1000 Teile liegen vor uns. Da muss man schon ein bisschen verrückt sein. Und die sixtinische Kapelle hat es in sich: die großen Strukturen kommen alle mehrfach vor, 8 Bögen, 8 blaue Fenster, 8 dreieckige Friese. Es gibt kein oben und kein unten. Jedes Teil sieht anders aus und doch sehen sie sich unheimlich ähnlich.
Natürlich fängt man mit dem Rahmen an. Danach suchen wir Strukturen, an denen wir uns entlanghangeln können. Und ich denke an mein Pony. So ein Rahmen, der ist schnell gebaut. In den vergangenen 15 Monaten haben wir einen Rahmen für unser Zusammensein geschaffen: Dinge, die man niemals tut und Dinge, die immer im Rahmen des Erlaubten liegen. Für uns beide sind Orientierungslinien enstanden was der andere mag oder nicht mag, was akzeptabel ist und was nicht, wo wir Spielraum zum Ausprobieren haben. Jetzt suchen wir nach Strukturen, an denen wir uns entlanghangeln können. Welches Teil gehört wohin? Wie so ein Puzzle stelle ich mir die Ausbildung meines Ponys vor: alles ist schon da, alles ist schon angelegt. Es muss nur an seinen Platz finden, damit ein wunderschönes Bild entsteht.

Man kann versuchen, jedes Teil in die Hand zu nehmen und anhand des Bildes zu identifizieren wo es hin gehören mag. Man kann Teile nach Form sortieren und probieren. Man kann versuchen, einzelne Teile zuerst zusammenzusetzen und dann später das große Ganze zusammenzufügen. Alle Wege können erfolgreich sein. Bei 1000 Teilen haben sie alle eins gemeinsam: es ist viel Arbeit. Und jedes Teil will angefasst werden, geschenkt gibt es nichts. Dabei muss man immer darauf achten, dass kein Teil herunterfällt und unter dem Tisch liegen bleibt, sonst hat das Bild nachher ein Loch.
Silvester tut immer so, als wäre etwas zu Ende und etwas Neues würde anfangen. Das ist aber gar nicht wahr. Es ändert sich lediglich das Datum, der Rest bleibt wie er ist. Natürlich mag für den ein oder anderen am 1.1. eine Veränderung anstehen, aber wohl nicht mehr als am 1.4. oder 1.8. Vorsätze für das neue Jahr gibt es bei mir nicht. Man kann jeden Tag etwas ändern oder es lassen. Und ein 1000 Teile Puzzle setzt sich nicht plötzlich von selbst zusammen nur weil 2021 ist. Mein Pony kennt das Datum nicht. Er möchte weiter mit seinen Freunden seinen Alltag verbringen und von mir die Extra-Bespaßung bekommen die das kleine, gut geölte Maschinchen zwischen seinen Ohren braucht, um rund zu laufen. Er weiß nichts von den 1000 Teilen, aber auch er nimmt wahr, wie sich ein Bild zusammenfügt und er arbeitet fleißig daran mit. Er probiert aus und findet heraus, was ich wie meine und ich probiere aus und finde heraus was er wie meint und wir beide bauen ein Bild zusammen von dem wir bisher nur eine wage Idee haben. Aber eines wissen wir: ein schönes Bild soll es werden.
2020 oder 2021, das spielt dabei keine Rolle. Jeder Tag, jede gemeinsam verbrachte Minute bringt uns unserem Bild etwas näher. Wir werden ein Leben lang daran herumpuzzeln. Wenn ein Teil fertig ist, bauen wir noch einen neuen Teil an. Denn der Sinn des Puzzelns liegt darin, dass man an jedem Teilchen Freude hat, das seinen Platz findet. Hätte man erst ganz am Ende Freude, wäre das Ganze eine sehr sinnlose Beschäftigung.

Vor uns liegt eine unbestimmte Anzahl an gemeinsamen Tagen. Je schöner wir jeden dieser Tage zusammen verbringen, desto schöner wird unser Bild am Ende sein. Und je schöner wir jeden einzelnen dieser Tage zusammen verbringen, desto schöner wir jeder einzelne gemeinsame Tag sein. Wir gewinnen also auf beiden Ebenen: im Hier und Jetzt und in der unbekannten Zukunft. Und je mehr ich mit Pferden so arbeite, desto weniger interessiert mich der Jahreswechsel. Da ist so ein Fellwechsel interessanter, wenn mein Pony wieder neue Farbschattierungen zeigt.
Ich wünsche Euch einen guten „Rutsch“. Möge 2021 für die Welt als Ganzes viel Gutes bringen, unabhängig vom Datum.