Wie isst man einen Elefanten? Nun, die ethisch korrekte Antwort lautet: gar nicht. Dennoch ist der arme Elefant immer das Beispiel an dieser Stelle und die Antwort lautet immer ähnlich: indem man ihn in mundgerechte Happen zerlegt.
Nach meinem frustrierenden Unterrichtserlebnis tat ich, was ich immer tue: ich habe andere mit meinem Frust genervt. Erst Arnulf, dann meine Freundin, dann noch ein paar andere. Habe wieder und wieder gefragt „bin ich zu blöd mich klar auszudrücken? Warum kriege ich keine Antwort auf meine Fragen? Warum fühle ich mich so unfähig?“ Meine Freundin hatte die passende Antwort: wenn Du es nicht kapierst, hat die Reitlehrerin es nicht kleinschrittig genug aufgebaut. Und da hatte sie exakt einen der Punkte getroffen, warum ich so frustriert war. Denn entgegen der Aussage, die meine Lehrerin in der Stunde getätigt hat („die Methode ist extrem kleinschrittig“) waren da ganz schön viele Schritte auf einmal, die Duncan und ich bewältigen sollten:
- die Zügelführung war für uns beide neu
- Duncan war damit überfordert, das langsame Tempo so lang zu halten
- ich sollte, wenn er zu schnell wurde und zu weit nach vorn kam, anhalten und dann selbst wieder in die korrekte Position gehen. Das kennt mein Pony aber nicht, dass er steht und ich direkt neben ihm zwei Schritte vor gehe. Er geht dann mit los. Und auch mein Warte-Kommando hat in dieser Situation nicht gut funktioniert, weil wir es in der Form noch nie verwendet haben. Allein das hätte ich erst mal kurz üben müssen, damit es klappt
- für mich war die Körpersprache die ich verwenden sollte, neu
- für mich war auch allein die Tatsache, online Unterricht zu haben, neu. Nur den Knopf ihm Ohr, niemand zu sehen, das war schon ungewohnt genug.
- die Orientierung auf dem Reitplatz war für mich kompliziert (bis ICH das Problem über Hütchen gelöst habe. In meinen Augen wäre es der Job der Reitlehrerin gewesen, das vorzuschlagen, zumal sie sagte, ich sei nicht die erste mit diesem Problem.)
Und während wir mit all diesen Dingen beschäftigt waren, sprudelte über den Knopf in meinem Ohr ein Fluss von Informationen auf mich ein. Derweil hat Online-Unterricht einen großen Nachteil: das Pferd weiß nicht, wann die Reitlehrerin lobt. Ich muss als Schülerin immer gut aufpassen, dass ich das Lob entsprechend weiter gebe, obwohl ich so sehr mit mir selbst beschäftigt bin.
Alles in allem war ich komplett überfordert. Vor mir stand ein Elefant und ich sah mich nicht in der Lage, ihn zu essen. So richtig klar wurde mir das aber erst nach dem Hinweis meiner Freundin. Für mich als Unterrichtende ist das eine durchaus heilsame Erfahrung gewesen. Oft stehe ich in der Mitte und denke „klappt doch, lass mal weiter gehen“ und übersehe, dass Pferd und Mensch bereits am Limit sind. Oder dass das Pferd zwar bereit wäre für die nächste Stufe, der Mensch aber nicht so weit ist. Wenn man daneben steht und all die Schritte schon so oft gegangen ist, kommt die Aufgabe einem nicht mehr so schwer vor. Oder wie Amanda Barton einmal so schön sagte: es ist sehr leicht, ein Pferd zu reiten, so lange man auf einem Stuhl sitzt.
Einen Tag nach diesem Erlebnis war ich selbst dann wieder die Reitlehrerin und habe die bisher ungewöhnlichste Reitstunde meines Lebens gegeben. Eine Schülerin bat mich, ihr Pony im Gelände zu reiten, während sie neben uns her läuft. Nicht, weil das Pony ein Problem hätte – er ist wunderbar artig und absolut geländesicher – sondern weil die Besitzerin eine Erinnerung mit sich herum trägt. Die beiden sind vor Jahren mal gemeinsam gestürzt und diese Erfahrung hat sich nicht beim Pony, wohl aber beim Menschen im Gehirn eingenistet und ihr Unwesen getrieben. So etwas passiert. Nun gehen die beiden zwar ausreiten, aber nur im Schritt und wenn eine Bodenunebenheit zu sehen ist, hört die Reiterin auf zu atmen. Sie hatte sich überlegt, dass es ihr helfen würde, einmal von außen sehen zu können, wie ihr Pony im Gelände aussieht und wie es sich bewegt. Wir hatten eine Menge Spaß zusammen, während das Pony und ich jede Bodenunebenheit aufsuchten, die wir finden konnten. Es zeigte sich, dass er inzwischen trittsicher und geschmeidig überall durch kommt und sich dabei auch noch pudelwohl fühlt. Die Aktion war extrem erfolgreich: nur wenige Tage später bekam ich eine Nachricht, dass sie auch ausreiten war und sich nun, meiner Empfehlung folgend, Schritt für Schritt an das Thema heran pirscht. Voller Erstaunen sagte sie mir „ich fühle gar nicht, dass der Boden uneben ist“. Neee, hatte ich auch nicht gefühlt. Bester Beweis dafür, dass das Pony damit klar kommt.
Ihre Art, den Elefanten zu zerteilen, mag ungewöhnlich sein, aber so lange sie erfolgreich ist, kann uns das doch egal sein oder? Und ich habe gelernt, welche Optionen es noch so gibt, Häppchen kleiner zu machen. Manchmal denke ich, wenn man Pferde ausbildet, ist das eigentlich die Hauptarbeit: Häppchen noch kleiner machen. Bis sie schließlich mundgerecht sind. Im Gegensatz zu einem echten Elefanten ist es übrigens bei der Pferdeausbildung meist so, dass es schneller geht, wenn man kleinere Häppchen nimmt. Der Elefant schrumpft dann quasi in sich zusammen, manchmal wird fast schon eine Mücke daraus. Wie ich jetzt gelernt habe, merke ich selbst manchmal zu spät, dass Happen zu groß serviert wurden. Darum erneut meine Bitte an alle, die bei mir Unterricht nehmen: tretet auf die Bremse, wenn ich Euch zu schnell bin. Haltet mir das symbolische Messer hin und sagt „bitte kleinere Happen draus machen“.
In meinem Fall habe ich mich übrigens aus verschiedenen Gründen entschieden, diesen speziellen Elefanten nicht zu verspeisen. Nicht jeder Elefant ist für uns gedacht. Hoch erhobenen Hauptes wenden Duncan und ich uns ab und sagen „nein, danke“. Und ich bin verdammt stolz auf mein Pony, der das gigantische Chaos wunderbar erwachsen ausgehalten hat, nicht wütend und verzweifelt wurde, sondern sein Bestes gegeben hat, während ich wirr und abgelenkt war. Und ich beneide ihn darum, dass er nicht tagelang brütet, was er wohl falsch gemacht hat, warum er nicht verstanden wurde und warum er keine Antworten auf seine Fragen bekommen hat. Er geht zu seinen Kumpels, kneift irgendwen, lädt so seinen Frust ab und danach ist alles wieder gut. Und mir verzeiht er spätestens beim nächsten längeren Ausritt.
Ein paar solcher Pannen haben wir sicherlich immer gut bei unseren Pferden. Wenn es ab und zu mal nicht klappt, ist das nicht schlimm, so lange wir in 90% der Fälle darauf achten, Elefanten in mundgerechten Häppchen zu servieren.
Mahlzeit!