10 Jahre

Ich stehe in der Reithalle und schaue meiner Schülerin mit ihrem Pferd zu. Ich bin beeindruckt und ein bisschen stolz. Ich kenne die beiden seit ungefähr 9 Jahren und sie hatten es wirklich nicht immer leicht. Aber diese beiden sind dran geblieben. Das was sie zusammen erreicht haben ist nicht das Ergebnis von Glück, Zufall und Talent, sondern von kontinuierlicher Arbeit, von dem Wunsch, stetig besser zu werden und von gegenseitiger Zuneigung, die nicht zu übersehen ist.

Und ich muss an den Fergus-Cartoon denken und an meinen kleinen Mini-Hengst im Stall.

Lerne Geduld. Es braucht 10 Jahre für ein gutes 10jähriges Pferd

„Die meisten Menschen überschätzen, was sie in einem Jahr erreichen können und unterschätzen, was sie in 10 Jahren erreichen können.“ (Das Internet ist sich nicht sicher, wem dieses Zitat zuzuordnen ist)

Manchmal sagen wir, wir bräuchten Geduld, um ein Pferd auszubilden. Aber ich bin nicht sicher, ob Geduld an der Stelle das richtige Wort ist. Geduld klingt für mich so nach abwarten. Der Duden sagt, Geduld sei „Ausdauer im ruhigen, beherrschten, nachsichtigen Ertragen“.

Das brauche ich manchmal wenn Kundenpferde bei der Hufpflege hampeln und ich die Situation in diesem Moment nicht ändern kann. Aber bei der Ausbildung eines Pferdes möchte ich ja nichts „ertragen“, ganz im Gegenteil. Ich möchte die Dinge so gestalten, dass Pferd und Mensch gleichermaßen zufrieden sein können mit der Situation. Dafür muss manchmal das Pferd neue Verhaltensweisen lernen und manchmal der Mensch.

Es braucht also viel mehr Durchhaltevermögen, Kreativität, die Bereitschaft, Dinge zu verändern und eine gute Portion von dem, was ich inzwischen als eine meiner besten Charaktereigenschaften ansehe: Sturheit.

Entschuldigt, dass ich dieses Wort so benutze. Natürlich gibt es nettere Worte dafür. Hartnäckigkeit vielleicht. Unbeugsamkeit würde ich lustig finden. Beharrlichkeit als positive Version.

Ich mag das Wort „Sturheit“. Es erinnert mich an Esel – diese wunderbaren, intelligenten Tiere, denen man dieses Wort immer zuschreibt und die gerade dadurch so eigenständig und stark sind.

Sturheit ermöglicht mir, ohne viel Druck auszukommen. Weil ich lieber über Wiederholungen arbeite und darüber, Situationen zu erschaffen in denen das Pferd von selbst merkt, dass das neue (erwünschte) Verhalten ihm mehr bringt als das alte. Da die Pferde meist mit dem alten Verhalten sehr erfolgreich waren, braucht es oft eine Weile bis sie bereit sind, ihr Verhalten zu verändern. Geduld würde bedeuten, das alte (unerwünschte) Verhalten zu ertragen. Sturheit bedeutet in diesem Fall für mich, das Ziel klar vor Augen es wieder und wieder zu versuchen. Auch was mich selbst und meine blöden Angewohnheiten angeht. Sturheit heißt auch, sich nicht erzählen zu lassen, dass etwas nicht geht. Sondern es weiter zu versuchen – vielleicht mit mehr Zeit und auf anderen Wegen.

Meine Schülerin würde ich natürlich schon aus Höflichkeitsgründen nicht als stur bezeichnen. All die Jahre hat sie in die Ausbildung von sich selbst und ihrem Pferd investiert. Dabei hat sie nicht nur Unterricht bei mir genommen, sondern natürlich auch bei anderen Ausbildern. Überall hat sie sich Dinge mitgenommen. Sie arbeitet an ihrer eigenen körperlichen Fitness, um zu einem besseren Pferde-Menschen zu werden. Sie kümmert sich unermüdlich um die Gesundheit ihres Pferdes und versucht alles zu optimieren. Sie stellt oft das Wohlergehen ihres Pferdes über ihre eigenen Wünsche.

Das alles ist nicht immer leicht, ich weiß das. Und darum bewundere ich sie für das, was sie da leistet. Manche von Euch mögen das selbstverständlich finden. Aber meine Erfahrung in der Pferdewelt zeigt, dass das keineswegs selbstverständlich ist. Ich habe viele Menschen aufgeben sehen. Manche haben das auch so gesagt. Andere haben ihr Aufgeben versteckt, hatten plötzlich „keine Zeit“ mehr für ihr Pferd, lassen Dinge einfach schleifen, worunter die Gesundheit des Pferdes leiden, haben angeblich nicht genug Geld oder reden sich Dinge einfach schön. Das Pferd ist zu dick? „Früher war der noch dicker“. Mag stimmen, ist aber kein stichhaltiges Argument. Das Pferd hat Strahlfäule? „bei dem Matsch nützt es doch gar nichts, da was drauf zu schmieren“. Nicht schmieren macht es aber auch nicht besser. Man kann es ja mal versuchen. Bei vielen hilft es übrigens trotz Matsch.

Das Pferd benimmt sich schlecht? Da wird gemeckert und gemotzt aber nicht in gute Erziehung und Ausbildung investiert. Verladetraining wird immer noch viel zu selten gemacht und es fällt einem dann eine Woche vorm Kurs ein, dass da ja was war. Wäre ja auch Arbeit, das konsequent zu üben. Und womöglich würde es anfangs nicht klappen. Da müsste man ja mal dranbleiben und aushalten, dass es nicht gleich klappt. Igitt.

Ausreden haben wir alle gern mal, das ist normal. Ich hab auch einen ganzen Berg davon – liebgewonnene, gut erprobte und gelegentlich eine neue. Wenn wir uns im Laufe von 10 Jahren ein paarmal rausreden geht ja auch die Welt nicht unter. Mal ist das Wetter zu schlecht, mal sind wir zu müde, mal fühlen wir uns überfordert oder haben andere Prioritäten. Das ist ja nur menschlich.

Schlechtes Wetter ist eine beliebte Ausrede unter Reitern aber eben auch nur eine Ausrede. Nicht dass ich mich nie drücken würde, aber manchmal geht es einfach trotzdem los. Und ja, es war so nass wie es aussieht.

Aber ehrlich zu uns selbst dürfen wir sein. Ist es wirklich nur heute mal so? Oder haben wir uns vielleicht schon seit Wochen immer wieder rausgeredet? Weil Winter ist. Oder weil Sommer ist. Zu viel Regen, zu viele Fliegen, das Auto kaputt, der Fuß verrenkt. Heute keine Zeit, dieses neue Verhalten zu üben und zu etablieren. Heute muss es schnell gehen. Ist es wirklich nur heute?

Wenn wir uns in 10 Jahren insgesamt 365 Tage rausreden, verlieren wir ein ganzes Jahr. Mit rausreden meine ich nicht, dass wir nichts mit dem Pferd machen. Mit rausreden meine ich, dass wir nichts SINNVOLLES mit dem Pferd machen. Eine Pause kann ja auch sinnvoll sein, wenn sie gerade dran ist und wir sie so gestalten, dass Pferd und Mensch profitieren. Genauso kann es kontraproduktiv sein, wenn wir zwar etwas mit dem Pferd machen aber dabei unkonzentriert und konzeptlos sind und damit ihm und uns erlauben, blödsinniges Verhalten zu entwickeln oder zu verfestigen.

10 Jahre sind eine lange Zeit. Mehr Zeit, als ich mit Finlay je hatte. Aber nur die Hälfte der Zeit, die ich nun bald mit Merlin verbracht habe. Vor 10 Jahren sah meine Welt noch ganz anders aus. Trotzdem hätte ich mir gewünscht, in den vergangenen 10 Jahren weiter gekommen zu sein. Rückschläge und Fehlentscheidungen haben mich aufgehalten, wie wohl jeden von uns. Ganz abgesehen davon, dass ich nun von vorne anfange. Die 8 Jahre mit Finlay waren zwar höchst lehrreich und ich profitiere durchaus von den vielen gesammelten Erfahrungen, aber ich fange nun eben von vorne an. Denn egal was für eine gute Ausbilderin ich geworden sein mag – Duncan wird davon nicht schneller erwachsen werden. Hier ist der Punkt für Geduld, denn daran kann ich nichts ändern. Ich muss noch lange ertragen dass er zu jung ist für die Dinge, auf die ich mich so sehr freue. Mir scheint, dass auch er dafür Geduld braucht, auch ihm kann es gar nicht schnell genug gehen mit dem erwachsen sein (was für ihn wohl gleichbedeutend ist mit: alles mitmachen dürfen und jede Menge Abenteuer erleben).

Nun blicke ich auf die nächsten 10 Jahre und habe Wünsche und Ziele – für mich persönlich, beruflich, aber vor allem für Duncan und mich. Ob das alles wahr werden kann, wird sich zeigen. Aber sicher wird es nicht wahr, wenn wir es nicht versuchen. Jeden Tag aufs Neue. Ich werde mir Mühe geben, dazu das richtige Maß an Sturheit zu finden. So wie meine bewundernswerte Schülerin mit ihrem Pferd. Damit ich ihn 10 Jahren ein sehr gutes 11jähriges Pferd habe 🙂

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3 Kommentare

  1. Liebe Lioba, danke für Deine Worte; momentan helfen sie mir sehr, wieder in die Spur zu kommen ☺️. Ich wünsche Dir weiter Deine „Sturheit“ und ich werde auch meiner mehr Raum geben ❤️. Liebe Grüße Angelika

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