Entscheidungen

Diesen Dienstag hatten wir so eine Art Jahrestag, Duncan und ich. Am 28.7.2019 habe ich diesen einen Satz gesagt „ich möchte ihn gern kaufen“. Und dieser Satz hat unser beider Leben verändert.

Wie treffen wir Entscheidungen? Häufig möchten wir ja gern glauben, dass Entscheidungen etwas total rationales sind. Dass wir aus Vernunftgründen und nach gründlicher Abwägung der Argumente entscheiden. Wenn wir dann Menschen um uns herum beobachten, stellen wir oft fest, dass die ANDEREN sehr unvernünftige Entscheidungen treffen. Erstaunlich…. Und die Werbeindustrie weiß schon lange, dass Entscheidungen oft sehr wenig mit Vernunft zu tun haben.

Die Entscheidung, ein junges Pferd zu kaufen, dass ich 15 Minuten gesehen habe, war vielleicht die unvernünftigste meines Lebens. Ich war nach Finlays Tod im Ausnahmezustand – und ich wusste es. Ich habe mich immer wieder gefragt ob ich in diesem Zustand überhaupt etwas so wichtiges entscheiden sollte.

Aber dann ist da ja neben der Vernunft und dem Kopf auch immer noch das Bauchgefühl und das Herz. Das Herz, das will, was es eben will. Der Bauch weiß viele Dinge und das ist ja mittlerweile auch allgemein anerkannt dass so ein Bauch ziemlich schlau sein kann.

Mein Kopf hat nur noch einen Job gehabt: nach Ausschlusskriterien suchen. Rausfinden ob es einen triftigen Grund gibt, warum ich Duncan NICHT kaufen sollte. Zum Beispiel Anzeichen für eine Krankheit oder ernste Fehlstellung, Anzeichen dass die Elterntiere nicht gesund sind oder Anzeichen dafür, dass wir es mit Betrügern zu tun haben.

Aber so wie damals, als wir Diego für Arnulf gekauft haben, haben wir uns den Job geteilt, nur diesmal anders herum. Arnulf hat weitgehend den „Kopfpart“ übernommen und die Augen aufgemacht um Ausschlusskriterien zu entdecken, während ich mich mehr mit meinen – sehr verwirrenden – Gefühlen beschäftigt habe. Übrigens etwas was ich jedem empfehlen möchte der ein Tier kauft: nehmt jemanden mit, der sich bewusst emotional möglichst weit raus hält.

Zum Glück haben wir keine Probleme finden können die einen Kauf leichtsinnig oder unvernünftig gemacht hätten und also….

Das alles war diesen Dienstag ein Jahr her (Sir Duncan hat Euch romantisch davon berichtet).

Ein Jahr kann eine sehr kurze und zugleich eine sehr lange Zeit sein, das stelle ich immer wieder mal fest. In diesem Fall hat sich in diesem Jahr für mich so vieles verändert, dass es mir manchmal vorkommt wie aus einem anderen Leben.

In jedem Fall war die Entscheidung, Duncan zu kaufen die beste Entscheidung die ich nach Finlays Tod getroffen habe.

Duncan präsentiert sich jeden Tag so, wie ich ihn an jenem Entscheidungstag wahrgenommen habe: er ruht in sich selbst, mag gern Abenteuer erleben und möchte gern rausfinden, was ich möchte dass er tut. Er ist nicht übermäßig bemüht zu gefallen, aber er mag Dinge schon gern richtig machen.

Tage, an denen er bewusst streiten wollte, hatten wir bisher sehr wenige – ich würde sagen nur einen. Kann zwar noch kommen, aber wenn das so unsere Basis und sein Grundcharakter ist, dann ist er genau so, wie ich ihn mir vorgestellt habe.

Und ganz anders ist er auch – nämlich jetzt schon viel erwachsener. Was mir zugute kommt, denn so musste ich nicht so lange auf unsere ersten gemeinsamen Abenteuer warten wie ich ursprünglich dachte.

Ich bin froh, dass ich nur selten so große Entscheidungen treffen muss wie diese.

Trotzdem treffe ich natürlich jeden Tag viele Entscheidungen – wie gehe ich mit meinen Pferden um, was verlange ich, was verlange ich nicht, wie verlange ich es und wann? Welche Kompromisse gehe ich ein, was ist mir sehr wichtig und was ist mir eigentlich egal? Welche Prioritäten setze ich in der Ausbildung?

Aber auch meine Pferde treffen jeden Tag Entscheidungen. Wie Pferde Entscheidungen treffen bleibt für mich manchmal genauso rätselhaft wie menschliche Entscheidungen.

Meine Lieblingsgeschichte an dieser Stelle ist immer die von der Hufbadestelle. Diese Hufbadestelle war genauso aufgebaut wie das „schwarze Loch“ von dem Duncan Euch neulich berichtet hat: ein Holzrahmen in den man Teichfolie gelegt hatte und das ganze dann mit Wasser gefüllt, ca 15-20cm tief. Ich kam zu meiner Schülerin und sie und ihr Pferd standen vor diesem schwarzen Loch. Sie hatte bereits ihr ganzes (beträchtliches) Können und Wissen angewendet um ihr Pferd dazu zu bewegen, da rein zu gehen, aber das Pferd hatte nicht die Absicht das zu tun.

Ich nahm ihr den Strick ab und stellte mich in eine gute Position. Dann wartete ich. Das Pferd versuchte, vorbei zu gehen, was ich ihm verbot. Ansonsten tat ich nichts. Ich hatte ein ganz kleines bisschen Zug am Strick, gerade so dass ich sicher war, dass das Pferd weiß, was ich möchte. Dann standen wir da. Meine Schülerin sagte „da kannst Du jetzt lange stehen“. Ein übrigens sehr beliebter Satz bei Pferdeleuten, fällt mir auf. Der Tonfall sagt – je nachdem wer den Satz sagt – entweder „das wird doch nichts“ oder „der Gaul ist stur“ oder „du bist ja vielleicht bescheuert“. Manchmal auch alles drei gleichzeitig.

Ich stand also da mit dem Pferd. Und wir standen und standen. Das Pferd sah aus als würde es dösen. Und dann, mit einem Mal, traf dieses Pferd eine Entscheidung. Und es ging ohne Zögern in aller Ruhe ins Wasser. Kein wildes Springen, kein Erschrecken, kein Stocken. Ging mit mir einmal durch, von der anderen Seite wieder durch und wiederholte das Ganze dann mit der Besitzerin. Thema erledigt.

Ich habe keine Ahnung, was in diesem Pferd vor sich gegangen sein mag. Aber irgendwie war mir klar, dass das das ist, was das Pferd braucht: Zeit zum „Nachdenken“. Nun findet Nachdenken ja sicherlich bei Pferden nicht so statt wie bei uns Menschen (schon allein weil wir Menschen in Sprache denken die Pferde nicht haben) aber es findet eben irgendeine Form der Informationsverarbeitung statt. Und dann wird eine Entscheidung gefällt – so oder so. Ich habe durchaus auch Pferde gesehen die in so einer Situation anders entschieden haben, die dann zum Beispiel plötzlich zurück gesprungen sind. Aber in diesem Fall lief es genau wie geplant. Und es kam mir so vor als ob der gesamte Prozess, den Pferde sonst manchmal aktiv durchlaufen – erstmal einen Huf ins Wasser, etwas vor, etwas zurück, vielleicht mal schnell durch, dann wieder neu ansetzen – im Kopf dieses Pferdes abgelaufen wäre und als es dann anfing sich zu bewegen war die Verhaltensweise komplett „fertig“.

Dieser Tag hat nicht nur der Besitzerin des Pferdes sondern auch mir eine Menge zu denken gegeben. Und wann immer ich die Möglichkeit habe, es so zu machen (weil der Besitzer mir vertraut oder weil es mein eigenes Pferd ist) versuche ich, die Dinge so zu lösen.

Die Vorstellung, dass wir einen großen Anreiz setzen müssten, damit ein Pferd solche Dinge tut – in den Anhänger steigen oder eben in ein Wasserloch – ist oft verkehrt. Pferde sind in der Regel durchaus gewillt, diese Dinge zu tun. Weil sie es interessant und bereichernd finden und/oder weil sie uns gefallen wollen. Natürlich können wir mit Anreizen aller Art den Prozess beschleunigen, aber manchmal tun wir uns keinen großen Gefallen damit. Die Kunst besteht wohl darin, zu wissen, wann es gut ist, zu helfen und wann es besser ist, die Entscheidung des Pferdes abzuwarten.

Ich vermute, dass das auch damit zusammenhängt was ein Pferd bisher für Erfahrungen gemacht hat. Hat es gelernt, dass es Zeit bekommt, Dinge zu „durchdenken“ und dass es dann eine Entscheidung treffen kann und eine Rückmeldung bekommt? Oder wartet es darauf, dass man ihm sagt, was es tun soll und fällt einfach ins Nichts-tun wenn man ihm keine Handlungsanweisung gibt? Und wo ist diese magische Grenze wann diese beiden Pole zu Extremen werden die ungesund sind? Ich möchte ja auch nicht unbedingt, dass mein Pferd immer selbst entscheidet, schon gar nicht, wenn das länger dauert. Ich meine, wenn gerade ein Auto kommt, dann muss ich sehen, dass mein Pferd sich so verhält, dass es für uns alle ungefährlich bleibt. Für einen langwierigen Entscheidungsprozess bleibt da einfach keine Zeit. Andererseits möchte ich mein Pferd ja auch nicht zu einem Roboter machen, der nur etwas tut, wenn man auf den Startknopf drückt.

Und schon ist da wieder ein schmaler Grat, auf dem es zu balancieren gilt.

Am besten ist es natürlich wenn ich es schaffe, dass mein Pferd lernt, möglichst viele gute Entscheidungen zu treffen – also ich meine: in meinen Augen gute Entscheidungen. Meine Aufgabe ist es dann, dafür zu sorgen, dass das Pferd seine eigene Entscheidung auch im Nachhinein als gut empfindet weil etwas aus Pferde-Sicht Gutes dabei herauskommt.

Und genau das ist passiert an jenem Tag vor einem Jahr. Duncan und ich standen am Anhänger und alles was ich ihm gesagt habe, war, dass er jetzt nicht weggehen darf. Danach habe ich ihn entscheiden lassen. Er hat entschieden, ganz gemach Schritt für Schritt in den Anhänger zu gehen und bekam dort einen Keks von mir. Im Video sieht es leider so aus als würde er mehr Kekse bekommen aber tatsächlich gab es nur ganz oben einen. Ich hatte ihn nicht gebeten, auf den Anhänger zu gehen (zumindest nicht direkt. Mein Wunsch war es natürlich schon und da man sich dann automatisch entsprechend bewegt wird Duncan schon klar gewesen sein was ich möchte).

Einfach mal schauen was passiert – ich glaube das war unser beider Gedanke.

Und das war dieser Moment in dem ich mir sicher war: das passt. Das ist das Pony das ich will. Und seitdem hat Duncan schon sehr viele Entscheidngen getroffen, die mir gut gefallen haben. Die Entscheidung, öfter mal vorneweg gehen zu wollen ist da ein gutes Beispiel. Eine Entscheidung, die mir früher, als ich gerne Freiarbeit machen wollte, nicht gut gefallen hätte. Aber jetzt, wo ich vom Kutsche fahren träume, kommt sie mir sehr gelegen. Und jedes Mal wenn er vor mir her marschiert, weiß ich wieder: ich habe auch eine gute Entscheidung getroffen in jenem Moment als ich sagte „ich möchte ihn gern kaufen“.

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1 Kommentar

  1. Liebe Lioba, auch dieser Artikel macht mich wieder sehr nachdenklich. Aufgrund Deiner Artikel überhaupt, versuche ich meine Vorgehensweise häufiger zu hinterfragen und hatte auch schon das ein oder andere Erfolgserlebnis ❤️. Lieber wäre es mir natürlich, wenn du uns wieder unterrichten könntest, aber auch Deine Erklärungen helfen uns schon etwas weiter 🥰. Vielen lieben Dank, dass Du uns an Deinen Gedanken teilhaben lässt. Angelika

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