Wir wollen sie doch alle: Aufmerksamkeit. Deswegen teilen wir Videos von Katzen, die wir selbst gar nicht kennen, auf Facebook. Oder wir erzählen dort Hinz und Kunz, was wir getan und erlebt haben. Deswegen schreibe ich diesen Blog. Als soziale Wesen sind wir darauf gepolt, Aufmerksamkeit zu wollen. Wir wollen gesehen und gehört werden, das macht uns gute Gefühle. Und wenn ein bestimmtes Verhalten unsererseits dazu führt, dass die anderen uns wahrnehmen, dann werden wir dieses Verhalten öfter zeigen.
Wenn es gut läuft, lernen wir in unserer Kindheit, dass freundliches Verhalten viel freundliche Aufmerksamkeit einbringt. Wir lernen, uns auf eine Art und Weise zu verhalten, die gute Gefühle beim anderen auslöst und im Austausch dafür die freundliche Aufmerksamkeit des anderen zu bekommen. Ganz am Anfang, bevor Menschen irgendetwas nennenswertes tun können, fangen sie schon an, andere Menschen anzulächeln. Das ist die einfachste Art, positive Aufmerksamkeit zu bekommen, wenn die Erwachsenen dann zurücklächeln.
Da wir aber (zum Glück!) auch Aufmerksamkeit bekommen, wenn es uns schlecht geht, wenn uns etwas wehtut, machen wir auch die Erfahrung, dass wir durch negatives Verhalten Aufmerksamkeit bekommen können. Und schließlich lernen wir alle an irgendeinem Punkt auch, dass ein Wutanfall Aufmerksamkeit auslösen kann, mag es auch negative Aufmerksamkeit sein, weil der andere auch wütend wird.
Sinnvoll ist das nicht, aber wenn es anders keine Aufmerksamkeit gibt, dann eben so. Selbst bei berühmten Menschen können wir das beobachten, die manchmal einen Skandal erzeugen, nur um mal wieder in der Presse aufzutauchen.
Und genau so ist es bei unseren Pferden. Sie wollen beachtet und wahrgenommen werden und sie sind bereit, (fast) alles dafür zu tun. Und ich danke unserer Herde dafür, dass sie Duncan so großartig erziehen. Denn im Gegensatz zu vielen zusammengewürfelten Herden in Reitställen, bei denen ständiger Wechsel herrscht, weil Leute dauernd einen neuen Stall besser finden, ist unsere Herde seit vielen Jahren im Kern stabil. Diego ist 2012 hier eingezogen und hat Anfang 2013 das Zepter übernommen. Seitdem herrscht hier eine bestimmte „Hausordnung“. Diego legt Wert auf Höflichkeit untereinander. Ich sehe viele Beschwichtigungsgesten (vor allem Wegschauen oder am Boden schnüffeln) die unsere Pferde einsetzen, wenn die den anderen z.B. bitten, etwas Platz zu machen oder an ihm vorbeigehen zu dürfen. Auch Anfragen zum gegenseitigen Fellkraulen sind von viel „Konversation“ begleitet, freundliches annähern, nachfragen, langsames herantasten an die Situation. Schnelle Bewegungen sind selten und finden fast nur in der Diskussion um Heu statt.
Wenn gerangelt und getobt wird, passiert dass immer so freundlich, dass niemand eine Macke davonträgt. Etwas, was mich im Spiel zwischen Gatsby und Finlay immer sehr beeindruckt hat: es ging wild zur Sache und das Fell flog. Aber die Haut hatte niemals auch nur einen Ratscher. Beide Ponys wussten ganz genau, wie sie ihre Zähne einsetzen, so dass zwar der Pelz nachher nach Mottenfraß aussieht, aber keine Abschürfung der Haut zu sehen ist.
Kleine freundschaftliche Zankereien enden eigentlich immer darin, dass beide nachher noch einen Moment in Harmonie zusammenstehen, wie eine Bestätigung, dass es nichts ernstes war sondern nur eine Rangelei unter Jungs.
Duncan ist nun fast ein Jahr hier. Anfangs hat er sich schwer getan, die Regeln zu durchschauen. Ich glaube, dass er zu hause in einem relativ regelfreien Raum unterwegs war, in dem man über alles hinweggesehen hat, weil er ja „der Kleine“ war. In unserer Herde hat er dann plötzlich lernen müssen, wie man „Bitte“ und „Danke“ sagt, wann man wo stehen darf und wann eben nicht. Er war nicht „der Kleine“, sondern es wurde von ihm erwartet, sich genauso an die Regeln zu halten wie die anderen. Und es hat ihm sehr gut getan, finde ich.
Auch Gatsby hat das erst lernen müssen. Als er vor 5 Jahren hier eingezogen ist, kam er aus einer großen Herde in der wenig Zusammenhalt herrschte. Ich erlebe oft, dass in den großen Herden an den großen Ställen kein Familiengefühl entsteht. Es gibt schon kleine Freundesgruppen, aber das sind dann eben Pferde die sich einfach von Natur aus gut vertragen. Sie brauchen kein Regelwerk, denn wenn dem einen das Verhalten des anderen nicht passt, sucht man sich eben einen neuen Freund. Hier in unserer kleinen Gruppe gibt es Verhaltensregeln wie in einer Familie und alle sind eng befreundet – jeder mit jedem.
Gatsby hatte auch einige Wochen zu tun bis Diego ihm verklickert hatte, wie er das haben will. Das tolle an Diego ist, dass er eben nicht „das ranghohe Pferd“ ist, das einfach nur sagt „komm mir nicht zu nah“ und „das Heu gehört mir“ und sich ansonsten nicht darum kümmert was die anderen denken. Wenn er klar gestellt hat, wie man sich zu benehmen hat, ist er wirklich wie ein Familienvater, der auf seine Truppe aufpasst. Etwas wirkt gefährlich und die Ponys haben Angst? Diego geht hin und schaut es sich an. Bei den Nachbarn ist ein neues Pferd auf der Weide? Diego hält Konversation über den Zaun während die anderen im Hintergrund stehen und zuhören. Am Weidezaun sollen alle warten bis sie raus dürfen? Diego steht als Rammbock vorne und zeigt den anderen wie man sich mit den Menschen benimmt. Wenn dann das Ok kommt und alle raus stürmen dürfen sie aber durchaus an ihm vorbei, die ungestümen „Kinder“.
Was für ein toller Pferdepapa!
Duncan verbringt die meiste Zeit des Tages damit, Diego auf Schritt und Tritt zu folgen. Er ahmt alles nach was sein großer schwarzer Held tut. Und Diego schenkt ihm dafür positive Aufmerksamkeit.
Aber auch der Rest der Herde tut das. Hier habe ich ein kleines Video von einer Szene die ich neulich beobachten durfte (nicht die erste dieser Art). Duncan hat eine Idee – er möchte zu der Eiche, um dort Eicheln aufzusammeln. Und er läuft los, aber nicht einfach so für sich, sondern er fragt die anderen, ob sie mitkommen. Und sie kommen mit. All die erwachsenen Pferde folgen dem kleinen zweijährigen und schauen sich an, was er für eine Idee hat. Und sie stellen fest: war eine gute Idee, es sind ein paar Eicheln zu finden.
Und ich denke an Familien, in denen kleine Kinder genau diese Art von Aufmerksamkeit bekommen: „schau mal Mama, ein Marienkäfer!“ und dann wird gemeinsam der Käfer bestaunt. Es ist dieses Gefühl, beachtet zu werden, das uns glücklich macht.
Und hier liegt für uns Menschen, die wir Pferde (oder andere Tiere oder andere Menschen) ausbilden das größte Potential. Wenn wir Aufmerksamkeit geben in eben jenen Momenten, in denen die Dinge gut laufen, werden wir eine wunderbare Stimmung erzeugen. Wir werden Freude und gute Laune kultivieren genauso wie höfliche Umgangsformen. Unser Pferd wird uns lieben für die Beachtung die wir ihm schenken.
Wenn wir unser Pferd aber zu wenig beachten, dann wird es dafür sorgen, dass sich das ändert. Und je nach Typ kann das auch heißen, dass es uns auf den Fuß tritt, uns beißt oder die Kekstasche an sich reißt. Manche sind da gnadenlos.
Besonders gut kennen wir dieses Verhalten von pubertären Tieren und Menschen. Mancher Mensch färbt sich die Haare grün – um anders zu sein und aufzufallen. Manches Pferd muss in der Pubertät ständig etwas ausdiskutieren, nur um Aufmerksamkeit zu bekommen.
Ich vermute, dass mir mit Duncan jetzt so eine Zeit bevor steht – es gibt Anzeichen dafür. Eine Zeit in der er „nein“ sagt, um mich zu einer Reaktion zu provozieren. Und natürlich weiß er genau, dass ich nicht alles ignorieren kann, so sehr ich mich auch bemühe, blödem Verhalten möglichst wenig Aufmerksamkeit zu schenken.
Meine Aufgabe wird sein, ihm MEHR Aufmerksamkeit zu geben wenn alles gut ist. Dafür zu sorgen, dass die positive Aufmerksamkeit die negative stets überwiegt. Das ist manchmal im Alltag gar nicht so einfach, wie es sich anhört. Denn wenn Duncan gerade herzhaft am Strick gezogen hat, dann ist mein Gehirn auf Hab-acht und flüstert „pass auf dass er es nicht wieder tut“. Damit bin ich aber in Gedanken darauf fixiert dass Duncan am Strick zieht und bemerke gar nicht, dass er im Moment super artig neben mir her marschiert. Er hingegen bemerkt, dass ich das nicht bemerke und ihm keine Aufmerksamkeit gebe – und sorgt schnell dafür, dass ich mich wieder ganz dem Hier und Jetzt widme und genau merke, was er tut. Vielleicht indem er wirklich wieder am Strick zieht. Oder mit seinen Zähnen nach mir hascht. Oder die Nase ins Gras versenkt. Und schon ist es für mich wieder etwas schwieriger geworden zu bemerken wann er es gut macht, weil mein Gehirn jetzt flüstert „siehst du, du musst aufpassen! Vielleicht will er gleich wieder fressen oder beißen oder am Strick ziehen“ und während es da so vor sich hin plappert bemerke ich wieder nicht, wie nett er jetzt gerade neben mir her läuft. „Aufpassen“ ist nämlich leider oft das Gegenteil von dem wonach es sich anhört.
Ich darf also mein Gehirn trainieren: pass doch mal auf, wann er das alles toll macht! Und das ist ja die allermeisten Zeit der Fall. Bemerke, dass er es richtig macht, bemerke, wie sehr er sich bemüht und schenke ihm Aufmerksamkeit für dieses feine Verhalten.
Ich wünsche mir sehr, dass mein kleiner Duncan das großartige „Papa“-Verhalten von Diego lernt. Dass Duncan vielleicht eines Tages in Diegos Hufstapfen tritt und für Höflichkeit, Zusammenhalt und Freundlichkeit in der Herde sorgt. Und vielleicht kann ich ein winziges bisschen dazu beitragen indem ich darauf achte, es so zu machen wie Diego: den guten Verhaltensweisen viel positive Aufmerksamkeit schenken. Danke, Du großartiger Diego, für diese wunderbare Art die Du in unsere Herde bringst!