Ein Jahr

Mein wunderschöner Finlay

Heute vor einem Jahr ist mein geliebter Finlay verunglückt. Innerhalb einer Stunde war er tot. Eben waren wir noch ausreiten – und plötzlich war mein Leben zusammengebrochen. Finlay war nur 8 Jahre alt.

Ich würde Euch gern schreiben, dass alles wieder gut ist. Dass ich an der Erfahrung gewachsen bin und jetzt irgendeine tolle Spritualität entdeckt habe, die mir das Leben erklärt. Oder dass ich jetzt ganz im Frieden bin mit mir und dem was passiert ist, dass ich nach vorne schaue und stark bin oder was weiß ich blabla. Ich habe unendlich viele solcher Texte gelesen. In keinem habe ich mich wiedergefunden, die meisten haben mich verärgert, weil ich selbst so anders empfinde. Ich selbst habe früher manchmal solche „Glückskeks-Sprüche“ verwendet und geglaubt. Aber als ich sie dann gebraucht hätte, habe ich erkannt wie blöde sie sind. Zumindest für mich. Und einige, mit denen ich gesprochen habe, die ähnliches erlebt haben, empfinden das genauso. Alles wird gut und man wächst an solchen Erfahrungen oder so. Oder eben auch nicht.

Das vergangene Jahr war das schlimmste meines Lebens. Ich war so krank wie noch nie und so dünn wie noch nie. Alle Hosen sind mir zu groß. Wenn ich Fotos von mir sehe, erschrecke ich mich.

Langsam habe ich wieder einigermaßen (für mich) normale Maße erreicht, aber stabil ist das alles noch nicht. Die Seele hat dem Körper viel abverlangt. Eine Bekannte, die mehrere schlimme Erlebnisse zu verarbeiten hat, sagte im September zu mir „dass der Körper krank wird ist ganz normal“. An diesem Satz habe ich mich festgehalten wenn ich gedacht habe, nie wieder gesund zu werden. Ich habe auf den heutigen Tag hingearbeitet, habe gedacht, wenn das erste Jahr erst mal geschafft ist, wird es bestimmt leichter. Auch diesen Satz hat die Bekannte zu mir gesagt „ich verspreche Dir, es wird leichter. Auch wenn Du das heute nicht glaubst, ich verspreche es Dir hier und heute.“

Und das stimmt. Es ist leichter geworden. Es geht mir besser, an den meisten Tag fühle ich mich normal. Dann sind da die anderen Tage, aber die werden nach und nach weniger. Und ich bin dieser wunderbaren Frau für immer dankbar, denn das Gespräch mit ihr war eines der wenigen Gespräche, die mir überhaupt geholfen haben und die kleinen Dinge, die sie gesagt hat, haben einen Widerhall in meinem Kopf erzeugt, haben sich eingebrannt und ich habe mich daran fest gehalten wenn nichts mehr ging.

Das menschliche Gehirn ist ein Wunderwerk. Es ist in der Lage, alles im Rückblick doch nicht mehr ganz so schlimm aussehen zu lassen. Ich habe überlebt, mein Leben ist weitergegangen – ohne Finlay, dafür mit Duncan. Mein Gehirn ist in der Lage, mich davor zu schützen, all jene Gefühle noch mal eins zu eins zu fühlen, die ich heute vor einem Jahr gefühlt habe. Was bleibt, ist die Angst vor weiteren Verlusten.

Facebook erinnert mich immer wieder an die schönen Zeiten mit Finlay am passenden Tag. Und gerade in den letzten Tagen kommen all jene letzten schönen Tage von denen ich nicht wusste, dass es die letzten sind – die ersten Kutschfahrten, einige Ausritte. Tage, an denen ich eine Zukunft mit Finlay geplant hatte. Tage, an denen ich noch nicht wusste, was mich erwartet. Das macht mir große Angst. Ich habe mich immer sicher gefühlt in meiner Idee von Zukunft. Klar, es kann immer mal was dazwischenkommen. Dann eben später.

Aber dass mein Pony einfach so von einem Tag auf den anderen nicht mehr da ist, hätte ich nie geglaubt. Es war immer meine leise Horrorvorstellung – man weiß ja von anderen, dass mal schnell eine Kolik kommt oder ähnliches. Aber ich dachte, das ist so selten und ich passe so gut auf. Naja. Es war ja auch keine Kolik, es war der absurdeste Unfall des Jahrhunderts. Und es ging so unglaublich schnell. Und plötzlich hatte ich keinen Finlay mehr. Und keine Zukunftsplanung. Kein Distanzritttraining, keine weitere Ausbildung zum Kutschpony. Und mein Leben war auf einmal ganz falsch.

Und dann ist Duncan aufgetaucht. Irgendwie einfach so. (Das stimmt natürlich nicht – ich habe selbst aktiv nach einem Pony gesucht. Aber es fühlte sich so merkwürdig an, als sei das ein anderer Teil von mir). Und jetzt ist er hier und macht mich glücklich. Und ich plane meine Zukunft mit ihm, in der er anscheinend perfekt reinpasst. Er ist – so wie es bisher aussieht – sowohl das geborene Distanzpony (was beim Schotten eher überraschend ist) als auch das geborene Kutschpony. Er bringt viele Dinge mit, die gut zu mir passen. Und manche, die nicht gut passen. Den Reitplatz haben wir bisher kaum beschritten. Wird er jemals für die Dinge zu begeistern sein, die mir auch wichtig sind – Piaffe, fliegende Wechsel und so? Oder stellt er quasi das Ende meiner Dressurambitionen dar weil er darauf so gar keine Lust hat? Wer weiß das schon.

Die Zukunft liegt in der Zukunft. Ich kann nur hoffen, dass Duncan jedenfalls bei mir bleibt – möglichst immer gesund und munter bis er steinalt ist.

An den Tagen an denen ich daran zweifle, schaue ich meinen alten Merlin an, der seit 19 Jahren bei mir ist und sich immer noch selbst übertrifft (jedes Mal wenn ich denke er sei nun doch „alt“ legt er noch einen drauf). Und ich denke an unsere alte Hündin Sali, die ihr Leben so von vorn bis hinten gelebt hat und nun friedlich unterm Hollerbusch liegt – nach 16 Jahren Party. Und deren Tod für mich so absolut in Ordnung ist und mich glücklich zurücklässt statt traurig. Dann sage ich mir: so geht es auch. So kann es mit Duncan auch gehen. 35 Jahre lang, wenn wir Glück haben – mehr Glück als ich es mit Finlay hatte. Und ich baue meine Ausbildung darauf auf. Ich tue so als wäre ich mir sicher. Als hätte ich alle Zeit der Welt, ihn auszubilden, ihn kennenzulernen. Und ich plane eine Zukunft mit ihm. Weil ich irgendwas planen muss, sonst kann ich mein Pony nicht ausbilden, sonst weiß ich ja nicht wo der Weg hingeht.

Aber die Angst bleibt. Jedes mal, wenn wir zusammen unterwegs sind, besonders in ähnlichen Situationen wie die in der Finlay sich verletzt hat, kommt sie wieder. Sie wird etwas schwächer mit der Zeit, aber letztlich bleibt sie doch. Weil das Leben mir gezeigt hat, was es kann – nicht im Guten. Weil es keinen Grund gab, nichts, was man hätte anders machen können. Es war das, was man einen „Schicksalsschlag“ nennt. Das Leben hat mir voll in die Magengrube gehauen und es gibt keine Sicherheit, dass es das nicht wieder tut.

Also, falls Ihr jetzt diesen super spirituellen, abgeklärten, wundergeheilten Text erwartet hattet, muss ich Euch enttäuschen. Mir bleibt nur der Trost, dass mein Leben weiter geht, dass Duncan hier ist und mir auf jeden Fall schon ein paar schöne Erinnerungen beschert hat, dass ich von Finlay unglaublich viel gelernt habe und auch irgendwann – ganz langsam nähere ich mich diesem Punkt – die 8 Jahre voller schöner Erinnerungen genießen kann, die er mir geschenkt hat, auch wenn sie immer mit dem Schmerz des Verlustes einhergehen werden.

Das ist eben der große Unterschied: die Erinnerungen an unsere alte Sali sind für mich alle fröhlich und unbeschwert. Es ist kein Schmerz darin. Mal ein kleines „ich vermisse sie“ aber die Erinnerungen sind nicht schmerzhaft. Sie sind wundervoll von vorn bis hinten, auch die an den letzten Tag. Aber bei Finlay nicht. Weil das nicht rund war. Sein Leben hätte noch so lange dauern sollen. Wir hatten noch so viel zu tun. Und das nicht, weil wir etwas aufgeschoben hätten – das hat Finlay zum Glück niemals geduldet – sondern weil einfach zu wenig Lebenszeit da war.

Gleichzeitig sehe ich, dass Duncan so vieles so viel leichter fällt. Weil ich besser geworden bin aber auch weil er es irgendwie leichter hat in seinem Körper. Ich weiß nicht, was mit Finlay los war. Ich war da noch auf Forschungsreise. Fakt ist, dass es ihm in seinem Köper nicht so gut ging. Er hatte nie viel Energie, hatte oft Probleme mit der Muskulatur. Ich werde nie erfahren, was da war und ob ich die Lösung noch gefunden hätte. Ein paar Fortschritte hatten wir gemacht, aber ob es jemals richtig gut gewesen wäre – wer weiß? Duncan hingegen hat überhaupt keine Probleme mit seinem Körper. Er strotzt vor Energie und scheint sich selbst beim Wachsen noch recht wohl zu fühlen (wo es Finlay oft richtig schlecht ging). Es wird ihm viel leichter fallen, alle meine Wünsche zu erfüllen. Aber auch das ist schmerzhaft – der Gedanke, dass Duncan auf eine Art das „bessere“ Pony ist. Im Sinne von leistungsfähiger, leichter auszubilden auf der körperlichen Ebene.

Einmal habe ich zu einer jungen Mutter gesagt „die Schmerzen der Geburt vergisst man ja“. Sie antwortete lakonisch „das ist das, was die Gesellschaft von dir erwartet zu sagen.“.

Ist es das? Erwartet „die Gesellschaft“ von Menschen, dass sie den Schmerz vergessen, den sie erlitten haben? Manchmal glaube ich dass es so ist. Manchmal glaube ich, es ist noch viel zu wenig Platz für Verletzlichkeit und alte Wunden. Nicht als Ausreden – dafür werden sie auch viel zu oft gebraucht. Ich habe Duncan geschworen, Finlays Tod nicht als Ausrede zu nehmen um Dinge nicht zu tun, nur weil ich Angst habe. Er soll nicht in Langeweile versauern, weil ich mich nicht mehr raus traue. Aber die Angst anerkennen und den Schmerz der damit verbunden ist, dafür darf Raum sein. Denn keine Therapie und keine Zeit der Welt kann meinen Finlay wieder lebendig machen. Ich kann damit leben, dass er tot ist und natürlich rückt das alles mehr und mehr in den Hintergrund. Aber tot ist er trotzdem. Er sollte hier sein und ist es nicht. Und das wird sich nie mehr ändern. Erwartet „die Gesellschaft“ dass ich das nicht mehr sage, weil so viel Zeit vergangen ist? Erwartet man von mir, dass ich im Nachhinein sage „es sollte so sein“? Tja, dann werde ich wohl (wie ich es öfter mal tue) die Erwartungen der Menschen nicht erfüllen.

Auf der Suche nach passenden Zitaten (ich mag Zitate) habe ich so vieles gefunden was sich für mich immer nur nach Glückskeks anhörte. Dann stieß ich auf ein Zitat aus dem Buch „Tanz auf Glas“ von Ka Hancock. Es lautet „Es heisst, das erste Jahr nach einem schweren Verlust sei das schwerste. Das ist stark untertrieben. Trauer ist eine eigene Form von Geisteskrankheit, und es gibt keine Behandlung dagegen. Es gibt keine Abkürzungen. Man muss einfch jeden Tag aufstehen und abwarten, bis man wieder ins Bett gehen kann, um dann aufzuwachen und vorne anzufangen. Bis man eines Tages landet.“

Von all den vielen Dingen die ich gelesen hatte war das irgendwie das einzige, was annähernd dem entspricht, was ich empfinde und wie mein letztes Jahr war.

Aber auch ein paar andere waren dabei „Trauer verändert sich, aber sie geht nie vorbei“ (Keanu Reeves). Hier finde ich quasi mein ganzes letztes Jahr in ein paar Worten zusammengefasst. Verändert hat die Trauer sich – von Woche zu Woche, von Monat zu Monat. Manchmal so langsam, dass ich dachte, es ändert sich nichts. Manchmal in Sprüngen von einem Moment auf den anderen, besonders in Momenten in denen die Verbindung zu Duncan gewachsen ist. Manchmal in Rückschritten, die mich zur Verzweiflung getrieben haben.

Und ist da ganz besonders ein Zitat von einem Mann, den ich eigentlich immer mit großer Skepsis betrachte: Sigmund Freud. „Man weiß, dass die akute Trauer nach solch einem Verlust ablaufen wird, aber man wird ungetröstet bleiben, nie Ersatz finden. Alles, was an seine Stelle rückt, und wenn es sie auch ganz ausfüllen sollte, bleibt doch etwas anderes. Und eigentlich ist es recht so. Das ist die einzige Art, die Liebe fortzusetzen.“ Mit diesen Worten drückt er wunderbar aus, wie mein Gefühle zu Finlay und Duncan sind. Duncan füllt Finlays irdischen Platz nach und nach aus, später, wenn wir fahren und noch später reiten können, wird er all jene Dinge übernehmen die Finlay für mich und mit mir getan hat. Schon heute übernimmt er die Aufgabe des „Glücksgenerators“ indem er so ist, wie er ist. Aber obwohl er die Aufgaben übernimmt, ersetzt er Finlay nicht. Finlay ist immer noch da – mehr in den Hintergrund gerückt, aber nie ganz fort. Und ich liebe ihn nach wie vor abgöttisch, weil er so ein großartiges Pony war und wir so viel Spaß hatten und ich so viel gelernt habe. Und kein anderes Pony kann jemals seinen Platz in meinem Herzen einnehmen. Wie meine Freundin sagte: das Herz wird dann ein Stück größer und es entseht ein neuer Platz für das neue Pony. Der alte Platz für das alte Pony bleibt, das liebt man ganz genauso weiter.

Jetzt, da ein Jahr vergangen ist, wird es Zeit, auch hier im Blog symbolisch neu zu starten. Deswegen gibt es diesen Text heute und am Donnerstag wird sich hier ein bisschen was verändern – lasst Euch überraschen! Ich hoffe es gefällt Euch genauso gut wie mir. Bis dahin danke ich Euch allen, die Ihr so fleißig meine Geschichten lest und mir so auch ein Stück helft bei der Verarbeitung meiner Gedanken und Gefühle. Ich hoffe Ihr bleibt hier und habt weiter Teil an Sir Duncans Eroberung der Welt (mein Herz hat er schon lang erobert).

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