Wir gehen spazieren. Duncan ist – wie immer – hungrig. Obwohl wir immer dafür sorgen, dass er vor dem Spaziergang ordentlich Heu hatte. Egal.
Duncan zieht also an den Rand zum Gras. Dann versenkt er – im Gehen – den Schnorch in die dicke Laubschicht und findet – im Gehen – dort irgendwelche Kleinigkeiten zu essen. Tja, das war nun nicht mein Benehmensplan. Ich bin am Zug.
Ich fordere ihn auf, die Seite zu wechseln. Macht er auch gut und kann dann logischerweise nicht mehr weiter futtern. Er ist am Zug.
Er wiederholt das Spiel, ich wiederhole das Spiel.
Dann denkt er sich eine neue Taktik aus. Er bleibt stehen und pinkelt. Dafür gibt es ja manchmal einen Keks. Allerdings wenn überhaupt nur beim ersten Mal. Er hat auch schon mal versucht, sich nur so hinzustellen als müsste er, ohne dass wirklich was kommt, und mich auffordernd anzuschauen. Nein, Du Ritter meines Herzens, so wird das nichts.
Also wechselt er wieder die Strategie: er bleibt stehen und schaut gedankenversunken in die Ferne. Er darf das, das weiß er. Ich bleibe mit ihm stehen, wir schauen. Dann meint er, ich wäre so mit schauen beschäftigt, dass ich gar nicht merken würde, wenn er zum Fressen übergeht. Ha! Dafür kenne ich zu viele Ponys, mein Freund!
Nun will ich ihm ja das Gras gar nicht verwehren, im Gegenteil. Da er Spaß haben soll, rauszugehen, suchen wir schon immer wieder schöne Grasplätze auf. Denn das ist ja eine der natürlichsten Verhaltensweisen für Pferde: loslaufen um Futter zu finden.
Also gebe ich ihm die Chance, sich seine Graspause fair zu verdienen. Ich bleibe stehen und sage „hoo“ das kennt er. Er hat aber nicht aufgepasst und geht 2 Schritte zu weit. Tja, Pech. Dann gehen wir eben weiter. Nach ein paar Metern wiederhole ich das Kommando, Duncan rammt die Füßchen in den Boden und darf prompt zur Belohnung grasen.
Das Spiel wiederholen wir ein paar mal in unregelmäßigen Abständen. Und schon ist Duncan wieder am Zug und denkt sich etwas neues aus. „hoo“ – er stoppt und bedient sich dann sofort ungefragt am leckeren Grün. Moment mal! So war das ja nun nicht … „ich hab das richtig gemacht, also darf ich essen“ sagt er mit vollem Mund und grinst mich an.
Ich bin am Zug.
Nix, Kollege, so machen wir das hier nicht. „hoo“ – er stoppt. Er ahnt etwas, liest heimlich schon wieder meine Gedanken, kommt aber nicht gleich drauf. Er versucht gar nicht erst, zu fressen, er weiß, dass ich das nicht zulassen würde. Aber was könnte ich wollen? Dann schaut er mich an. Feiner Bub! Jetzt darf er es sich schmecken lassen.
Er ist am Zug.
Er versucht, vorab schon mal auszusuchen, wo er essen möchte. Da es nicht geklappt hat, mich zum Gras zu ziehen, versucht er es jetzt mit schieben. Er läuft oft weit vorn, ich so auf Höhe seiner Flanke, das nutzt er jetzt aus und will mir den Weg abschneiden. Als ich mein Seil kreisen lasse um meinen Raum einzufordern, interpretiert er das flugs als Stopp-Signal und wechselt dann zügig hinter mir die Seite um dem Gras schon mal näher zu kommen. So ein Raubritter! Aber auch dieses Spiel probiert er nicht mehr als dreimal. Klappt ja doch nicht.
Langsam dämmert ihm jedenfalls, dass es zwei Arten gibt, mit mir spazieren zu gehen. Die eine, bei der er am langen Strick auf der Seite seiner Wahl im Tempo seiner Wahl geht, sich die Welt anschauen und beliebig seine Position zu mir wechseln darf. Und die andere, bei der ich den Strick recht kurz habe und ihm sage, auf welcher Seite in welchem Tempo er zu gehen hat, weil er nicht in der Lage ist, sich am langen Strick auf eine in meinen Augen anständige Art und Weise zu benehmen. Versuche wie drängeln, zum Gras ziehen, ungefragt antraben, nach mir schnappen oder das Begleitpferd ärgern führen zu dieser unangenehmen Art des gemeinsamen Gehens.
Er soll ein Gefühl dafür bekommen, dass das Leben mir mir sehr viel angenehmer ist, wenn er sich an meine Regeln hält (genau wie es auch in der Herde läuft). Im Moment ist er allerdings noch recht erstaunt, dass sein Mädchen tatsächlich auch mal sauer werden kann. Das kennt er ja noch gar nicht – bisher habe ich alles ausgesessen und so wenig gemaßregelt wie es irgend ging. Jetzt stellt er fest: sowohl ein Strick hat ein Ende (und das habe ich in der Hand) als auch mein Geduldsfaden – mag er auch lang sein. Und die beiden Enden stimmen sogar oft recht genau überein…
Inzwischen sind wir zu hause angekommen. Diese Partie geht an mich. Und zum ersten Mal überhaupt habe ich das Gefühl, er hat doch mal so viel nachgedacht, dass er ansatzweise ein ganz kleines bißchen müde ist. Aber nicht lang…..
Ich bin gespannt, wie er nun mit diesen neuen Erkenntnissen umgeht. Ich denke an meinen Finlay, der mit dem größten Vergnügen Regeln bewusst gebrochen und Grenzen mit einem Grinsen überschritten hat um sich dann mit mir streiten zu können – zumindest in der Pubertät. Später hat er sich immer ganz exakt am Rande dieser Grenzen aufgehalten, immer ganz knapp davor, ein Tanz auf Messers Schneide (und er konnte das perfekt!) Noch später hatte er elegantere Wege entdeckt um seinen Willen zu bekommen. Momentan nehme ich an, dass Duncan diese eleganteren Wege früher entdeckt, weil er nicht gern streitet, aber wie immer kann ich mit diesen wilden Vermutungen auch total daneben liegen…
Am nächsten Tag verfeinert Duncan seine Taktik. Da er verstanden hat, dass es für ein zweites Mal pinkeln keinen Keks gibt, stellt er sich hin, pinkelt und nascht gleichzeitig an der Brombeere vor ihm. Das Gesicht hättet ihr sehen sollen! Diese Partie geht an ihn….
Und während Duncan Schach mit mir spielt, spiele ich mit ihm Mastermind. Kennt Ihr dieses schöne Spiel? Der eine steckt mit farbigen Steckern eine Reihenfolge. Der andere kann das gesteckte nicht sehen und muss die Farben erraten, indem er „Vorschläge“ steckt, die der erste dann bewertet.
Ich möchte, dass Duncan z.B. anhand der Futterschüssel versteht, worum es mir WIRKLICH geht. Nämlich nicht darum, dass er irgendwie rückwärts geht um sein Essen zu bekommen, sondern um generell anständiges Benehmen. Und das ist ja weitaus komplexer. Er soll lernen, Menschen nicht zu bedrängen, er soll verstehen, wann Menschen sich bedrängt fühlen (und das ist unterschiedlich, also muss er dazu Körpersprache gut lesen können), er soll ruhig und entspannt bleiben, auch wenn es essen gibt (ok. Den letzten Punkt habe ich noch bei keinem meiner Ponys erreicht…. Aber einmal ist immer das erste Mal! Sagen wir: er soll wenigstens so tun als sei er ruhig und entspannt!) und er soll flexibel auf die jeweilige Situation reagieren. Ganz schön anspruchsvoll! Und weil das alles natürlich nicht mal so eben schnell gelernt ist wie „rückwärts gehen wenn mein Mädchen die Schüssel hinter ihrem Rücken hat“, teile ich mir mein Verhalten jetzt gut ein.
Ich komme also mit den beiden Schüsseln für Merlin und Duncan in den Stall. Wie die Wegelagerer fallen beide über mich her, aber ich verteidige die Schüsseln mit Säbelrasseln. Merlin bekommt seine Schüssel als erster. Duncan versucht, seinen Schnorch in Merlins Schüssel zu stecken, Merlin meckert nur halbherzig und überlegt, ob es nicht einfach wäre, zu mir zu kommen und die zweite Schüssel zu nehmen. Also übernehme ich den Meckerjob und schicke Duncan von der Schüssel weg. Fast gleichzeitig rufe ich ihn „Duncan dhuuuuuu“ und nach dem dritten Mal scheuchen und rufen kommt er zu mir. Jetzt kommt es drauf an: ich will ihn ein paar Meter von Merlin weg führen, er läuft also hinter mir und der Schüssel her. Schafft er es, dabei nicht ganz so doll die Ohren anzulegen? Mich nicht zu schubsen, zu überholen oder wild mit dem Kopf zu schlagen? Schafft er es, anzuhalten, wenn ich stehenbleibe? Dann gibt es die Schüssel sofort.
Schafft er das nicht, dann muss er eben seine Schrittchen rückwärts machen bevor er essen darf.
Und wieder überrascht mein Ritter mich. Denn dass er es schnell VERSTEHT, daran hatte ich keine Zweifel. Dass er sich selbst allerdings so gut im Griff hat in seinem zarten Alter, das hätte ich nicht gedacht. Schon nach wenigen Tagen wird er deutlich ruhiger zur Schüssel-Zeit, fängt an, ganz brav stehenzubleiben und kultiviert etwas, was ich aus Versehen mit belohnt habe: das Wegschauen. All das macht er sehr viel ruhiger als vorher und so kriegt er ganz oft seine Schüssel ohne dass er rückwärts gehen muss.
Und auch an einem anderen Punkt zeigt er große Weisheit: wir sind zum ersten Mal mit Arnulf und Diego gemeinsam in der Halle und machen Bodenarbeit. Diego bekommt dabei Kekse – Duncan nicht. Als Duncan und ich gerade herumstehen und nichts weiter tun, bekommt Diego Kekse, laut raschelnd aus Arnulfs Tasche gezogen. Duncan schaut aufmerksam zu. Da ich gerade im Freedom Based Training bin, könnte er hingehen. Macht er aber nicht. Wir schauen beide. Und dann schaut Duncan mich plötzlich an. Der Blick – zu schade dass Ihr ihn nicht sehen könnt. Ein so absolut eindeutiger Blick kann irgendwie nur von einem Pony kommen. „Schau, mein Mädchen, so macht man das! Jetzt du!“ Ich habe ihm aber trotzdem keinen Keks gegeben.
Später allerdings, als er am Anbinder stand und wir die Hufe gemacht haben, da gab es tatsächlich spontan mal wieder einen, für absolut perfektes Geben und halten vorne rechts. So ist mein Keks-Plan: überraschend und unberechenbar und nur für extrem gute Leistungen.
So spielen wir beide unsere Spielchen. Und währenddessen hat Sir Duncan ja noch 4 andere Spielpartner, die er jetzt so richtig für sich entdeckt. Caruso nimmt er für kleine Boxkämpfe und Merlin fordert er jetzt immer mal auf zum „Ringelreihen“, bei dem sie sich umeinander drehen und in die Hinterbeine beißen, aber am meisten erstaunt mich, dass er sich an Diego ranmacht. Wir haben Diego jetzt fast 7 Jahre bei uns und er hat noch nie wirklich gespielt. Finlay hat es mal versucht, aber Diego hat – obwohl er es glaube ich nicht böse gemeint hat – so die Ohren angelegt, dass Finlay doch Angst bekommen hat. Duncan dagegen hat sich eine andere Taktik überlegt: er kommt nicht von vorne, sondern von hinten. Er kneift Diego ins Hinterbein und nagt ihn ein bißchen an. Und Diego lässt sich tatsächlich dann und wann auf ein kurzes Spiel ein! Ich bin gespannt, was sich da entwickelt. Mir scheint, das was Duncan da spielt, könnte eine Art Poker werden…..