„Oger sind wie Zwiebeln“ – es tut mir leid ich kann mir diesen einleitenden Satz nicht verkneifen, auch wenn nicht alle die Anspielung auf Shrek verstehen werden. „Zwiebeln haben Schichten, Oger haben Schichten!“
Als Arnulf und ich geheiratet haben, hat meine Mutter uns eine Zwiebel geschenkt. Weil eine Ehe auch Schichten hat. Und einen manchmal zum weinen bringt.
Auch die Beziehung zu unserem Pferd hat Schichten und vor allem das Verhalten unseres Pferdes. Ich stelle es mir manchmal wie einen Eisberg vor: das meiste davon liegt im Verborgenen. Zumindest so lang bis wir mal unter die Wasseroberfläche tauchen und nachsehen was da so los ist. Oder bis wir – manchmal mit einem Tränchen im Auge – die Zwiebel so weit Schicht für Schicht auseinander nehmen bis wir auf „der Zwiebel Kern“ treffen.
Viel zu oft – finde ich – wird nur an Verhaltensweisen herumgedoktert. Wenn ich zu einer neuen Schülerin komme, frage ich ja immer was ich wohl so tun könnte für dieses Pferd und diesen Menschen. Ganz oft werden dann bestimmte Verhaltensweisen des Pferdes genannt, die der Menschen gern nicht mehr oder im Gegenteil öfter sehen möchte. Dann fangen wir an, das Verhalten zu trainieren oder durch ein anderes zu ersetzen – je nachdem. Oft funktioniert das ja auch ganz gut. Aber es gibt eben Ausnahmen. Inzwischen fange ich an, diese Ausnahmen schon früher zu erkennen. Nicht so sehr am Pferd und seinem Verhalten, sondern daran, wie der Mensch mir das Problem beschreibt. Dann ahne ich: wir haben Schichten abzutragen um die Ursache zu finden.
Manche Pferde zeigen einem das eigentliche Problem ganz schnell. Wenn ich dann die Besitzerin darauf hin weise, ist das Thema schnell erledigt. Aber manche Pferde verstecken Themen gut. Manche reagieren sehr stark auf Dinge, die für mich schlecht zu sehen sind. Mein Lieblingsbeispiel ist hier immer ein bestimmter Tinker. Es hat mich viel Zeit gekostet, dahinter zu kommen, warum er manchmal so „aufgibt“ und erst gar nicht mehr versucht, es richtig zu machen, obwohl er eigentlich ein engagierter Kerl ist. Die Ursache war, dass seine Reiterin sich selbst kritisierte. In ihrem Kopf war diese Stimme die ihr nach dem ersten misslungenen Versuch böse Worte sagte wie „ich kann das nicht, ich bin zu blöd“. Und der Tinker „hörte“ diese Worte und bezog sie anscheinend auf sich. Es war Kritik im Raum und er dachte, er ist schuld. Oder er hatte das Gefühl, dass der Mensch aufgibt und hat da einfach mitgemacht beim Aufgeben – wer weiß. Sobald die Reiterin aufhörte, sich selbst zu kritisieren, war jedenfalls auch ihr Pony mit vollem Einsatz dabei.
Seit diesem Erlebnis frage ich noch öfter bei meinen Schülerinnen nach: was denkst Du? Wo ist Deine Aufmerksamkeit? Das kann schon mal recht privat werden, gleichzeitig ist es sich oft sehr ähnlich und ich denke, wir können uns sicher sein, dass fast alle mal solche Dinge denken. „Es reicht nicht“ sagt eine gern. Ihr Pony erträgt diese Gedanken mit Fassung, er hat genug Selbstbewusstsein, aber als sie einmal Diego geritten ist, blockierte der ziemlich stark. Ging nicht vorwärts, wirkte verunsichert. Denn auch Diego kann Kritik gar nicht gut verknusen. „Es reicht nicht“ kam bei ihm an und schon war er wie gelähmt.
Bei manchen Pferden wurde auch einfach eine bestimmte Eigenschaft so lange gefördert, bis sie zum Problem wurde. Zum Beispiel bei jenem Wallach, der sich so gern präsentiert, der so gern steigt oder spanischen Schritt anbietet oder lustige Gesichter schneidet und der jetzt nicht mehr normal traben kann, weil er gar nicht weiß, wie man so etwas „langweiliges“ tut und warum. Ein überdrehter kleiner Adrenalinjunkie, der nur noch die spektakulärsten Lektionen im Angebot hat und dadurch gar nicht mehr normal sein kann. Als hätte man einen Clown so oft auf die Bühne geschickt bis er nicht mehr ins Leben außerhalb seines Kostüms zurück findet und kein normales Gespräch mehr führen kann. Und alles Training, das bisher stattgefunden hat, war zum Scheitern verurteilt, weil es sich nur um einzelne Verhaltensweisen drehte und die Ursache nicht zu packen kriegte.
Schichten frei zu legen kann mühsam sein. Ich persönlich finde es wahnsinnig interessant, aber wenn es das eigene Pferd ist, kann es einen sehr verunsichern und anstrengen, das ist klar. Wer sich das traut und aushält, dass wir in jeder Unterrichtsstunde noch etwas weiter „wühlen“ bis wir schließlich an einen Punkt kommen an dem wir merkliche Fortschritte machen, wird reichlich belohnt. Zum Glück treffe ich immer öfter auf Menschen, die sich das trauen.
Das ganze ist übrigens gar nicht esoterisch, auch wenn es manchmal so rüber kommt. Ich möchte das betonen, weil ich selbst mittlerweile oft angenervt reagiere auf „das Pferd ist Dein Spiegel“ und „jeder bekommt das Pferd das er braucht“. Kann ja jeder glauben was er will, aber ich bin da pragmatisch: ein Mensch und ein Pferd sind zusammen – warum auch immer. Und wenn ich nicht das Gefühl habe, dass das auf keinen Fall was werden kann, werde ich alles daran setzen, den beiden zu helfen, gut klar zu kommen. Dass Pferde so sensibel auf unsere Gedanken reagieren, liegt an ihrer unbeschreiblich guten Fähigkeit, unsere Körpersprache zu lesen – selbst dann wenn sie uns nicht direkt anschauen können, weil wir auf ihrem Rücken sitzen oder hinter ihnen her laufen. Und wie jeder Mensch so ist auch jedes Pferd zunächst eine Art „Blackbox“. Wir tun etwas vorne rein und dann müssen wir abwarten, was das Pferd daraus macht. Wenn wir die Augen auf machen und bereit sind, wirklich das anzuschauen, was das Pferd aus der Information, die wir ihm geben, macht (und nicht das zu sehen was wir sehen wollen) können wir viele Stolperfallen vermeiden und uns das schälen zwiebeliger Schichten später sparen. Wenn die Schichten schon da sind können wir ewig unzufrieden bleiben oder wir können das Thema angehen und wagen, etwas zu ändern. Die Pferde – so ist jedenfalls meine Erfahrung – sind immer zur Veränderung bereit.
ein sehr ganzheitlicher Ansatz. Gut so!!
LikeLike