Immer wenn es sehr philosophisch wird, suche ich erst mal nach Zitaten. Zum Thema Freiheit beziehen sich diese in aller Regel auf Menschen und sind nicht auf Pferde übertragbar.
In der Pferdewelt gibt es oft einen romantischen Blick auf jene Pferde, die in Freiheit leben. Wildlebende Pferde (d.h. ausgewilderte Hauspferde) gibt es fast überall auf der Welt. In einer sehr interessanten Studie über wildlebende Brumbys in Australien hat Brian Hampson mit seinen Kollegen verschiedene Herden angeschaut. Dort wurde klar: Leben in Freiheit kann ganz unterschiedlich aussehen. Während eine Gruppe ständig dem Hungertod nah war und wahnsinnige Strecken zurück legen musste zwischen Weideland und Wasser (die Pferde gingen daher nur alle 4 Tage zum Wasser!), lebte eine andere Gruppe an einer Art Oase. Diese Pferde bewegten sich nicht mehr als 3km von ihrem Wasserloch weg, waren alle übergewichtig und litten zu 60% an Hufrehe. Zwischen den beiden Extremen gibt es natürlich alle Abstufungen.
Sicher ist diese Untersuchung nicht ganz aussagekräftig, weil Pferde in Australien keine Fressfeinde haben. Aber sie zeigt die extremen Bedingungen, die es in Freiheit geben kann.
Ich habe mal eine Frau kennengelernt, die selbst in einer Tierschutzorganisation tätig war, die am liebsten gar keine Tiere in Gefangenschaft sehen möchte. Sie selbst besaß aber einen Mustang, der die ersten 10 Jahre seines Lebens in Freiheit gelebt hatte. Und sie sagte den extremer eingestellten Tierschützern dann immer: „Komm mich mal besuchen. Ich zeige dir, welches meiner Pferde bei Regen als erstes in den Unterstand geht und sich im Winter am meisten über das Heu freut“. Der Mustang wusste, wie hart das Leben in Freiheit sein kann. Hunger, Durst, Gefahr, Verletzung, Erschöpfung, Wetter in all seinen Extremen. Das ist eben der Preis der Freiheit für ein Pferd. Will ich das? Will mein Pferd das? Ich kann es nicht fragen. So wie Menschen diese Frage unterschiedlich beantworten würden und ihre eigene Freiheit unterschiedlich einschätzen, so geht es bestimmt auch den Pferden: der eine hat lieber mehr Sicherheit und Bequemlichkeit, der andere verzichtet zu Gunsten von mehr Freiheit darauf.
Und was ist das überhaupt, diese „Freiheit“?
„Die Welt hat nie eine gute Definition für das Wort Freiheit gefunden.“ (Abraham Lincoln)
Im Laufe der Jahre wurde unser Paddock für die Ponys immer größer und interessanter. Als erstes bauten wir einen Roundpen, in dem wir eigentlich Freiarbeit machen wollten, den wir aber wenig dafür nutzen. Somit beschlossen wir, dass die Ponys ihn auch als Paddock mit nutzen können. Sie schlafen dort oder spielen. Der Roundpen wird manchmal genutzt wie ein Boxring: wer spielen will, lädt den anderen dort hin ein, wer genug hat, verlässt den Ring. Etwas später bauten wir einen insgesamt ca 400m langen Rundlauf um die Weide. Den haben wir dann nochmal umgebaut, weil er an einer Stelle durch zu nassen Boden lief. Durch den Umbau entstand eine schnurgerade „Rennstrecke“, die gern genutzt wird. Oben bei den Nachbarn bauten wir dann nochmal etwas um, so dass eine großzügige Ecke entstand, in der die Ponys gern in der Gesellschaft ihrer Nachbarn schlafen oder spielen. Dann bauten wir einen zweiten, kleinen Rundlauf um unseren Reitplatz herum.
Jeder neue Paddockteil wurde von den Ponys dankbar als interessante Erweiterung angenommen. Am Rundlauf entlang läuft der Knick (eine Wallhecke), wo die Ponys gern ein paar Zweige und Blätter pflücken. Im Herbst sammeln sie dort Eicheln und schmausen Schlehen und Brombeeren. Jetzt im Frühling sind sie den lieben langen Tag damit beschäftigt, Meter für Meter die kleinen grünen Grasspitzen am Rand des Rundlaufs abzunagen und zu versuchen, mit ihrem Kopf möglichst weit unter den Zaun zu angeln (das scheint immer der Job meines Ponys zu sein. Finlay hat dort manche Verrenkung unternommen um möglichst viel Gras zu erhaschen und auch Duncan arbeitet an seiner Beweglichkeit zu diesem Zwecke). Im Sommer dreht Diego den Spieß dann um: wenn das Gras hüfthoch steht, langt er mit seinem langen Hals über den E-Zaun hinweg, spitzt seine langen Lippen und reißt sich von oben die Grashalme ab.
Unsere Ponys haben zwei Ställe, die zwar nebeneinander liegen, aber von unterschiedlichen Seiten begehbar sind. So können sie sich mal aus dem Weg und außer Sichtweite gehen und nutzen diese Möglichkeit auch, was in meinen Augen maßgeblich dazu beiträgt, dass unsere Herde so entspannt ist.
Ist das alles „Freiheit“? Nein, natürlich nicht. Es ist das beste, was ich meinen Ponys bieten kann (bis mir die nächste Verbesserung einfällt). Aber eins ist klar: wenn ich einen Teil des Ganzen aus irgendwelchen Gründen absperre, sind die Ponys genervt. Die Freiheit, die einem genommen wird, spürt man eben sehr viel mehr als die, die man nie hatte.
Das ist übrigens einer der Gründe, weshalb ich es sehr unglücklich finde, wenn Pferde von einer großen Weide, auf der sie aufgewachsen sind, plötzlich in einen kleine Stall gestellt und dann angeritten werden. Was für ein Kulturschock und dann soll man etwas ganz neues lernen? Leider ist das gängige Praxis.
Ich bin froh, dass mein Duncan direkt hier bei uns aufgewachsen ist. So ist er das, was hier an Freiheit ist oder nicht ist, gewohnt. Unser Reitplatz liegt quasi mitten im Paddock, das heißt dort ist man nie wirklich allein. Die Ponys schauen regelmäßig zu, wenn einer von ihnen „arbeitet“, für alle eine Art Entertainment-System. Duncan hat sich mit Sicherheit manches von den großen Ponys abgeschaut und hatte bei allem, was wir neu angefangen haben, immer die moralische Unterstützung vom Rand mit dabei.
Die wenigsten Menschen können ihren Pferden so viel Freiheit bieten, die meisten Pferd leben deutlich beengter. Unsere Ponys waren jetzt lange ohne ihren großen Rundlauf. Ich hatte den Eindruck, dass sie sich trotzdem recht viel bewegt haben, aber ich muss diesen Eindruck revidieren. Jetzt, wo der Rundlauf wieder auf ist, sehe ich, wie viel Bewegung in der Gruppe ist. Und schon steigt die Fitness der Ponys wieder, ohne dass wir viel dafür tun – ein netter Nebeneffekt. Merlins alte Knochen werden wieder geschmeidiger, die jüngeren liefern sich mal wieder ein Wettrennen und den Rest des Tages wandern die Ponys herum wie es sich für Pferde ja eigentlich auch gehört.
Viele Reitweisen propagieren, sie würden die Pferde gesund erhalten. Immer mit gleichzeitig geäußerter Kritik an anderen Reitweisen. Witzig, wenn die Distanzreiter sagen „bei uns laufen viele alte Pferde im Sport“, während die „klassische Dressur“ behauptet, nur durch hohe Ausbildung, kurze Einheiten und sorgfältigste Geraderichtung und Versammlung könnten Pferde bis ins hohe Alter gesund bleiben. Ich weiß nicht, ob es dazu Untersuchungen gibt, wahrscheinlich wird das schwierig. Aber wenn ich mal so meinen eigenen Erfahrungsschatz durchwühle und anschaue, welche Pferde gesund (!) alt werden, möchte ich behaupten: es sind irgenwie meistens die, die vernünftig gehalten und gefüttert wurden. Die, bei denen die Besitzer sich viele Gedanken um die 23 Stunden machen, die das Pferd täglich ohne sie verbringt.
Unsere Pferde waren im Schnitt noch nie so gesund wie seit dem Bau des großen Rundlaufs. Sie sind fit und beweglich, nicht mehr so übergewichtig und bekommen keine Koliken. Keine Reitweise der Welt kann freie Bewegung ersetzen. Versteht mich nicht falsch: wenn mein Pferd zu wenig freie Bewegung hat, ist viel anderweitige Beschäftigung mit dem Menschen sicher hilfreich. Aber ein adäquater Ersatz ist es eben nicht. Da auch Pferde ökonomisch denken, braucht es aber Anreize, sonst bewegen sie sich auch auf der größten Fläche nicht mehr als sie müssen. In unserem Fall wachsen diese Bewegungsanreize am Wegesrand, was für uns das Leben leicht macht. Andere müssen da kreativer werden.
Und so stellt die Freiheit, die ich meine, auch eine Art Zwang zur Bewegung dar.
Freiheit ist eben relativ….
Es macht mich unendlich glücklich, die Ponys wieder in unserem ganzen (kleinen) Ausmaß von Freiheit zu beobachten und zu sehen, wie gut es ihnen damit geht. Das ist jede Mühe wert, die es uns Menschen macht, lange Zäune in Stand zu halten und Äppel aus entfernten Ecken zu kratzen.
dochdoch, Duncan hat aufmerksam bei den anderen zugeguckt und gelernt, wenn er von außen zugeguckt hat, was auf dem Reitplatz geschieht.
Hat er mir erzählt.
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