Viele Dinge im Pferdetraining finde ich schwer zu erklären. Techniken sind leicht zu zeigen und daher nur selten das Problem. Aber zu erklären, was ich in meinem Kopf tue, ist etwas anderes. Und das was in meinem Kopf passiert, kommt ungefiltert bei meinem Pferd an. Pferde haben eine so feine Wahrnehmung unserer Körpersprache, sie nehmen unsere Stimmung wahr, sie wissen, wie es uns geht und sie ziehen ihre Schlüsse daraus. Sie „sehen“ die Bilder in unserem Kopf, sie wissen ob wir etwas wahrnehmen oder nicht, ob wir etwas wichtig finden oder nicht, ob uns etwas Angst einflößt oder nicht. Es gibt keinen Raum, sie anzulügen und zu täuschen. Das macht sie zu so wunderbaren Lehrmeistern.
Als ich zum ersten Mal mit zwei Ponys gleichzeitig Freiarbeit gemacht habe – vor einigen Jahren mit Merlin und Finlay – fühlte mein Gehirn sich nachher an wie gespalten. Aber es hat sich gelohnt, das zu üben. Denn ich durfte erfahren, wie fein die Pferde uns lesen. Ein Pony sollte stehen, das andere sich mit mir bewegen. Beide muss ich im Blick haben, beide zum richtigen Zeitpunkt belohnen. Trotzdem schließe ich das Pony das warten und stillstehen soll ein Stück weit aus. Es soll nicht auf meine Körpersprache reagieren, bis es wieder gemeint ist. Ich sehe es, aber es nimmt nicht teil. Und das zu üben, hat mich ein gutes Stück weiter gebracht im Umgang mit Pferden.
Wenn ich heute mit Duncan in die Halle fahre und dort mit einer Bekannten und ihrem Pferd übe, dass wir fremde Pferde ignorieren, brauche ich genau diese Art von Filterblase um uns herum. Das andere Pferd ist da, natürlich wissen Duncan und ich das beide. Und wir wissen auch beide, wann das andere Pferd sich ungewöhnlich bewegt, wann wir wie nah ran gehen können, ob vielleicht etwas unvorhergesehenes passiert. Aber es hat nichts mit uns zu tun, wir üben Ignorieren. Und das klappt, ich kann Duncan mit in meine Filterblase ziehen und er ist wundervoll konzentriert bei mir. Bis zu diesem Moment, in dem „Tür frei“ erschallt. Ich erstarre, meine Blase platzt, Duncans Kopf schnellt in die Höhe. Da kommt eine mir unbekannte Person mit Pferd und ich bin hilflos. Verdammt.
Wir bringen die Situation irgendwie unelegant hinter uns. Zu hause überlege ich, welche besseren Strategien es gibt. Ich denke an die Schüler an den großen Ställen, die ständig damit zu kämpfen haben, dass ihnen jemand rein redet, blöde Sprüche aller Art und Sorte an den Kopf haut oder „gute Tipps“ hat. Ich persönlich wäre massiv gestresst davon und ich bin nicht die einzige. „Ich kann mich dann nicht konzentrieren“ sagen viele und ich kann das total verstehen.
Als ich nach der Hallenbegegnung nach hause komme, bin ich geistig total platt. Es hat mich wahnsinnig angestrengt, 20 Minuten meine Blase aufrecht zu erhalten. Das erfordert Übung und Wiederholung, genau wie Muskeltraining. Mein kleiner Hengst, der stetige geistige Anwesenheit erfordert, hilft mir beim üben. Merlin und Diego mit ihrer Erfahrung und Gelassenheit fordern das nicht ein. Sie können damit leben, wenn ich unkonzentriert und fahrig bin. Aber natürlich sollen sie nicht damit leben müssen – zumindest nicht allzu oft. Und so nehme ich mir vor, die Konzentration zu üben, auch wenn ich zu hause mit meinen Ponys bin. Mich noch mehr zu fokussieren. Und mir ein paar schlaue Strategien und Sätze zurecht zu legen für die nächste unvorhersehbare Situation. Sätze, die fertig formuliert sind und freundlich aber eindeutig klar machen, was ich möchte. Wenn das nächste Mal jemand „Tür frei“ ruft, könnte ich antworten „Moment bitte“ dann für Abstand sorgen und wenn die Person mit Pferd drin ist sagen „Entschuldigung, ich habe einen jungen Hengst an der Hand, der fremde Pferde wahnsinnig aufregend findet. Es wäre toll, wenn du kurz auf die andere Seite der Halle gehen könntest, dann gehen wir raus. Oder wenn du mir beim Üben helfen magst, könntest du 5 Minuten Schritt auf dem anderen Zirkel gehen. Nach spätestens 5 Minuten gehe ich dann raus.“ Diese Sätze auswendig zu lernen, damit ich sie dann sagen kann während ich mich auf Duncan konzentriere, klingt vielleicht für den einen oder anderen komisch. Aber aus der Erfahrung, mit mehreren Ponys frei zu arbeiten habe ich gelernt, dass meine Filterblase besser hält, wenn ich mich gewappnet fühle für möglichst viele Situationen. Und dann kommt die positiv-Spirale ins Spiel: je ruhiger ich bin, desto mehr Ruhe kann ich auf Duncan übertragen, je mehr Ruhe ich auf Duncan übertrage, desto mehr verinnerlicht er, dass man eben immer ruhig und entspannt bleibt und je mehr er das verinnerlicht, desto entspannter werden wir beide insgesamt. Bis wir irgendwann entspannt genug sind um uns auch in Situationen zurecht zu finden, die wir noch nie geübt haben.
Duncan hat auch schon viel gelernt. Vor einem Jahr war es noch so: wir gehen an einer Weide mit fremden Pferden vorbei. Duncans Kopf geht hoch, er hat nur noch Augen für die anderen Pferde und wenn ich ihn nicht SOFORT daran erinnere, dass ich da bin, ihn bitte, die Schulter von mir weg und die Nase zu mir hin zu wenden, bin ich abgeschrieben. Dann hänge ich nur noch am Strick und muss mich mit mehr oder weniger Gewalt durchsetzen um zu verhindern, dass Duncan zu den anderen Pferden geht oder wenigstens erhobenen Hauptes und Schweifes im Angebertrab posiert. Heute geht das schon viel besser. Wenn die Pferde auf der anderen Seite des Zauns entspannt sind, kann ich Duncan ruhig hinschauen lassen. In vielen Fällen schafft er es, nur kurz zu schauen, dann wieder nach mir zu gucken und dann wieder kurz nach den anderen Pferden. Ohne dass ich etwas dazu sagen muss. Auch meinen „Aufmerksamkeitscheck“ (unangekündigt stehen bleiben und schauen ob Duncan auch stehen bleibt) besteht er jetzt immer öfter. Er kann sogar in vielen Fällen auf mein Kommando im Stehen den Kopf senken und sich dadurch einen Keks verdienen. Auch er hat sein Gehirn anscheinend trainiert und kann mich jetzt noch wahrnehmen obwohl er nach den anderen Pferden schaut. Und wenn er es mal nicht schafft, reicht fast immer ein kleines Zupfen am Strick um ihn zu erinnern, dass ich auch noch da bin. Das macht mir Mut für die Sommersaison, wenn an einigen unserer Spaziergehwege wieder sehr viel mehr Pferde stehen werden – und nicht nur stehen, denn einige sind gerne mal sehr neugierig oder auch geneigt, etwas action zu machen. Da wird es dann wieder Zeit, das Konzentrationslevel zu erhöhen und die Filterblase zu verstärken. Übung macht den Meister und die Meisterin.