, manche die selbst Tiere haben, haben doch trotzdem wenig Ahnung. Später denke ich: das mit dem Fluchttier, das ist auch so ein Satz der uns viel zu oft und viel zu leicht über die Lippen kommt an Stellen wo er gar nicht angemessen ist. Denn auch ein Hund – der nun so gar kein Fluchttier ist – kann sich erschrecken, genau wie jedes andere Tier. Und auch ein Hund wird, wenn er sich nur genug erschreckt, kopflos wegrennen. Weiß eigentlich auch so ziemlich jeder, der mal mit Tieren zu tun hatte. Üben kann man da auch nicht so viel. Klar, je mehr ein Tier kennt, desto weniger wird es sich erschrecken. Aber erschrecken kann es sich trotzdem immer mal. Genau wie wir. Angst ist was anderes.

Angst ist das, was Duncan auf der Brücke bekommt, wenn sich unter der Brücke etwas bewegt. Dieses mulmige Gefühl vorab. Die steigende Anspannung. Das Hinstarren und gar nicht weggucken können. Das ist Angst. Im Gegensatz zum Erschrecken geht die Angst langsam. Gegen die Angst kann ich als Mensch viel mehr tun. Die Brücke kann ich üben, kann ich in „machbare Häppchen“ zerlegen, wiederholen, bekeksen und entschärfen, indem ich Brücken suche die weniger schlimm sind als andere.

Und der Zahnarzt? Nein, je mehr ich darüber nachdenke, desto mehr bin ich sicher, dass ich keine Angst vorm Zahnarztbesuch habe. Ich habe nur eine Erwartung daran dass etwas unangenehmes passiert. Vorm Zahnarzt habe ich so viel Angst wie vor einer Erkältung: keine. Aber ich weiß, dass es sehr unangenehm ist. Und auch das kennen Pferde natürlich zur Genüge. Viele finden Einsprühen unangenehm. Wir sagen dann gern, sie hätten Angst und ziehen die „Fluchttier-Karte“. Ich glaube das nicht mehr. Ich glaube, viele mögen einfach das Gefühl auf der Haut nicht. Und manchmal auch den Geruch der aus der Sprühflasche kommt.

Oder am Anhänger wo viele zu mir sagen „der hat doch gar keine Angst“. Ich habe da bisher oft widersprochen aber vielleicht werde ich das in Zukunft nicht mehr so oft tun. Denn viele Pferde haben in meinen Augen wirklich keine Angst vorm Anhänger. Sie haben nur keine Lust auf all die unangenehmen Dinge die damit assoziiert sind. Der Umzug in einen neuen Stall. Oder ein stressiges Turnier. Oder auch nur die Tatsache, dass der Mensch gestresst ist. Das anstrengende Ausbalancieren während der Fahrt. Die Trennung von der Herde. Es gibt viele gute Gründe, den Anhänger nicht zu mögen, selbst wenn keine Angst im Spiel ist.

Angst – das ist dieses irrationale Ding was so manchen beim Anblick einer Spinne oder beim Besteigen eines Flugzeugs befällt.

Auch darin sind Pferde Meister: warum ist die Plastiktüte im Gebüsch gefährlich obwohl man zu Hause über eine Plane läuft? Warum ist nach gefühlten 242348 Treckern – einer größer als der andere – plötzlich der Spielzeugtrecker am Wegesrand gefährlich? Warum ist es gefährlich, dass der gruselige Sitzball, der gestern in der Ecke lag, heute NICHT da ist? Solche Logiken verstehen nur Pferdeleute. Denn Angst wird bei Pferden oft dann ausgelöst, wenn bekannte Dinge sich leicht verändern. Und das macht Sinn: wenn es plötzlich anders aussieht, anders riecht oder andere Geräusche macht, dann ist in diesem Busch, der gestern ungefährlich war, vielleicht heute ein Puma. Jetzt können wir über das Fluchttier reden, lieber rede ich vom Beutetier. Denn trotz allem ist nicht jedes Pferd ein Fluchttier. Viele zeigen auch Erstarrungs- oder Angriffsverhalten. Aber dass sie Beutetiere sind, macht sie eben grundsätzlich skeptischer als einen Hund, der in der Natur bei niemandem auf dem Speiseplan auftaucht. Auch der Hund muss auf sich aufpassen und mal rennen, aber er muss eben nicht fürchten, dass sich jemand gezielt anschleicht, ihn vielleicht schon stundenlang beobachtet und dann aus dem Hinterhalt zuschlägt um ihm die Kehle durchzubeißen. Auch wir Menschen sind heutzutage (schon lange) keine Beute mehr. Und darum kommen uns so viele Ängste beim Pferd so irrational vor. Real sind sie trotzdem – wie Flugangst beim Menschen. Und auch all die anderen Dinge sind real: das unangenehme Gefühl beim Einsprühen oder die Erwartung unangenehmer Erlebnisse am Anhänger. Genau wie all die Mischformen – Angst die nach dem Erschrecken kommt oder Angst die auf das unangenehme Gefühl obendrauf kommt oder das Erschrecken was besonders schnell passiert wenn man eh schon gestresst ist…. Wenn wir akzeptieren können, dass all diese Gefühle real sind, egal ob sie nun logisch begründbar, für uns selbst nachvollziehbar oder in unseren Augen absolut absurd sind, dann können wir damit arbeiten. Wir können anfangen, unser Pferd (oder den Menschen der uns gegenübersteht) wirklich wahrzunehmen. Und dann können wir Strategien entwickeln wie wir damit umgehen. Wie wir helfen können, aus dem unangenehmen Gefühl ein angenehmeres zu machen. Nicht darauf zu hoffen, dass „er sich schon dran gewöhnen wird“, sondern eine wirkliche Verbesserung zu erreichen. Und wenn es dann doch mal so ist, dass unser Pferd sich erschreckt – weil das nun mal nicht komplett „wegübbar“ ist – dann braucht es eine Anleitung, wie es damit umgehen soll. Und da bin ich schon verdammt stolz auf meine kleines Pony, denn er springt zwar zwei Meter zur Seite, aber kann danach einigermaßen geradeaus weiter gehen (auch wenn es ihn Mut gekostet hat). Und dafür hat es dann auch entsprechend einige Meter weiter eine große Menge an Keksen bekommen, in der Hoffnung, dass der Anreiz, es wieder so zu machen, groß ist. Auch der mutigste Ritter darf sich mal erschrecken. Rüstung richten und weiter geht’s. Gehört wohl auch zum Erwachsenwerden dazu, das zu lernen.

Und es mag unhöflich sein, dass ich meine Zeit dann nicht dem Spaziergänger widme, der all diese Dinge nicht weiß (obwohl er sie als Hundbesitzer wissen sollte), aber ich finde, mein Pony hat Vorrang. Wenn mein Pony und ich gute Strategien haben für blöde Momente, dann kommen wir auch mit Vollpfosten klar, die keine Ahnung haben. Und dann kann ich getrost weglächeln, wenn jemand meint, mein Pony sei „schwer erziehbar“. Vielleicht sage ich nächstes Mal einfach „ja“ und gehe weiter, das spart kostbare Zeit und Denkkapazität die ich lieber darauf verwenden kann, meinem Pony zu sagen wie toll es das alles macht.

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