Ein unachtsamer Momente – Zack, liegt das Handy am Boden. „ach“ denke ich „die gute Outdoorhülle wird das abgefangen haben“.
Aber diesmal hat die Outdoorhülle versagt – vielleicht weil es Indoor passiert ist…. Jedenfalls ist das Display hell erleuchtet – zu hell – und das Handy ist nicht mehr ansprechbar.
In diesen Situationen bin ich meinem Mann Arnulf noch ein bißchen dankbarer für die Dinge die er für mich tut. Er greift zum Hörer und ruft den Telefonanbieter an. Es ist nämlich so, dass wir ein sehr ähnliches Szenario vor gut zwei Jahren hatten. Dabei mussten wir folgendes feststellen: unser Telefonanbieter geht stillschweigend von Jahr zu Jahr im Vertrag weiter. Nach 2 Jahren ist das im Vertrag inbegriffene Handy „abbezahlt“, wir könnten also entweder ein neues Handy bekommen oder in einen günstigeren Tarif wechseln. Früher wurde einem das auch mitgeteilt. Heute nicht mehr. Wenn wir unseren Vertrag nicht aktiv 3 Monate vor Ablauf kündigen passiert NICHTS, das heißt wir bekommen weder den günstigeren Vertrag noch ein Handy. Wir zahlen den teuren Vertrag weiter ohne Gegenleistung. Da wir uns in der Kündigungsfrist vertan hatten, sind wir da erneut reingefallen (schade wenn man blöd ist). Aber Arnulf weiß anhand der Erfahrung von vor 2 Jahren, wie es gehen kann: Er lässt sich am Telefon hartnäckig von einem zum anderen durchstellen, immer eine Stelle höher, bis er schließlich da ist wo er hin will. Und siehe da, nachdem man ihn vorher unfreundlich behandelt und ausgelacht hat, ihm gesagt hat, da könne man halt leider nichts machen so wäre der Vertrag nunmal, hat er plötzlich eine unglaublich nette Dame am Telefon, die dafür sorgt, dass ich sofort kostenlos ein neues Handy bekomme. Weil Arnulf in aller Deutlichkeit mitteilt, dass wir sonst sämtliche Verträge bei der Firma kündigen und dass er sehr genervt ist. Es scheint doch ein Interesse daran zu bestehen, Kunden zu behalten, sieh an.
Plötzlich geht das, was man uns in den „unteren Riegen“ des Kundenservice verwehrt mit dem Hinweis auf die Vertragsbedingungen. Nicht nur das: wir werden ausführlich und freundlich bei der Wahl des Handys beraten, die Dame rät uns sogar zu einem günstigeren Modell, weil sie findet, dass das teurere gar nicht besser ist sondern nur teurer und sie gibt uns noch einen kleinen Rabatt „weil das so blöd gelaufen ist“. Der Wandel ist erstaunlich. Hätte Arnulf nicht vor 2 Jahren buchstäblich STUNDEN am Telefon verbracht und gelernt, dass das der Weg der Wahl ist, hätten wir uns ganz schön geärgert.
Ich selbst bin recht schlecht in so etwas. Ich mag nicht streiten und drohen und kann gar nicht gut verhandeln. Arnulf dagegen war die ganze Zeit freundlich oder zumindest höflich, aber absolut deutlich, hat geschickt formuliert und gut verhandelt. (Und er ist wieder mal mein Held)
Als das geschafft ist, sitzen wir noch einen Moment zusammen und reden darüber, wie so etwas kommt und wie ätzend das ist, dass man anscheinend besser behandelt wird, wenn man seine Ellenbogen einsetzt und sich wichtig macht als wenn man freundlich und zurückhaltend ist. Dann stutze ich. Denke an so viele Pferde, von denen die Besitzer sagen „er braucht immer erst eine Ansage, dann geht plötzlich alles“.
Für harmoniesüchtige Menschen wie mich ist es eine Qual. Ich habe zwar auch mit Finlay und vielen anderen Ponys mal herzhaft gestritten und habe damit kein Problem, aber dann geht es um die Sache, um den Streit, das Klären von Kompetenzen. Danach ist man auch nicht plötzlich wieder (entschuldigt die Wortwahl) scheiß-freundlich. Man geht ein bißchen wutschnaubend auseinander und begegnet sich in Zukunft anders. Mal hat Finlay klein beigegeben, aber oft genug habe auch ich mein Verhalten in der Konsequenz geändert. Man findet Lösungen oder im schlechtesten Fall wenigstens einen Kompromiss. Man ist sich einig, dass man lieber freundlich sein möchte und Streit so weit wie möglich vermeidet. Oder man streitet mit dem pubertären Pony auch mal um des Streitens willen, das war bei Finlay gelegentlich Programm. Dann streitet man mit Spaß am Streit und ist sich bewusst, dass es mehr ein Spiel als ein echter Streit ist. So eine Art „Mensch-ärgere-Dich-nicht“.
Streiten, nur weil man vorher einfach nicht freundlich sein kann, das mag ich nicht.
Was den Telefonanbieter angeht, macht mir das Sorge. Das scheint die Geschäftskultur geworden zu sein: man versucht, den Kunden über den Tisch zu ziehen und wartet mal ab ob das gelingt. Wahrscheinlich verdient die Firma sich dumm und dämlich an all den braven Kunden, die gar nicht merken, wie sie ausgenommen werden. Und die, die es merken, anrufen und sich beschweren, werden in erster oder zweiter Instanz abgewimmelt. Wer boxt sich schon durch bis fast ganz oben? Ich persönlich würde das wohl nicht tun.
Aufmerksamkeit und „Leckerlies“ bekommt, wer sie sich holt.
Und leider beobachte ich, wie viele Menschen (ich auch viel zu oft) das selbe Verhalten unbewusst bei ihren Pferden kultivieren. Das funktioniert so:
Das Pferd macht alles toll. Es bekommt ein Lob.
Dann macht es alles nicht mehr ganz so toll. Es gibt eine Diskussion oder eine längere Erklärung, einfach etwas mehr Aufwand. Und nach einigen Minuten klappt es endlich. Und der Mensch ist so erleichtert, dass das Lob plötzlich viel größer ausfällt als davor. Oder es klappt nicht und der Mensch gibt auf. Macht etwas anderes (etwas was dem Pferd leicht fällt, was es gerade anbietet) oder hört auf mit ihm zu arbeiten.
Und manche Pferde erkennen das Muster: wenn ich mich ein bisschen anstelle, ein paar andere Sachen anbiete, mich bitten lasse, dich erst mal ignoriere, habe ich Chance auf ein größeres Lob, schnelleres Arbeitsende, weniger Anspruch. Wenn ich mich von vornherein engagiere, dann willst Du mehr und mehr und mehr.
Wie schnell sind wir an diesem Punkt. Wie oft muss ich selbst mich zusammenreißen im Kundenkontakt, nicht immer dem den Vortritt zu geben, der sich kurz vor knapp meldet, aber dann ganz wichtig und ganz dringend ist, während ich den geduldigen wieder mal verschiebe. So entsteht diese verkehrte Welt. Eine Welt, in der Rücksichtnahme und Freundlichkeit bestraft werden, in der man sich schließlich nur noch unter massivem Ellenbogeneinsatz behaupten kann. Eine Welt, in der man ein neues Handy bekommt, wenn man sich nur weit genug hochtelefoniert, aber wenn man nett ist zahlt man doppelt und dreifach.
Wir erschaffen jeden Tag die Kultur um uns herum. Mit unserem Pferd genau wie mit unseren Mitmenschen. Ich werde keinen direkten Einfluss nehmen können auf das Verhalten eines Telefonanbieters. Dahinter stecken jene Leute, die sich mit ihren Ellenbogen bis ganz oben durchgearbeitet haben. Die werden meinen Blog kaum lesen und sich sicher nicht dafür interessieren eine andere Kultur zu erschaffen, denn für sie funktioniert das ja alles wunderbar (bis einer kommt und sie mit ihren eigenen Waffen schlägt). Aber im Kleinen kann ich verhindern, dass es so wird. Und auch bei meinen Pferden kann ich darauf achten, einen anderen Umgang zu pflegen: je friedlicher und engagierter Du bist, desto mehr komme ich Dir entgegen. Es erfordert viel Aufmerksamkeit, das so wahrzunehmen. Allzu oft sind wir, wenn es gut läuft, mit anderen Sachen beschäftigt. Beim Spaziergang fangen wir an zu schnacken oder zu träumen. Wenn unser Pferd auf dem Reitplatz beim Aufwärmen perfekt arbeitet, denken wir an die nächst-schwerere Lektion. Das artige Pferde, mit dem kann man es ja machen: zu spät zum verladen kommen und dann in Hektik sein, auch mal unaufmerksam sein, sich nebenbei vielleicht um das zweite Pferd kümmern, dass man in der anderen Hand führt, und das nicht so artig ist. Das Pferd kurz warten lassen, Nachbars Kinder eine Runde reiten lassen oder oder. Das artige Pferd werden wir oft automatisch viel mehr ausnutzen als dasjenige, was auf den Putz haut, wenn ihm was nicht passt. Bis das artige Pferd dann vielleicht doch mal die Nase voll hat, denn eigentlich sollte ja dieses artige Pferd viel mehr Aufmerksamkeit und Lob bekommen als die anderen, sollte noch feiner und freundlicher behandelt werden, ein paar Privilegien haben und immer und jederzeit Anerkennung für seine Leistungen erhalten.
Aber damit tun wir uns schwer, denn es erfordert Aufmerksamkeit, zu merken, dass etwas NICHT passiert. Merken wir, wenn unser Pferd NICHT hampelt, NICHT glotzt, NICHT an uns herumzuppelt? Unsere Pferde beobachten uns. Sie sehen all diese kleinen Zusammenhänge, die wir so oft gar nicht bemerken.
Duncan macht das sehr deutlich, wenn er unbedingt grasen will auf dem Spaziergang. Er geht sooo lieb neben mir her. Dann schaut er mich auffordernd an. Wenn ich darauf nicht reagiere, probiert er aus: ein Stückchen antraben, ein kleines bißchen nach vorne traben, dann anhalten, mich anschauen. Er möchte gern etwas tun und dann dafür grasen dürfen und das ist eben sein Angebot (weil wir traben geübt haben). Wenn das nicht klappt: zum Gras ziehen. Ziehen, ziehen, ziehen, dann plötzlich super brav und artig neben mir hergehen, ganz betont und nach ein paar Sekunden kommt wieder dieser Blick. Das Ziehen diente nur dazu, meine Aufmerksamkeit dahin zu lenken, dass er danach artig ist! Ich bin unartig, dann bin ich artig, dann belohnst Du mich. Wenn ich gleich artig bin, klappt das anscheinend ja nicht. Vorsicht, wenn ich das kultiviere, habe ich bald ein Problem! Gleich artig sein muss sich immer MEHR lohnen als erst Blödsinn machen und dann betont rumstrebern. Aber machen wir uns nichts vor: für uns Menschen ist das eine Mammutaufgabe.
Dagegen ist ein neues Handy einrichten fast schon eine Kleinigkeit…