Tabellenkalkulation

Alle Jahre wieder geht es für mich um diese Jahreszeit an die Heu-Planung. Wie viel Heu ist noch da, wie viel werden wir noch verfüttern, wie viel werde ich kaufen müssen, wo bekomme ich Heu? Da dieses Jahr alles noch etwas komplizierter ist, weil Duncans Spaziergehkumpel und seine Freunde sich auch an unserem Heuschober bedienen, habe ich mit einer Tabelle herumgewerkelt. Herumgewerkelt trifft es dann auch. Eine schöne, logische, saubere Excel-Tabelle zu erstellen ist so verdammt schwierig und ich habe keine Ahnung davon, so dass ich mir da kurz was hinstümpere, nur um ungefähr den Überblick zu bekommen. De facto ist meine Excel-Tabelle nicht besser als es wäre, wenn ich alles auf einen Zettel kritzele und mir den Taschenrechner daneben lege. Wenn ich wirklich für langfristige Aufzeichnung eine schöne Tabelle brauche, frage ich meinen Mann, der bastelt mir eine. Aber in diesem Fall lohnt sich das meiner Meinung nach nicht.

Dabei finde ich diese Tabellen unglaublich faszinierend. Selbst die einfache Datei, in der ich meine Einnahmen notiere, bringt mich schon immer zum Staunen: vier Tabellen in einer Datei und Excel kann beliebig Bezüge herstellen von hier nach da, hat alles im Blick und „verguckt“ sich nie. Tolles Teil. Andererseits ist das Programm aber auch stur. „Falscher Bezug“ hier, „durch Null teilen geht nicht“ da und manchmal zeigt er nur fiese kleine Rauten und lässt mich im Dunkeln tappen warum. Und wehe man vertut sich bei der Rechnerei. Excel rechnet das, was ich ihm vorgebe. So dass ich gestern bei der Berechnung der Heumenge plötzlich heraus bekam, dass mein (noch sehr großer) Heuvorrat in 17 Tagen verfüttert sein wird. Das hat mir den Schweiß auf die Stirn getrieben, bis ich heraus gefunden hatte, wo der Fehler liegt (keine Sorge, es ist noch genug Heu da bis Anfang September. Wer teilt wo er multiplizieren sollte…… na lassen wir das). Excel weiß nicht was ich da rechne und es ist dem Computer auch echt egal. Heu, Futterbestellungen, Einnahmen, Ausgaben, das hat keine Bedeutung. Excel weiß nicht worum es geht und sagt mir daher nicht „hör mal, Mädchen, da muss ein Fehler in Deiner Gleichung sein, sonst käme da doch was ganz anderes raus.“ Und wenn ich durch Null teile sagt Excel auch nicht „bestimmt trägst Du da gleich noch eine Zahl ein, ich warte mal ab“ sondern motzt mich sofort an weil ich eine mathematische Todsünde begehen will. Wer Excel bedienen kann, kann mit etwas guter Vorbereitung zaubern. Wer es nicht kann (wie ich) kann verzweifeln.

Und manchmal, wenn ich mit Pferden arbeite, erinnert mich ihr Verhalten daran. Dem Pferd ist meine Übung erst mal herzlich egal. Es tut das, was Erfolg verspricht. Dabei errät es keineswegs das, was wir wollen – auch wenn es bei geschicktem Training so aussieht – sondern es hat eine genaue Tabellenkalkulation im Kopf. Verhalten und Erfolg (durch Futter, Pause oder sonstige Annehmlichkeiten) sind stramm miteinander verknüpft. Das fatale für uns Menschen ist, dass sie genauso „stur durchrechnen“ wie Excel. Was wir eigentlich WOLLEN spielt keine Rolle. Mein Lieblingsbeispiel ist dabei das „Belohnen für eine Korrektur“. Angenommen, mein Pferd soll still stehen. Da steht es nun. Dann geht es vorwärts – ungefragt. Ich schicke es wieder zurück an seinen Platz. Und dann – weil es so großartig rückwärts gegangen ist, gebe ich ihm einen Keks.

Ihr meint, so etwas dummes passiert einem nicht? Ich kann Euch sagen, es passiert andauernd. Und was lernt das Pferd? Vor gehen, sich zurück schicken lassen, Keks kassieren. Stillstehen hat es nicht gelernt – ganz im Gegenteil. Das Problem dabei ist: wir Menschen sehen oft nur diese ganz kleinen Zusammenhänge – wenn überhaupt. Das Pferd hat aber oft die GANZE Datei im Blick – mit all den einzelnen Tabellen die darin gespeichert sind. Ich versuche mal, Euch ein Beispiel zu geben, aber auch das wird noch ein harmloses sein, es geht durchaus noch viel komplexer.

Ich arbeite mit meinem Pferd auf dem Reitplatz. Dazu mache ich es erst mal warm, also mache ich einfache, langsame Übungen, die nicht viel Einsatz erfordern. Nach und nach steigern wir uns. Die Übungen werden schwieriger und kräftezehrender. Ich lobe mein Pferd viel und für besonders gute, schwierige Übungen bekommt es Kekse. Am Ende der Einheit reite ich etwas Schritt am langen Zügel, dann reite ich zum Ausgang, steige dort ab und führe mein Pferd zurück. Am Stall bekommt es dann die Schüssel mit dem Zusatzfutter. So ähnlich läuft es bei vielen Menschen ab. Und ich sehe viele Pferde, die diesen Ablauf genau kennen – und je nach Temperament unterschiedlich darauf reagieren. Das eine Pferd bietet von Anfang an ungefragt schwierigere Lektionen an – dafür gibt es nämlich Kekse! – das andere Pferd zieht zum Ausgang, wenn es keine Lust mehr hat. Denn dort steigt der Reiter ab und danach gibt es den Jackpot in Form der Schüssel! Manches Pferd sagt einfach von Anfang an, dass Schritt am langen Zügel sowieso die letzte Übung in der Kette ist und man den Rest ebenso gut weg lassen kann.

Und das ist nur eine kleine, einfache Tabellenkalkulation. Wenn wir es bemerken, können wir solche Dinge für uns nutzen. Den oben beschriebenen Ablauf habe ich mir zu Nutze gemacht um Merlin den Galopp schmackhaft zu machen. Aufsteigen, Schritt und Trab reiten, dann einmal angaloppieren – sofort Feierabend und Schüssel. Bis er anfing zu fragen, wann wir denn galoppieren wollen. Dann konnte ich langsam steigern.

Wenn ich in der Hufpflege ein Pferd habe, das aufgrund von Schmerzen nicht gut stehen kann, stelle ich folgende Regel auf: ich hebe einen Huf. Das Pferd darf ihn mir jederzeit wegnehmen und abstellen, aber ich hebe ihn dann wieder hoch. Erst, wenn der Huf so lange oben war wie ich das wollte und ich ihn absetzen konnte, gehe ich an einen anderen Huf. Das verschafft große Erleichterung, weil das Pferd mal anders belasten kann, so motiviere ich das Pferd schnell, den Huf so lange oben zu lassen wie möglich. Dadurch, dass es mir den Huf wegnehmen darf, bekomme ich aber auch einen realistischen Eindruck, wie lange es diesen Huf halten kann, so dass ich es nicht überfordere. Ich will nur, dass es mit mir zusammenarbeitet anstatt gegen mich, denn das macht unser beider Leben leichter. Während Menschen oft eine Weile brauchen, um die Logik zu verstehen, lernen die meisten Pferde das ziemlich fix. Und das ist die Krux, denn die Pferde lernen auch dann solche Zusammenhänge, wenn wir sie gar nicht bewusst erschaffen und – schlimmer noch – wenn wir sie noch nicht einmal erkennen. Und sie fragen nicht, ob das was sie tun, richtig ist. Sie rechnen nur aus, wo sie mehr Erfolg haben. Das klingt für viele für Euch vielleicht jetzt sehr unromantisch, ist aber einfach dem geschuldet, dass jedes Tier sehen muss, wie es am besten überlebt. Es ist das „survival of the fittest“ – das Überleben dessen, der am besten angepasst ist – was dieses Verhalten hervorgebracht hat. Je mehr man im Blick hat, welches Verhalten welche Konsequenz hat, desto besser kommt man durchs Leben. Und das geht weit über „wegrennen wenn der Puma kommt“ hinaus, denn Herdenleben ist komplex und Pferde leben in der Natur auf riesigen Arealen, müssen wissen wann sie ans Wasserloch können und wann nicht, wann welche Pflanze wo wächst, wie sie ihre Fohlen am besten schützen und so weiter.

Es mag Pferde geben, die vom Umgang mit dem Menschen so verwirrt sind, dass dieser Überblick verloren gegangen ist, weil Menschen sich jahrelang unbeständig verhalten haben. Diese Pferde wirken dann stumpf oder dumm. Wenn man sich aber beständig verhält, werden auch diese Pferde Zusammenhänge schnell erkennen.

Viel öfter ist das Problem der Mensch, der sich beständig verhält, ohne es zu merken. Sich dann anders zu verhalten, ist verdammt schwer. Eine Schülerin, die ein Pferd hat, das gern mal mit dem Huf scharrt, erklärte mir stolz, dass sie jetzt immer wartet, dass das Pferd den Huf abstellt und erst DANN gibt es das Leckerlie. Tja, da musste ich sie mal kurz desillusionieren. Denn das Pferd lernt den GANZEN Ablauf. Scharren, abstellen, Keks kassieren. Und am schwersten fällt es uns Menschen ja immer, zu bemerken, dass etwas NICHT passiert. Eben jenes Pferd, wenn es jetzt mal 30 Sekunden still stünde ohne zu scharren. Ich würde ziemlich hohe Wetteinsätze darauf geben, dass der Mensch das nicht bemerkt. Bestes Beispiel hier ist das Pferd das ruhig am Strick steht während man sich unterhält. Das Pferd wird so lange keine Aufmerksamkeit von seinem Menschen bekommen, wie es artig ist – auch hier sind meine Wetteinsätze hoch. Wenn es dann rumhampelt, bekommt es wahrscheinlich einen Rüffel. Und dann steht es kurz still und – weil der Mensch jetzt aufmerksam ist – kassiert anschließend den Keks (ersetze Keks beliebig durch Lob, Krauleinheit, Ende der Übung…..).

Ach ja, Tabellenkalkulation ist was tolles – aber nur, wenn man weiß, was man tut…..

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